Generalprobe
Der erste Auftritt des neuen deutschen Politik-Spitzentrios ist ziemlich kleines Theater
So also sieht der Aufbruch aus für Deutschland. In der Bundespressekonferenz sitzen drei Herren, die von sich behaupten, sie wollten „Mehr Fortschritt wagen“, und beantworten Fragen. Wenn man ehrlich ist: Sie beantworten sie nicht. Und sie sitzen auch nicht. Sondern hocken. Mit Tendenz zum Hängen.
Schnitt. Am Tag zuvor hat ein früherer Hauptstadtkorrespondent, der das politische wie mediale Berliner Treiben inzwischen aus der Distanz betrachtet, geografisch wie mental, in einem längeren Dialog über den Zustand der Republik im Allgemeinen und der Politik im Besonderen das Vorherrschen eines „Entmutigungsjournalismus“in Deutschland beklagt; speziell aus Berlin. Ist es entmutigend zu schildern, wie Olaf Scholz am Tag vor seiner Wahl zum neunten deutschen Bundeskanzler eine Vorstellung gibt – Vorstellung im doppelten Sinn – davon, wie es sein könnte mit ihm als Kanzler?
Olaf Scholz weicht aus
Schnitt. „Wir freuen uns“, sagt Scholz, „dass wir über das, was uns bewegt für die nächste Zeit, über all diese Fragen sprechen können.“Wir – sind er, der künftige Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen und der künftige Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP. Dann geht es los, und gleich als Erstes soll Scholz sagen, ob Deutschland – wie die USA – die Olympischen Winterspiele in Peking diplomatisch boykottieren wird. Er schafft es mit Sätzen wie „es geht uns darum, dass wir uns einfinden in die Gemeinschaft der Demokratien“– als wäre Deutschland gerade gestern noch etwas ganz anderes gewesen – die Frage links oder rechts oder irgendwo liegen zu lassen. Er wird so auch zwei Nachfragen ausweichen.
Schnitt. Der einstige Korrespondent, der ins Innere der Politik gewechselt ist, hat die Bundestagswahl eine „der Orientierungslosigkeit“genannt und Scholzens Erfolg „eine verzweifelte Zuwendung“der Wählerinnen und Wähler.
Schnitt. Als nächstes soll Scholz sagen, wie es denn zu seinem Versprechen der Parität – also der angewandten Gleichberechtigung von Frauen mit den Männern – passe, dass sie da nun drei Mann hoch säßen und ganz ohne Frau. Scholz redet über die Ministerinnen im Kabinett; die Frage ignoriert er.
Schnitt. Pünktlich zur Kanzlerwahl am Mittwoch wird die erste Olaf-Scholz-Biographie erscheinen. Titel: „Der Weg zur Macht“. Autor: Lars Haider, im Hauptberuf Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“, größte Tageszeitung der Stadt, die Scholz sieben Jahre lang als Landeschef regiert hat. Eine gute Stunde nach dem Auftritt der drei sagt Haider, Scholz „antwortet auf das, was er gerne gefragt worden wäre“.
Schnitt. Im Koalitionsvertrag steht gleich am Anfang – Zeile 219 von insgesamt 6 018: „Wir wollen durch mehr Transparenz unsere Demokratie stärken.“
Schnitt. Außenpolitisch ist Scholz für die meisten Deutschen eine Art weißes Blatt. Gleichzeitig hat Deutschland jede Menge internationale Probleme. Mit den USA, beispielsweise, liegt es im Hader wegen Nordstream 2; zu viel Nähe zu Russland auch für Präsident Joe Bidens Geschmack. Und jetzt zieht Wladimir Putin an der Grenze zur Ukraine Panzer und Truppen zusammen. Wäre da die Gaspipeline vielleicht ein Druckmittel? „Es muss klar sein“, sagt Scholz, „dass es eine inakzeptable Situation wäre, wenn eine Bedrohung für die Ukraine entstünde.“Aber die Bedrohung ist ja schon da. „Sehr sehr klar“, wie Scholz behauptet zu sein, ist da eher Habeck. Der will zwar auch, „dass die Lösung diplomatisch erfolgen“soll. Aber er würde „Defensivwaffen“liefern. Er, sagt Habeck, verstehe nicht, dass Deutschland „nicht dazu beiträgt, die ukrainischen Menschen so zu schützen, dass sie nicht erst die Füße weggesprengt bekommen“. Scholz tut, als höre er nichts.
Schnitt. Der ins Innere der Politik gewechselte Ex-Korrespondent erkennt bei den deutschen Mächtigen, Merkel oder Scholz, egal, eher „Erwartungsmanagement“statt Ideen und Mut. Scholz-Biograph Haider nennt den künftigen Kanzler „entscheidungsstark“. Und prophezeit: „Scholz wird agieren – wo Merkel nur reagiert hat.“
Schnitt. Das Wort Regierungserklärung hat die scheidende Kanzlerin nicht so ernst genommen. Sehr vieles blieb sehr unergründlich, bestenfalls schemenhaft. „Ich werde“, sagt Scholz auf die Frage, wie er es denn mit dem Erklären halten wolle, „so reden, wie ich es tue und wie die meisten mich kennen.“
Schnitt. Heute ab neun wählt der Bundestag. Danach wird Olaf Scholz mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit Kanzler sein. Und genau genommen geht es ja dann erst los für Deutschland. Was auch immer. Vielleicht war das ja nur eine Generalprobe. Wenn man ehrlich ist: Man kann jetzt nur auf die Premiere hoffen.
Scholz wird agieren – wo Merkel nur reagiert hat. Scholz-Biograph Lars Haider