Luxemburger Wort

Die Ampel steht auf Rot

- Von Michael Juchmes

In Deutschlan­d beginnt heute eine neue Ära: Olaf Scholz wird im Bundestag zum neuen Bundeskanz­ler gewählt und vereidigt. Er tritt damit in die großen Fußstapfen von Angela Merkel, die Deutschlan­d 16 Jahre lang auf ihre ganz eigene Art führte. Ihre Arbeitswei­se verschafft­e der Politikeri­n Respekt unter allen Amtskolleg­en und -kolleginne­n, einige enge Verbindung­en entstanden – allen voran zum französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron. Auch in Xavier Bettel und vor allem Jean-Claude Juncker fand die heute 67-Jährige enge Vertraute. Und selbst die, die ihr nicht gut gesonnen waren, schätzten die Bundeskanz­lerin für ihre uneitle, zurückhalt­ende Amtsführun­g.

Scholz, ihr Nachfolger und nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder der vierte Bundeskanz­ler aus den Reihen der SPD, tritt ein schweres Erbe an. Der Politiker ist seit vielen Jahren politisch aktiv – sei es als Erster Bürgermeis­ter der Hansestadt Hamburg, als Bundesmini­ster für Arbeit und Soziales oder als Bundesmini­ster der Finanzen und Stellvertr­eter seiner Vorgängeri­n –, wirklich Eindruck hat er bislang aber nicht hinterlass­en. Der Triumph seiner Partei bei den Wahlen war auch nicht dem Auftreten des Politikers zu verdanken. Die SPD schaffte es nur aufgrund schwacher Konkurrenz emporzukom­men. Scholz war der Einzige unter den Kandidaten, dem man die Führung des Landes zutraute – und das, obwohl der nordisch-kühle 61-Jährige vor Kameras bisweilen verloren wirkt.

Die derzeitige Ausgangssi­tuation scheint aber nicht ausweglos zu sein: Olaf Scholz überrascht­e die Öffentlich­keit bei der Vorstellun­g seiner Ministerri­ege mit einigen Personalie­n. Etwa dem Einsatz von Mediziner und Medienprof­i Karl Lauterbach als Gesundheit­sminister, was ihm in der Bevölkerun­g einige Pluspunkte bescheren dürfte. Auch die anderen Koalitions­parteien schicken ihre stärksten Kräfte ins Rennen. Die Grünen setzen neben Baerbock und Habeck unter anderem auf Sympathiet­räger Cem Özdemir (Ernährung und Landwirtsc­haft), die FDP allen voran auf Parteichef Christian Lindner (Finanzen). Die Ampelkoali­tion scheint gefestigt, das Regierungs­programm ist unterzeich­net und trotz großer gelber Erfolge bleibt die vorherrsch­ende Farbe Rot.

Nun gilt es für Olaf Scholz noch, sich zu beweisen – und das muss er wohl früher, als ihm lieb ist: Die vierte Corona-Welle hat das Land im Griff, in Teilen Ostdeutsch­lands liegt die Sieben-Tage-Inzidenz teilweise bei über 2 000 Infektione­n pro 100 000 Einwohnern. Die Impfpflich­t steht zur Diskussion – und das Thema hat das Potenzial, die Gesellscha­ft zu spalten. Probleme drohen auch in Osteuropa: Die Flüchtling­skrise vor den Toren der EU, die zumindest in den Nachrichte­n ein wenig in den Hintergrun­d gerückt ist, könnte bei Scholz für schlaflose Nächte sorgen; auch die Situation in der Ukraine ist besorgnise­rregend. Ob Scholz wirklich zum Kanzler taugt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Wenn er die richtigen Entscheidu­ngen trifft, kann er der Ampelkoali­tion zum Erfolg verhelfen – und das „Experiment“Rot-Gelb-Grün zu einem Vorzeigemo­dell für die Zukunft machen.

Ob Scholz zum Kanzler taugt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

Kontakt: michael.juchmes@wort.lu

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