Ruanda macht Helden zu „Terroristen“
Paul Rusesabagina wird schuldig gesprochen, aus dem Exil Aktionen gegen das Regime von Präsident Kagame finanziert zu haben
Die zartrosa Sträflingsuniform, für die Ruandas Strafvollzug im Ausland oft belächelt wird, konnte nicht über die schweren Vorwürfe hinwegtäuschen: Gründung einer bewaffneten Organisation, Finanzierung von Terror, Mord und Brandstiftung. Jetzt wurde der angebliche Drahtzieher, Paul Rusesabagina, als „Terrorist“zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Für viele gilt der 67-Jährige aber weiterhin als Held, hatte er doch beim Völkermord 1994 mehr als 1 200 verfolgte Tutsis vor ihren Schlächtern gerettet. Menschenrechtler und Anwälte sehen seinen Terrorprozess als politisch motiviert – und Rusesabagina als Sündenbock für andere Regimekritiker.
Die Welt kennt Rusesabagina als Hotelier, der während des Blutrausches sein Gewissen bewahrte. Seine Geschichte inspirierte das Hollywood-Drama „Hotel Ruanda“. Darin wird nacherzählt, wie er während des rund 100 Tage langen Genozids verfolgte Tutsis als Gäste aufnimmt, um sie vor den Macheten von Hutu-Extremisten zu retten. Bei dem Völkermord starben mehr als 800 000 Menschen.
In Ruanda ist Rusesabagina darüber hinaus als lautstarker Regimekritiker bekannt, ein Dorn im Auge von Autokrat Paul Kagame. Dessen Regime stellte Rusesabagina und 20 Mitangeklagte im Februar wegen angeblicher Terrorakte vor den obersten Gerichtshof für grenzüberschreitende Verbrechen. Zeugen beteuerten, der gefallene Held habe seine Wohltätigkeitsorganisation als Tarnschild genutzt, um Überfälle auf Dörfer und Politiker zu finanzieren. „Einige Bewohner starben, andere wurden verletzt“, so die Richterin gestern. Die Rebellen hätten „Häuser und Autos abgefackelt, Geschäfte geplündert und Menschen entführt“. Mit seiner Oppositionspartei Ruandische Bewegung für Demokratischen Wandel (MRCD) habe Rusesabagina außerdem zum bewaffneten Sturz von Kagames Regierung aufgerufen.
Überraschend tauchten in ruandischen Zeitungen vergangene Woche Chatprotokolle auf, laut denen Rusesabagina 2018 „tausende AK-47, Panzerfäuste und Handgranaten“bestellt haben soll. Ruandas Regierung versuche, Rusesabagina als Terrorist zu brandmarken statt als „Stimme für die Stimmlosen und einen Verfechter von Frieden und Menschenrechten“, sagt Kitty Kurth, Sprecherin
Während des Völkermords in Ruanda 1994 rettete Rusesabagina etwa 1 200 Menschen das Leben. der Hotel Rwanda Rusesabagina Foundation. Rusesabagina gründete die Stiftung, nachdem er 1996 aus Ruanda geflohen war und fortan als Redner in Belgien und den USA lebte.
Politische Einflussnahme
Als deutliches Indiz, dass sein Prozess politisch beeinflusst war, gilt seine mutmaßliche Verschleppung. Im August 2020 wollte Rusesabagina von den USA nach Burundi reisen. Doch beim Umstieg in Dubai gelang es Kagames Schergen offenbar, ihn in ein Privatflugzeug zu locken – mit dem Reiseziel Kigali, die Hauptstadt Ruandas. „Es gab keine Entführung“, verteidigte Präsident Kagame. Zudem ging es bei Rusesabaginas Prozess „weder um den Film noch um seinen Promistatus.“
Bestseller-Autorin und Kagame-Kritikerin Michela Wrong ist nicht überzeugt. Ihr zufolge hätte Kagame, wie bereits in der Vergangenheit, eine Auslieferung beantragen können. „Er verzichtete darauf, denn er wollte jedem Kritiker Angst und Schrecken einflößen.“Ruandas Regime ist berüchtigt für sein perfides Geheimdienstnetzwerk. Dissidenten verschwanden in der Vergangenheit spurlos, andere tauchten ermordet auf. 2014 etwa wurde der ruandische Ex-Spion Patrick Karegeya tot in einem Johannesburger Hotel aufgefunden. Aus Furcht vor den ruandischen Sicherheitskräften arbeiten etliche Parteien von Südafrika, Amerika oder Europa aus.
Allerdings sieht Autorin Wrong einen „Kipppunkt“erreicht, was Kagames internationales Ansehen angeht. „Anschläge auf Dissidenten, Journalisten und Aktivisten in Ländern wie Großbritannien, Belgien, Schweden, den USA […] haben Ruandas Geberländer gezwungen, die finstere Seite des Regimes anzuerkennen.“So verurteilte auch die EU im Februar Rusesabaginas „erzwungene Verschleppung“sowie „politisch motivierte Anklagen von politischen Gegnern“. Für den Afrikanisten Timothy Longman, der Rusesabagina 1995 persönlich traf, steht fest: „In Ruanda gibt es keinen Platz für Gemäßigte, die gegen den Genozid kämpften, aber auch danach Menschenrechte einforderten.“