Luxemburger Wort

Bach dank klarer Bilder verstehen lernen

Wie eine besondere Version von Johann Sebastian Bachs Weihnachts­oratorium nicht nur Kindern die Ohren öffnen könnte

- Interview: Daniel Conrad

Kaum ein barockes Werk ist so sehr mit der Advents- und Weihnachts­zeit verbunden wie Bachs Weihnachts­oratorium, das zu den beliebtest­en seines Opus gehört. Doch warum ist das so? Was macht Bachs Weihnachts­kantaten so besonders? Das wollen die Musikerinn­en und Musiker um den Leiter der Ettelbrück­er Chorschule, Matthias Rajczyk, an diesem Sonntag insbesonde­re Kindern erklären; oder auch Erwachsene­n, die mehr zu dem Klassiker erfahren wollen.

Matthias Rajczyk, wieso braucht es eigentlich ein Weihnachts­oratorium speziell für Kinder, das der klassische­n Aufführung der ersten drei Kantaten am nächsten Sonntag, dem 12. Dezember, vorangehen wird?

Das Bachsche Weihnachts­oratorium ist für mich persönlich sehr emotional besetzt – es ist quasi ein Synonym für die Weihnachts­zeit. Wenn ich mich an einige Konzert-Aufführung­en erinnere, waren Kinder zum Eröffnungs­chor „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage“noch hellwach aber spätestens bei der zweiten Alt-Arie eingeschla­fen. Dieses tolle Werk ist vielleicht für Kinder nicht ganz so unzugängli­ch in seiner Gänze und seiner Länge. Und deswegen gibt es dankenswer­terweise von Michael Gusenbauer diese tolle Fassung „Weihnachts­oratorium für Kinder“, die das in eine verkürzte Form bringt.

Was macht die denn aus?

Sie wird dem Bewegungsd­rang von Kindern gerecht und fügt zusätzlich die Rolle des Erzählers hinzu. Der bringt den Kindern die Musik und die Tonsprache von Bach an sich näher, erzählt die Weihnachts­geschichte und erklärt sogar noch musikalisc­he Grundbegri­ffe – wie zum Beispiel ein Orchester funktionie­rt, welche Instrument­e da spielen, welche Funktion sie haben, warum bestimmte Instrument­e bestimmte Dinge tun. Und das lässt sich neben der Aufführung der drei Kantaten mit einem geringen Aufwand als zusätzlich­es Angebot für die Chorschule im Konservato­rium und für ein interessie­rtes Publikum realisiere­n.

Ist das Werk wirklich so unzugängli­ch? Der Evangelist ist doch zum Beispiel eh als Erzähler dabei. Muss man denn Kindern alles mundgerech­t servieren, statt sie auch mal herauszufo­rdern und sie daraus lernen zu lassen?

Das Werk ist an sich – wenn man Bachs Schaffen überblickt – jetzt nicht allzu komplizier­t. Älteren Kindern ist das auch durchaus zuzumuten. Die Zielgruppe, die wir ansprechen wollen, sind eher Vorschulki­nder ab vier Jahren. Und da könnte ein Konzert von eineinhalb Stunden schon überforder­n. Die Fassung von Gusenbauer bietet hier ja dann auch einen pädagogisc­hen Charakter. Die Kinder dürfen mitmachen, können Fragen hineinrufe­n, auf die dann der Erzähler auch reagiert. Das schafft ein ganz anderes Erlebnis.

Gerade aktuell unter Pandemiebe­dingungen hätte man so etwas doch auch als Livestream lösen können. Warum ist die Aufführung vor Publikum so wichtig?

Es ist wichtig, dass die Kinder direkt angesproch­en werden und dann quasi mit den Ohren auf bestimmte musikalisc­he und ästhetisch­e Erfahrunge­n gelenkt werden. Das bekommt diesen Aspekt des unmittelba­ren Staunens – ganz nah an den Instrument­en; als Erleben im Raum. Das hat einfach noch mal eine neue Qualität. Während der Pandemie haben wir Künstlerin­nen und Künstler gelernt, dass die ganzen digitalen Inhalte zwar schön sind, um uns bei der Stange zu halten, aber nichts ist so toll wie der klingende Saal vor Ort, diese kleinen prägenden Momente, die man fast schon anfassen kann. Ich denke gerade, dass das für Kinder unheimlich wichtig ist – das kann auch kein Video, keine Unterricht­sreihe in der Schulklass­e.

Wäre es nicht auch wichtig, auch vielen Erwachsene­n einen leichteren Zugang zu schaffen, die mit der Materie weniger vertraut sind?

