Die Dame vom Versandhandel
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Hier und da ein paar Sätze wechselnd, wollte Annie gerade von der Verpackung hoch zu ihrem Büro, um Schmidtchen Bescheid zu geben, dass sie kurz zum Bahnhof fahren würde. Sie war schon in der Tür und mit ihren Gedanken bereits bei der Lieferung aus Thüringen, als eine der Frauen hinter ihr hergeeilt kam.
„Frau Laube!“
„Ja?“
„Wir haben da vorhin bei uns am Tisch darüber geredet, ob das wirklich stimmt. Die Almut behauptet es, aber sie hat es auch nur von ihrem Mann gehört, und sonst teilen Sie solche Sachen ja auch immer gleich der Belegschaft mit, wenn es etwas Neues gibt, was uns alle angeht, meine ich, und deshalb haben wir uns auch fast gestritten…!“
Annie musste unwillkürlich lachen. Sie kannte Emmi Lehmann nur zu gut, sie wusste, dass die anderen sie gerne vorschickten, wenn sie etwas zur Sprache bringen wollten, wovon sie sich nicht sicher waren, wie Annie reagieren würde. Und Emmi wirkte zwar immer über die Maßen nervös und überdreht, als könnte sie keinen Satz zu Ende bringen, ohne sich hoffnungslos zu verheddern, war aber beharrlich und verfolgte einen im Zweifelsfall noch bis zur
Toilette, um eine Antwort zu bekommen. Im Moment allerdings war Annie absolut nicht klar, was die Frage sein sollte, sie sah nur, dass die Frauen an dem Tisch hinter Emmi nicht mehr mit dem Ausfüllen der Adresszettel beschäftigt waren, sondern stattdessen aufmerksam zu ihnen herüberblickten. Emmi hatte mal wieder einen Auftrag, das war sicher…
„Emmi? Sind Sie so gut und rücken mal mit der Sprache raus, worum es geht?“
„Na, diese Sache mit dem Koch, der nur für uns eingestellt werden soll! Und mit der… Kantine oder wie ich das nennen soll, wo es dann jeden Mittag…“
Annie hatte keine Ahnung, wie sich das Gerücht so schnell verbreitet haben konnte, sie war gerade erst dabei, die notwendigen Schritte zu planen. Bislang existierte die Idee nur in ihrem Kopf, selbst Kurt kannte noch nicht viel mehr als die Begründung, mit der Annie bei der Bank vorstellig geworden war – dass Angestellte, die sich mit ihrer Arbeit und ihrem Arbeitgeber identifizieren sollten, auch Anreize bekommen mussten, die über gute Gehälter und Sonderrabatte für den Mitarbeiter-Einkauf hinausreichten, dass sie sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen mussten, dass die mehr als neun Stunden, die sie täglich bei Eulen- dorf verbrachten, ihnen wenigstens in der Mittagspause auch eine Gegenleistung für ihre Arbeit bieten mussten, wie ein Lob, eine Belohnung.
„Reine Sozialspinnerei“, hatte die Bank eine Finanzierung ihrer
Vorstellungen zunächst rundweg abgelehnt. „Sie haben doch schon diesen Kindergarten, wozu jetzt auch noch eine Großküche mit einem eigens eingestellten Koch, als gelte es, ein… Restaurant zu eröffnen?
Wenn überhaupt, dann belassen Sie es doch bei einer Kantine, Erbsensuppe und Würstchen, das ist vollkommen ausreichend.“„Was Sie ja sicher deshalb so gut beweisen können, weil das Ihr übliches Mittagessen ist“, hatte Annie lauter als beabsichtigt reagiert. Sie hasste es, bei jeder größeren Investition wieder um Geld bitten zu müssen und mit dieser Mauer aus maßloser Arroganz konfrontiert zu werden. Und jedes Mal schwor sie sich, dass der Tag kommen würde, an dem sich die Bank in der schwächeren Position befand und etwas von ihr wollte. Aber bis dahin musste sie gute Miene zum bösen Spiel machen!
„Warten Sie, meine Überlegung lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Je mehr meine Angestellten sich wertgeschätzt fühlen, umso besser werden sie arbeiten. Und ihre Leistung steht in direktem Zusammenhang mit dem Profit, den wir erwirtschaften, da werden Sie mir doch sicher zustimmen? Meine Absicht ist also gar nicht so selbstlos, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, und weit von jeder ,Sozialspinnerei‘ entfernt.“
Am selben Tag noch hatte Annie eine Anzeige unter den Stellenangeboten aufgegeben, sie wollte ihren zukünftigen Küchenchef von vorn herein in die Planungen miteinbeziehen. Die Anzeige war allerdings mit einer Chiffre geschaltet worden, der Name „Eulendorf“tauchte nirgends auf. Aber … sie hatte Claudia mit zur Zeitung genommen, und danach waren sie in dem kleinen Eiscafé auf der Bahnhofstraße gewesen! Wo Claudia die erste Bluna ihres Lebens getrunken hatte, während Annie sich mit dem Besitzer darüber unterhielt, ob er in der Lage wäre, täglich eine hinreichende Anzahl seiner selbst gemachten Eistorten für den Nachtisch zu liefern. Und Schuster war mit einer Italienerin verheiratet, Maria, und die war wiederum die Freundin von…
„Emmi, Sie flunkern doch! Das habt ihr nicht von Almut, Sie waren mit Ihrer Freundin unterwegs, mit der Frau von Schuster!“
Emmi zuckte mit den Schultern, um gleich darauf zu fragen: „Also stimmt es wirklich? Mit einem richtigen Koch und allem Drum und Dran, und… verschiedenen Gerichten, unter denen man auswählen kann?“
Wie in einer Filmszene waren die anderen Frauen im Hintergrund näher getreten und schienen atemlos auf Annies Antwort zu warten.
„Es stimmt. Ich wollte es euch eigentlich erst mitteilen, wenn alle Pläne fertig sind, damit man es sich besser vorstellen kann, aber es stimmt“, wiederholte Annie. „Wir bauen oben hinter dem Kindergarten eine Küche und einen Speisesaal, mit großen Fenstern zum Wald hinaus, damit ihr in der Mittagspause auch mal etwas anderes seht als immer nur eure Tische mit den Kartons, oder bei den Kollegen im Lager die Regalwände oder die Aktenordner in den Büros. Und für den Sommer legen wir eine Art Biergarten an, dann kann man auch draußen essen.“
Emmi schüttelte den Kopf. „Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Aber… können wir uns das überhaupt leisten? Ich meine, das kostet doch sicher eine Menge Geld?“
Es war das kleine Wort „wir“in Emmis Frage, das Annie glücklicher machte als alles andere.
(Fortsetzung folgt)