Bach dank klarer Bilder verstehen lernen
Wie eine besondere Version von Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium nicht nur Kindern die Ohren öffnen könnte
Kaum ein barockes Werk ist so sehr mit der Advents- und Weihnachtszeit verbunden wie Bachs Weihnachtsoratorium, das zu den beliebtesten seines Opus gehört. Doch warum ist das so? Was macht Bachs Weihnachtskantaten so besonders? Das wollen die Musikerinnen und Musiker um den Leiter der Ettelbrücker Chorschule, Matthias Rajczyk, an diesem Sonntag insbesondere Kindern erklären; oder auch Erwachsenen, die mehr zu dem Klassiker erfahren wollen.
Matthias Rajczyk, wieso braucht es eigentlich ein Weihnachtsoratorium speziell für Kinder, das der klassischen Aufführung der ersten drei Kantaten am nächsten Sonntag, dem 12. Dezember, vorangehen wird?
Das Bachsche Weihnachtsoratorium ist für mich persönlich sehr emotional besetzt – es ist quasi ein Synonym für die Weihnachtszeit. Wenn ich mich an einige Konzert-Aufführungen erinnere, waren Kinder zum Eröffnungschor „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage“noch hellwach aber spätestens bei der zweiten Alt-Arie eingeschlafen. Dieses tolle Werk ist vielleicht für Kinder nicht ganz so unzugänglich in seiner Gänze und seiner Länge. Und deswegen gibt es dankenswerterweise von Michael Gusenbauer diese tolle Fassung „Weihnachtsoratorium für Kinder“, die das in eine verkürzte Form bringt.
Was macht die denn aus?
Sie wird dem Bewegungsdrang von Kindern gerecht und fügt zusätzlich die Rolle des Erzählers hinzu. Der bringt den Kindern die Musik und die Tonsprache von Bach an sich näher, erzählt die Weihnachtsgeschichte und erklärt sogar noch musikalische Grundbegriffe – wie zum Beispiel ein Orchester funktioniert, welche Instrumente da spielen, welche Funktion sie haben, warum bestimmte Instrumente bestimmte Dinge tun. Und das lässt sich neben der Aufführung der drei Kantaten mit einem geringen Aufwand als zusätzliches Angebot für die Chorschule im Konservatorium und für ein interessiertes Publikum realisieren.
Ist das Werk wirklich so unzugänglich? Der Evangelist ist doch zum Beispiel eh als Erzähler dabei. Muss man denn Kindern alles mundgerecht servieren, statt sie auch mal herauszufordern und sie daraus lernen zu lassen?
Das Werk ist an sich – wenn man Bachs Schaffen überblickt – jetzt nicht allzu kompliziert. Älteren Kindern ist das auch durchaus zuzumuten. Die Zielgruppe, die wir ansprechen wollen, sind eher Vorschulkinder ab vier Jahren. Und da könnte ein Konzert von eineinhalb Stunden schon überfordern. Die Fassung von Gusenbauer bietet hier ja dann auch einen pädagogischen Charakter. Die Kinder dürfen mitmachen, können Fragen hineinrufen, auf die dann der Erzähler auch reagiert. Das schafft ein ganz anderes Erlebnis.
Gerade aktuell unter Pandemiebedingungen hätte man so etwas doch auch als Livestream lösen können. Warum ist die Aufführung vor Publikum so wichtig?
Es ist wichtig, dass die Kinder direkt angesprochen werden und dann quasi mit den Ohren auf bestimmte musikalische und ästhetische Erfahrungen gelenkt werden. Das bekommt diesen Aspekt des unmittelbaren Staunens – ganz nah an den Instrumenten; als Erleben im Raum. Das hat einfach noch mal eine neue Qualität. Während der Pandemie haben wir Künstlerinnen und Künstler gelernt, dass die ganzen digitalen Inhalte zwar schön sind, um uns bei der Stange zu halten, aber nichts ist so toll wie der klingende Saal vor Ort, diese kleinen prägenden Momente, die man fast schon anfassen kann. Ich denke gerade, dass das für Kinder unheimlich wichtig ist – das kann auch kein Video, keine Unterrichtsreihe in der Schulklasse.
Wäre es nicht auch wichtig, auch vielen Erwachsenen einen leichteren Zugang zu schaffen, die mit der Materie weniger vertraut sind?
