Pandemie der Wut
Polizei ermittelt nach Ausschreitungen bei Corona-Demo
Luxemburg. Auf der Place de la Constitution kam es am Samstag wohl zur ersten Eskalation. Demonstranten warfen Absperrgitter um, setzten sich über die CovidCheck-Regeln hinweg und stürmten den Weihnachtsmarkt bei der Gëlle Fra, auf dem am Nachmittag viele Familien mit Kindern anzutreffen waren.
Bei jenem Mahnmal, das eigentlich an die Kriegsopfer der vergangenen Weltkriege und damit auch die Zeit des Nationalsozialismus erinnert, enthüllten vermummte Demonstranten ein Banner. Der CovidCheck wird darauf mit dem Judenstern gleichgestellt, der menschenverachtenden Zwangskennzeichnung aus der Zeit des Dritten Reichs. Es waren nicht die einzigen geschichtsrevisionistischen Aussagen, die an diesem Tag zu hören oder auf Plakaten zu lesen waren. Und es blieb auch nicht die letzte Eskalation. Verletzte gab es nicht.
Laut der Polizei versammelten sich am Samstagnachmittag in der Innenstadt rund 2 000 Demonstranten, um ihren Unmut über die am Montag angekündigten Covid-Maßnahmen auszudrücken. Die Menge verteilte sich im Laufe des Nachmittags in der Innenstadt. Auch der Weihnachtsmarkt auf der Place d‘Armes wurde gestürmt, nachdem vermummte Personen die Absperrungen weggerissen hatten. Die Polizei musste aus Sicherheitsgründen die Eingänge der Chamber versperren, weil sich die Lage dort zuspitzte.
Ein Teil der Demonstranten zog sogar vor die Privatwohnung von Premier Xavier Bettel (DP) und forderte dort lautstark dessen Rücktritt. Dabei kam es auch zu Sachbeschädigungen. Demonstranten zerkratzen einen Wagen und warfen offenbar mit Eiern gegen die Hausfassade.
Der Premier befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause. Es bestanden offenbar Befürchtungen, dass die Demonstranten ebenfalls das Wohnhaus von Familienministerin Corinne Cahen (DP) aufsuchen würden. Laut Polizeiminister Henri Kox (Déi Gréng) wurde die Ministerin im Vorfeld aus Sicherheitsgründen aufgefordert, ihr Haus zu verlassen. Bereits am Dienstag hatten Bettel und Cahen ungebetenen Besuch von einer kleineren Gruppe von Impfgegnern erhalten.
Initiatoren zeigen ihr Gesicht
Die Veranstaltung war nicht im Vorfeld angemeldet. In den sozialen Medien waren indes Aufrufe zu einem Treffen am Samstagnachmittag auf dem Glacis zirkuliert. Die Ankündigungen gingen stets mit dem Hinweis einher, dass die Organisatoren unbekannt seien. Am Samstagabend am Ende der Veranstaltung deuteten allerdings zwei Rednerinnen an, mutmaßlich Teil der Initiatoren zu sein.
Beide Frauen entstammen einer Gruppe von Aktivisten, die sich für das Durchführen eines Verfassungsreferendums einsetzt. Während die 53-jährige Chantal R. Teil des Comité d‘initiative ist, das eine Unterschriftenaktion in den Gemeinden für das Referendum erwirkt hat, gilt die 26-jährige Jessica P. als aktive Unterstützerin der Kampagne. Auf sozialen Medien engagiert sie sich mit Videos und Aufrufen für das Referendum.
Am Ende der Demonstration betonte etwa Chantal R., dass die Aktion nicht „organisiert“gewesen sei. Man habe einen Post in den sozialen Medien erstellt und sei über den großen Andrang überrascht gewesen. Die Demonstrationen sollen wiederholt werden, man wolle „versuchen“, dass die Aktionen zukünftig friedlich bleiben.
Beide Frauen äußerten sich in der Vergangenheit kritisch gegenüber der Covid-Politik. Chantal R. entschied sich gar laut einer RTLReportage Anfang des Jahres dazu, ihre Kinder aufgrund der Maskenpflicht in den Schulen im Homeschooling zu unterrichten.
Es liegt derweil nahe, dass weitere Mitglieder des Comité d‘initiative zu den Initiatoren oder zumindest zu den direkten Unterstützern zählen. So gehören Familienmitglieder von Chantal R. zu der Gruppierung. Des Weiteren riefen Mitglieder des Comité in den sozialen Medien aktiv zur Teilnahme an der Demonstration auf.
Grenzüberschreitungen
Gestern gab Polizeiminister Henri Kox Details über den Polizeieinsatz am Samstag bekannt. Er betonte, dass jedem Bürger das Recht auf Demonstration und freie Meinungsäußerung zustehe. Am Samstag seien allerdings von einem Teil der Teilnehmer Grenzen überschritten worden, die nicht zu tolerieren seien. Es sei zum Hass aufgerufen und Vergleiche zur dunkelsten Zeit der Menschheitsgeschichte gezogen worden. Menschen seien persönlich belästigt und es sei ihnen Angst eingejagt worden. Auch die Sachbeschädigungen seien inakzeptabel.
Kox sprach von einer „Radikalisierung“in der Bewegung. Die Polizei habe Ermittlungen eingeleitet. Straftaten werden an die Justiz weitergeleitet. Strafrechtliche Konsequenzen sind somit sowohl für die Teilnehmer als auch die Organisatoren nicht ausgeschlossen. Die Polizei wolle nun die operativen Polizeimaßnahmen für solche
Demonstrationen überarbeiten. Man wolle zukünftig besser gewappnet sein. Dafür sollen weitere Analysen durchgeführt werden.
Thierry Fehr, Directeur des opérations der Polizei, betonte indes, dass die Demonstration nicht angemeldet gewesen sei. Man habe über die sozialen Netzwerke davon erfahren und eine Risikoanalyse durchgeführt.
„Es gab bereits viele Demonstrationen während der Pandemie. Die waren bisher alle ziemlich friedlich. Wir wussten aber, dass die Demo am Samstag aufgeheizter werden könnte“, so Thierry Fehr. Deshalb sei auch ein größeres Polizeiaufgebot im Einsatz gewesen. Zahlen über die eingesetzten Beamten wurden indes nicht genannt. Aus den neuen Erkenntnissen durch diese Demonstration müssten nun Konsequenzen gezogen werden.
In der Tat finden seit einem Jahr in der Hauptstadt jedes Wochenende kleinere Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen unter dem Namen „Saturday for Liberty“statt. Sie sind bislang weitgehend friedlich verlaufen – ebenso wie die Marches blanches silencieuses, die seit September im Zweiwochenrhythmus organisiert werden. Auch an diesem Samstag war eine „Saturday for Liberty“Kundgebung geplant. Beide Gruppen schlossen sich schließlich auf der Kinnekswiss zusammen.
Die Organisatoren der „Saturday for Liberty“-Kundgebung gehörten derweil zu jenen Demonstranten, die bereits am Dienstag die
Es ist eine Grenze überschritten worden und das können wir nicht tolerieren.“Polizeiminister Henri Kox