Ja absolut. Nur weil das Konzert jetzt an Kinder adressiert ist, heißt das ja nicht, dass Erwachsene nichts davon mitnehmen können, im Gegenteil. Also ich finde

Ist Bach so ernst, wie ihn das Denkmal in Leipzig zeigt? Matthias Racjzyk (l.) versucht mit seinen Musikern die Facetten Bachs leicht verständli­ch zu erläutern. das es besonders schön, dass da die Kinder die Eltern mitnehmen. An vielen renommiert­en Stellen ist man ja auch dazu gekommen, Konzertein­führungen zu geben – auch in solche Klassiker wie das Weihnachts­oratorium. Gerade bei Barockmusi­k ist es so, dass viele Leute eine gewisse Distanz haben, weil es eine sehr ausgearbei­tete, gefühlt überladene, artifiziel­le Musik ist, die vielleicht nicht einen so direkten emotionale­n Zugang bietet wie Tschaikows­kySymphoni­en mit klarerem emotionale­n Inhalt. Und dann werden mit solchen Angeboten Grenzen aufgebroch­en.

Auch Dirigenten lernen ja dazu.

Sie sind ja noch recht jung. Haben Sie allein schon durch die Vorbereitu­ng für sich neue Perspektiv­en gewonnen – vielleicht ja auch gemeinsam mit den Musikerinn­en und Musikern?

Also weder als Sänger, noch als Dirigent ist es mein erstes Weihnachts­oratorium, aber trotzdem hat die Beschäftig­ung mit der Kindervers­ion etwas ausgelöst:

Ich habe versucht, meine musikalisc­hen Ideen in konkretere, fassbare Bilder für die Aktiven auf der

Bühne zu fassen. Wir haben viel in den Proben darüber gesprochen und uns Gedanken gemacht. „Was soll das eigentlich, was Bach da in seine Musik geschriebe­n hat? Was wollen wir dem Publikum kommunizie­ren, wenn wir das singen.

Und das setzt eben klare Bilder voraus und auch, dass wir uns als Ausführend­e dazu zwingen, in dieser Klarheit zu sein.

Könnten Sie da ein Beispiel nennen?

Der Eingangsch­or „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage“– warum setzt Bach da drei Paukenschl­äge gleich an den Anfang?

Und gleich danach der Triller in der Flöte? In welcher Beziehung steht das zu den ersten Worten, die wir singen? „Jauch“-„zet“, „froh“– „lo“– „cket“da imitieren wir die Pauken. Und bei „auf, preiset“sind wir quasi Trompeten. Diese Bilder helfen, das Stück nicht einfach nur zu singen, sondern eine ästhetisch­e Erfahrung zu schaffen, die über die Sprache hinausgeht. Und ich hoffe, dass es gelingt, dass die Zuhörer so mehr Freude an dem Werk haben.

2019 haben Sie die Leitung der Chorschule mit ihren verschiede­nen Klassen im Conservato­ire du Nord übernommen. Sind solche pädagogisc­he Projekte ein Fingerzeig Ihrer Ansätze und der Aktivitäte­n im Konservato­rium?

Es ist mir ein Anliegen, die Vielfalt und die Möglichkei­ten, die wir im Haus haben zu zeigen. Wir können allein schon durch die Nähe zu anderen Musikerinn­en und Musikern, die verschiede­nen Chorklasse­n und die Infrastruk­tur im Cape Konzertfor­mate anbieten, die so kaum anderswo zu realisiere­n wären. Entweder weil die Finanzieru­ng schwierig ist, es an Räumen oder der Unterstütz­ung fehlt. Wir lernen mit solchen Projekten ja auch die Zusammenar­beit intern besser kennen und vertiefen unsere Gemeinscha­ft. Zum Beispiel denken wir konkret darüber nach, wie wir ein anstehende­s Projekt – Martín Palmeris Tangomesse „Misa a Buenos Aires“– mit Tanzeinlag­en erweitern könnten. Oder dass der Kinderchor sich mit der Gesangskla­sse von Professori­n Mariette Lentz zusammentu­t, um die Oper „Hänsel und Gretel“aufzuführe­n. Das ist so einfach an anderen Stellen schlicht nicht möglich.

Das bekommt diesen Aspekt des unmittelba­ren Staunens – ganz nah an den Instrument­en; als Erleben im Raum.

Nichts ist so toll wie der klingende Saal vor Ort.

Am Sonntag, dem 12. Dezember, Bachs Weihnachts­oratorium im Cape Ettelbrück – um 15 Uhr Fassung für Kinder und Familien (Bearbeitun­g von Michael Gusenbauer), um 17 Uhr Originalfa­ssung (Kantaten I – III). Mit dem Orchestre de Chambre du Luxembourg, dem Ensemble vocal du Conservato­ire du Nord und den Solisten Véronique Nosbaum (Sopran), Jeff Mack (Contreténo­r) Alexander Gebhard (Tenor), Antonio Di Martino (Bass) unter der Leitung von Matthias Rajczyk. Karten für die beiden Aufführung­en gibt es unter Tel. 26 81 26 81, per Mail an billetteri­e@cape.lu oder unter cape.lu.

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Foto: Marc Jacoby Das Ensemble vocal du Conservato­ire du Nord lässt sich auf das pägagische Projekt ein – und lernt selbst dazu.
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Fotos: B. Dutka / Shuttersto­ck
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