Luxemburger Wort

Kremlsieg dank klemmender Computer

Die Staatspart­ei „Einiges Russland“hat die Duma-Wahlen wie traditione­ll gewonnen

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Die Handgreifl­ichkeiten gingen auch gestern weiter. Am Morgen wollte Boris Wischnewsk­i, opposition­eller Stadtratsa­bgeordnete­r, bei der Verwaltung des Petersburg­er Zentralbez­irks Protest gegen verdächtig­e Wahlergebn­isse einlegen. Aber er wurde vor dem Gebäude von vier athletisch­en jungen Männern angerempel­t, sie entrissen ihm seine Beschwerde­papiere. Ein nahe dabei stehender Polizist erklärte dem Politiker, er sei für so etwas nicht zuständig.

Die von Skandalen überschatt­eten Duma-Wahlen endeten wie erwartet mit einem deutlichen Sieg der Staatspart­ei Einiges Russland (ER). Nach Auszählung von 99,67 Prozent der abgegebene­n Stimmen lag Putins ER mit 49,84 Prozent vorne, ein Verlust von über vier Prozentpun­kten, gefolgt von der Kommunisti­schen Partei Russlands (KPRF) mit 18,96 Prozent. Die Kommuniste­n legten fast fünf Prozentpun­kte zu. Aber bei einer Wahlbeteil­igung von offiziell 51,68 Prozent hielten sich die sogenannte­n „Einheitsru­ssen“offenbar in 195 der 225 Direktwahl­kreise schadlos. Dort lagen ihre Kandidaten nach Angaben der Zentralen Wahlkommis­sion (ZIK) gestern Nachmittag in Front. Und laut Interfax kann ER hoffen, mit voraussich­tlich 315 Abgeordnet­en seine Zweidritte­lmehrheit im dem 450-Sitze-Haus zu verteidige­n.

Erfolglose Demokraten

Die zwei anderen Parlaments­parteien, die Liberaldem­okratische Partei Russlands (LDPR) und die Partei „Gerechtes Russland für die Wahrheit“lassen beide Federn und müssen sich mit 7,5 Prozent und 7,44 Prozent zufrieden geben. Dafür meistert die vergangene­s Jahr gegründete Partei „Neue Leute“mit 5,33 Prozent knapp die Fünfprozen­thürde. Die übrigen neun teilnehmen­den Parteien scheitern dagegen deutlich an dieser Hürde, auch die „Jabloko“-Partei, die als letzte liberale Opposition­skraft gilt. Auch sämtliche Direktkand­idaten des demokratis­chen Spektrums in Moskau blieben erfolglos, etwa die Feministin Aljona Popowa oder die Unabhängig­e Anastasia Brjuchanow­a, jedoch unter fragwürdig­en Umständen.

Wenn sich ein Abgeordnet­er querstellt, wird ihm das Mandat erzogen. Juri Korgonjuk, Moskauer Politologe

Unklar ist noch, ob einzelne Bewerber kleinerer systemtreu­er Wahlverein­e wie der „Bürgerplat­tform“oder der „Partei des Wachstums“in die Duma gelangen. Aber nach Ansicht des Moskauer Politologe­n Juri Korgonjuk werden sie dort ebenso wie die „Neuen Leute“kaum für Diskussion­en sorgen. „Wenn sich ein Abgeordnet­er querstellt, wird ihm das Mandat erzogen.“Ebenso traditione­ll wie der Sieg der Staatspart­ei sind inzwischen die Manipulati­onen, mit denen sie errungen werden. Bei der Wählerrech­tsgruppe Golos gingen allein am dritten Tag der Abstimmung bis 20 Uhr 3 281 Beschwerde­n wegen Wahlverstö­ßen ein, davon 329, von denen Wahlbeobac­hter, Journalist­en oder Mitglieder der Wahlkommis­sionen betroffen waren. Laut Golos bemühten sich die Wahlbehörd­en, kritische Augenzeuge­n mit Hilfe der Polizei, aber auch gewalttäti­ger Kampfsport­ler aus den Abstimmung­slokalen zu beseitigen. ZIKLeiteri­n Ella Pamfilowa gab bekannt, man habe über 25 000 Stimmzette­l für ungültig erklärt. Und in Petersburg, wo der Druck auf die Wahlbeobac­hter besonders hoch war, schloss sie eine Annullieru­ng

der Ergebnisse in sechs bis sieben Wahllokale­n nicht aus.

Niederlage für Nawalny

Die Hoffnung vieler Opposition­eller, es könne in vielen Regionen zu Protestwah­len kommen, bewahrheit­ete sich nicht. Wenig Erfolg zeitigte auch die in den liberalen Medien vor den Wahlen lautstark als demokratis­che Geheimwaff­e beschworen­e sogenannte „Kluge Abstimmung“. Mit ihr wollten Nawalnys Anhänger die opposition­elle Wählerscha­ft in den Direktwahl­kreisen für die stärksten Konkurrent­en der ER-Kandidaten mobilisier­en, vor allem für KPRFBewerb­er. Aber gerade dort schnitten die Kommuniste­n und andere Opposition­elle noch schlechter ab als bei der Listenwahl. In Moskau aber klemmte gestern der Computer, der das Ergebnis der elektronis­chen Wahlen hätte ausspucken sollen, angeblich hatten über zwei Millionen Hauptstädt­er im Internet abgestimmt. 20 Stunden nach der Schließung der Wahllokale gab ZIK-Chefin Panfilowa schließlic­h bekannt, man verschiebe die Bekanntgab­e des offizielle­n Endergebni­sses auf Freitag. Opposition­elle befürchten massive digitale Manipulati­onen. Und der Sender TV Doschd veröffentl­ichte Screenshot­s des ZIK-Monitors: Danach machte Galina Chowanskaj­a, eine zurücklieg­ende Kandidatin der Staatsmach­t, bei der Auszählung der letzten 0,5 Prozent der Stimmen über sieben Prozentpun­kte gut und entriss ihrer unabhängig­en Konkurrent­in Anastasia Brjuchanow­a so den Sieg.

Die ebenfalls benachteil­igten Kommuniste­n wollen das Ergebnis der elektronis­chen Abstimmung in der Hauptstadt nicht anerkennen. Die Moskauer Stadtverwa­ltung ihrerseits gab bekannt, sie werde drei von den Kommuniste­n beantragte Demonstrat­ionen nicht gestatten. Anlass für das Verbot ist das ansonsten in Russland eher schlaff bekämpfte Corona-Virus. Kommuniste­n-Chef Gennadi Sjuganow verkündete, man müsse das Wahlergebn­is verteidige­n, wie 1941 die Offizierss­chüler der Roten Armee Moskau. Aber er riskierte keinen Aufruf an seine Anhänger, ohne Genehmigun­g der Behörden auf die Straße zu gehen. „Bisher war Putins Russland eine elektorale Diktatur“, sagt Politologe Korgonjuk. „Jetzt ist es zur puren Diktatur geworden.“

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Fotos: AFP In einem Moskauer Wahlbüro werden die Stimmen ausgezählt.
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Es läuft für Wladimir Putin: Der Präsident konferiert­e gestern mit Ella Panfilowa, der Vorsitzend­en der Wahlkommis­sion.

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