Ja absolut. Nur weil das Konzert jetzt an Kinder adressiert ist, heißt das ja nicht, dass Erwachsene nichts davon mitnehmen können, im Gegenteil. Also ich finde
Ist Bach so ernst, wie ihn das Denkmal in Leipzig zeigt? Matthias Racjzyk (l.) versucht mit seinen Musikern die Facetten Bachs leicht verständlich zu erläutern. das es besonders schön, dass da die Kinder die Eltern mitnehmen. An vielen renommierten Stellen ist man ja auch dazu gekommen, Konzerteinführungen zu geben – auch in solche Klassiker wie das Weihnachtsoratorium. Gerade bei Barockmusik ist es so, dass viele Leute eine gewisse Distanz haben, weil es eine sehr ausgearbeitete, gefühlt überladene, artifizielle Musik ist, die vielleicht nicht einen so direkten emotionalen Zugang bietet wie TschaikowskySymphonien mit klarerem emotionalen Inhalt. Und dann werden mit solchen Angeboten Grenzen aufgebrochen.
Auch Dirigenten lernen ja dazu.
Sie sind ja noch recht jung. Haben Sie allein schon durch die Vorbereitung für sich neue Perspektiven gewonnen – vielleicht ja auch gemeinsam mit den Musikerinnen und Musikern?
Also weder als Sänger, noch als Dirigent ist es mein erstes Weihnachtsoratorium, aber trotzdem hat die Beschäftigung mit der Kinderversion etwas ausgelöst:
Ich habe versucht, meine musikalischen Ideen in konkretere, fassbare Bilder für die Aktiven auf der
Bühne zu fassen. Wir haben viel in den Proben darüber gesprochen und uns Gedanken gemacht. „Was soll das eigentlich, was Bach da in seine Musik geschrieben hat? Was wollen wir dem Publikum kommunizieren, wenn wir das singen.
Und das setzt eben klare Bilder voraus und auch, dass wir uns als Ausführende dazu zwingen, in dieser Klarheit zu sein.
Könnten Sie da ein Beispiel nennen?
Der Eingangschor „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage“– warum setzt Bach da drei Paukenschläge gleich an den Anfang?
Und gleich danach der Triller in der Flöte? In welcher Beziehung steht das zu den ersten Worten, die wir singen? „Jauch“-„zet“, „froh“– „lo“– „cket“da imitieren wir die Pauken. Und bei „auf, preiset“sind wir quasi Trompeten. Diese Bilder helfen, das Stück nicht einfach nur zu singen, sondern eine ästhetische Erfahrung zu schaffen, die über die Sprache hinausgeht. Und ich hoffe, dass es gelingt, dass die Zuhörer so mehr Freude an dem Werk haben.
2019 haben Sie die Leitung der Chorschule mit ihren verschiedenen Klassen im Conservatoire du Nord übernommen. Sind solche pädagogische Projekte ein Fingerzeig Ihrer Ansätze und der Aktivitäten im Konservatorium?
Es ist mir ein Anliegen, die Vielfalt und die Möglichkeiten, die wir im Haus haben zu zeigen. Wir können allein schon durch die Nähe zu anderen Musikerinnen und Musikern, die verschiedenen Chorklassen und die Infrastruktur im Cape Konzertformate anbieten, die so kaum anderswo zu realisieren wären. Entweder weil die Finanzierung schwierig ist, es an Räumen oder der Unterstützung fehlt. Wir lernen mit solchen Projekten ja auch die Zusammenarbeit intern besser kennen und vertiefen unsere Gemeinschaft. Zum Beispiel denken wir konkret darüber nach, wie wir ein anstehendes Projekt – Martín Palmeris Tangomesse „Misa a Buenos Aires“– mit Tanzeinlagen erweitern könnten. Oder dass der Kinderchor sich mit der Gesangsklasse von Professorin Mariette Lentz zusammentut, um die Oper „Hänsel und Gretel“aufzuführen. Das ist so einfach an anderen Stellen schlicht nicht möglich.
Das bekommt diesen Aspekt des unmittelbaren Staunens – ganz nah an den Instrumenten; als Erleben im Raum.
Nichts ist so toll wie der klingende Saal vor Ort.
Am Sonntag, dem 12. Dezember, Bachs Weihnachtsoratorium im Cape Ettelbrück – um 15 Uhr Fassung für Kinder und Familien (Bearbeitung von Michael Gusenbauer), um 17 Uhr Originalfassung (Kantaten I – III). Mit dem Orchestre de Chambre du Luxembourg, dem Ensemble vocal du Conservatoire du Nord und den Solisten Véronique Nosbaum (Sopran), Jeff Mack (Contreténor) Alexander Gebhard (Tenor), Antonio Di Martino (Bass) unter der Leitung von Matthias Rajczyk. Karten für die beiden Aufführungen gibt es unter Tel. 26 81 26 81, per Mail an billetterie@cape.lu oder unter cape.lu.