Rekonstruktion einer Rücksichtslosigkeit
Neue Erkenntnisse zeigen, dass Trump seine Corona-Erkrankung verheimlichte
Der Clan des ehemaligen Präsidenten machte beim Einzug in den „Health Campus“der Cleveland Clinic vor der Debatte klar, sich nicht um die ausgehandelten Covid-19-Regeln zu scheren. Ein Familienmitglied nach dem anderen wies die von Ärzten der Klinik vor der Debatte angebotenen Masken zurück. Trump selbst machte sich auf der Bühne lustig über seinen 78-jährigen Kontrahenten. „Immer wenn man ihn sieht, trägt er Maske“, lästerte der Präsident über Joe Biden. „Selbst wenn er 200 Fuß (ca. 61 Meter) vom Publikum entfernt steht, taucht er mit der größten Maske auf, die ich jemals gesehen habe.“
Wie der ehemalige Stabschef im Weißen Haus, Mark Meadows, in seinem heute in den USA erscheinenden Buch bestätigt, hielt es Trump für unnötig, den nicht einmal 20 Fuß (ca. 6 Meter) entfernten Biden über seine Corona-Infektion zu informieren. Beide Wahlkampfteams hatten ein Ehren-System vereinbart, das die Vorlage von Testergebnissen vor der Debatte überflüssig machen sollte.
Trump und Stabschef Meadows ließen auch die damalige Kommunikations-Direktorin des Weißen
Hauses, Alyssa Farah, über den positiven Test drei Tage vor dem Aufeinandertreffen mit Biden im Dunkeln. Stattdessen hatte sie strikte Anweisung erhalten, mögliche Fragen nach dem letzten Corona-Test nicht zu beantworten. Darüber ist Farah bis heute empört. „Es zeigt einfach, wie egal ihm das Wohlergehen anderer ist“, sagte sie der „Washington Post“
Das Blatt rekonstruierte, dass Trump zwischen seinem positiven Corona-Test am 26. September und seiner Einlieferung in das Walter-Reed-Militärkrankenhaus eine Woche später mit mehr als 500 Personen in direktem Kontakt war. Darunter enge Mitarbeiter, Berater, Geldgeber, Dienstpersonal und sein Herausforderer Biden.
Permanente Verharmlosung
Laut Meadows erfuhr Trump am 26. September von seinem PCRTestergebnis an Bord der Air Force One auf dem Weg zu einer Kundgebung in Middletown im Wechselwählerstaat Pennsylvania. „Stoppt den Präsidenten“, appellierte der Chefarzt des Weißen Hauses, Sean Conley, an den mitreisenden Stabschef. Vergeblich. Trump tat so, als ob nichts wäre, weil ein paralleler Schnelltest derselben Probe negativ zurückgekommen war. Meadows Vorgänger im Amt des Stabschefs, John F. Kelly, meint, die einzig verantwortliche Reaktion auf den sehr viel akkurateren PCR-Test Trumps wäre eine unmittelbare Quarantäne und medizinische Beobachtung gewesen. Stattdessen zog der Präsident sein volles Programm durch. Er machte Wahlkampf, ging zu Treffen mit Geldgebern, golfte und lud zu einer Zeremonie im Rosengarten ein, bei der er die Nominierung der designierten Richterin am Obersten Gericht der USA, Amy Coney Barrett, verkündete. Der Präsident gesellte sich maskenlos unter das Publikum. Dutzende Personen infizierten sich, darunter Trumps Debatten-Trainer, der ehemalige Gouverneur aus New Jersey, Chris Christie, der später auf Intensiv beatmet werden musste.
Nachdem Trumps eigener Zustand sich so verschlechtert hatte, dass er ins Walter-Reed-Krankenhaus eingeliefert werden musste, tat er in einem Telefon-Interview so, als hätte er sich gerade bei einem Treffen mit Familienangehörigen getöteter US-Soldaten angesteckt. Tatsächlich riskierte Trump bei dem Empfang wissentlich das Leben der sogenannten „Goldstar“-Familien.