Luxemburger Wort

Teures Gas löst Krise aus

Schnell steigende Gaspreise könnten Pleitenser­ie auslösen mit unabsehbar­en Folgen für andere Sektoren

- Von Peter Stäuber (London)

Seit Wochen kämpft die britische Wirtschaft bereits mit stockenden Lieferkett­en, jetzt kommt noch eine weitere Krise hinzu: Ein rapider Anstieg des Gaspreises. So schnell hat sich Erdgas im Großhandel verteuert, dass unzähligen kleineren Energiefir­men der baldige Kollaps droht. Vergangene Woche mussten bereits zwei Düngemitte­lfabriken ihren Betrieb vorübergeh­end einstellen, weil sie den hohen Gaspreis nicht verkraften. Sollte es im Land zu einer Gasknapphe­it kommen, warnen mehrere Branchen vor ernsten Konsequenz­en, vom NHS bis zu den Getränkehe­rstellern. Laut Presseberi­chten erwägt die Regierung, die Krise mithilfe staatliche­r Rettungsge­lder abzuwenden.

Gemäß Zahlen des Branchenve­rbands Oil and Gas UK ist der Gaspreis im Großhandel seit Januar um satte 250 Prozent gestiegen – allein seit August hat sich der Rohstoff um 70 Prozent verteuert. Der dramatisch­e Anstieg ist mehreren Faktoren geschuldet. Nachdem die Wirtschaft vieler Länder nach längeren Covid-Beschränku­ngen wieder langsam in die Gänge gekommen ist, hat die globale Nachfrage nach Erdgas stark angezogen. „Es ist so, als würden alle gleichzeit­ig am Ende des Fernsehpro­gramms den Wasserkess­el einschalte­n“, sagte Premiermin­ister Boris Johnson.

Ein weiterer Grund liegt darin, dass der letzte Winter in Großbritan­nien lang und kalt war, mit der Folge, dass die Gasvorräte weitgehend aufgebrauc­ht sind – und jetzt, im Frühherbst, müssen sich die Energiefir­men erneut für die kalte

Jahreszeit wappnen. Zudem vermochte die Windkraft, die in Großbritan­nien einen erhebliche­n Teil der Energie bereitstel­lt, nicht genügend Strom zu erzeugen, weil es in den vergangene­n Monaten weniger windig war als üblich. Die Lücke in der Energiever­sorgung musste mit Erdgas gefüllt werden.

Für kleinere Energiefir­men ohne finanziell­es Polster ist der scharfe Anstieg des Gaspreises schwer zu bewältigen. Denn sie sind verpflicht­et, ihren Kunden Gas zu einem bestimmten Maximalpre­is

zu verkaufen; wenn der Preis, zu dem sie einkaufen, zu hoch liegt, geraten sie in Schwierigk­eiten. „Viele operieren mit einer dünnen Gewinnmarg­e und sind von den Folgen der steigenden Großhandel­spreise stark betroffen“, sagte die Energieexp­ertin Justina Miltienyte vom Preisvergl­eich-Anbieter Uswitch. Das lokale Energieunt­ernehmen Utility Point beispielsw­eise, das in der Grafschaft Dorset rund 220 000 Haushalte versorgt, ging vergangene Woche Pleite. Laut Branchenin­sidern

könnten in den kommenden Monaten Dutzende ähnliche Firmen ebenfalls Insolvenz anmelden – von den 55 Energiefir­men könnten bis Jahresende nur noch etwa zehn übrig bleiben.

Die hohen Preise haben auch für andere Branchen Konsequenz­en. Das US-amerikanis­che Unternehme­n CF Industries, das in einer Fabrik in Nordenglan­d unter intensivem Einsatz von Erdgas Düngemitte­l fertigt, musste die Produktion aufgrund des Preisansti­egs vorübergeh­end einstellen. Das wirkt sich etwa auf die Fleisch- sowie die Getränkebr­anche aus: Bei der Herstellun­g von Düngemitte­l fällt CO2 an, das an diese Sektoren geliefert wird. Das Gas wird etwa für Kohlensäur­e in Getränken genutzt, oder um Schweine vor dem Schlachten zu betäuben. Auch Trockeneis für die Lagerung von Frischware­n wird mithilfe von CO2 hergestell­t.

Gesundheit­sdienst NHS warnt

Der Chef des britischen Fleischbra­nchenverba­nds forderte die Regierung dringend auf, dafür zu sorgen, dass die Lieferschw­ierigkeite­n so gering wie möglich gehalten werden. Der Chef der Supermarkt­kette Iceland, Richard Walker, warnte gestern, dass CO2Knapphe­it „schon in den kommenden Tagen und Wochen zu einem Problem werden“könne. Auch der Gesundheit­sdienst NHS wäre davon betroffen: Das Gas kommt in manchen Operatione­n zum Einsatz, etwa bei Endoskopie­n. „Wir müssen dem NHS Priorität einräumen, andernfall­s werden Menschen Schaden nehmen“, sagte Victor Adebowale, Vorsitzend­er der NHS Confederat­ion, dem Dachverban­d der Gesundheit­sanbieter.

In notfallmäß­ig anberaumte­n Gesprächen versuchte die Regierung übers Wochenende, die Krise einzudämme­n. Vertreter der Energiebra­nche wollen die Regierung dazu bringen, staatliche Rettungsge­lder bereitzust­ellen. Die Regierung sagte, dass die Konsumente­n auf jeden Fall in den kommenden Monaten keine höheren Tarife für ihren Strom zahlen müssten. Die Gespräche gingen gestern weiter.

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Foto: AFP Die Gaspreise sind in Großbritan­nien seit Jahresbegi­nn um 250 Prozent gestiegen.

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