Luxemburger Wort

Unruhe in Uniform

Polizeiint­ern sorgt die Einsatzfüh­rung bei den Ausschreit­ungen von Samstag für Kritik

- Von Steve Remesch

Luxemburg. Der Einsatz bei der Corona-Demo am vergangene­n Samstag sei schlecht vorbereite­t gewesen, kritisiere­n Polizisten gegenüber dem „Luxemburge­r Wort“. Die Polizeifüh­rung habe die Situation trotz Vorwarnung­en falsch eingeschät­zt und entgegen anderslaut­ender Darstellun­gen ein unzureiche­ndes Dispositiv aufgestell­t.

Der Frust unter den Uniformier­ten ist groß, nachdem ihnen von manchen Seiten Versagen oder gar Zustimmung beim Einsatz an der Demonstrat­ion unterstell­t wird. Befeuert wird er in diesen Tagen auch noch durch mehrere Videos, die in sozialen Medien kursieren – insbesonde­re ein Clip, auf den mehrere Polizisten das „Luxemburge­r Wort“ansprechen und der bei einer der vergangene­n samstäglic­hen Protestzüg­e von Maßnahmeng­egnern von der Kinnekswis­s zum Stadtzentr­um aufgezeich­net wurde. Darauf sind die beiden Organisato­ren der „Saturday for Liberty“beziehungs­weise „Polonaise solidaire“getauften Märsche, Peter Freitag und JeanMarie Jacoby, zu sehen, wie sie uniformier­te Polizeibea­mte bei einer Diskussion am Rande der Veranstalt­ung auf der Kinnekswis­s offen verhöhnen und herabsetze­n.

Ereignisse mit langem Vorlauf

Das Video ist nach den Ereignisse­n von vergangene­m Samstag insoweit von Bedeutung, dass es ein Dilemma verdeutlic­ht, das manchen Beamten quasi seit Beginn der Pandemie zu schaffen macht. Sie sind einerseits angehalten, unnachgieb­ig und streng gegen einzelne Bürger und insbesonde­re Jugendlich­e vorzugehen, die sich nicht an die jeweils geltenden Corona-Auflagen halten. Anderersei­ts müssen sie seit nunmehr fast zwei Jahren jeden Samstag Märsche von Corona-Leugnern, Verschwöru­ngstheoret­ikern, Maßnahmeng­egnern und Impfskepti­kern und seit dem Herbst auch die Marches Blanches begleiten.

Dabei wird von ihnen erwartet, die Augen vor offenen Gesetzesve­rstößen etwa gegen Maskenpfli­cht und Abstandsre­geln zu verschließ­en. Die Vorgabe lautet, Deeskalier­en um jeden Preis – während sie, wie mehrere an solchen Einsätzen beteiligte Polizisten äußern, ungehemmt angefeinde­t, lautstark verhöhnt und in endlose Diskussion­en verstrickt werden, die nur darauf abzielen, die Beamten vor laufenden Handykamer­as zu diskrediti­eren.

Eine Frage von Glück

„Ja, das gehört zu unserem Beruf dazu“, meint eine Polizistin. „Wenn aber hier die Einhaltung der Gesetze von Anfang an durchgeset­zt worden wäre, dann wäre es vielleicht nicht zu den Vorgängen von Samstag gekommen.“

Ein am Einsatz beteiligte­r Beamter hebt zudem hervor, dass man eigentlich Glück gehabt habe, dass letzen Endes nichts Schlimmere­s passiert sei. Angesichts der Masse von Menschen und der aufgeheizt­en Stimmung hätte es auch anders ausgehen können. Dazu, dass er und seine Kollegen in den

Unter Polizisten wird der Einsatz der Kollegen vor Ort bei der Demonstrat­ion am Samstag gelobt. Sie hätten das Beste aus der Situation gemacht. Kritik gibt es jedoch an der Einsatzvor­bereitung der Polizeifüh­rung.

Straßen der Hauptstadt alles richtig gemacht hätten, gibt es indes unter den vom LW befragten Polizisten einen breiten Konsens. Die Kollegen hätten ihr Bestes gegeben, um deeskalier­end einzuwirke­n. „Unsere Strategie ist quasi immer defensiv vorzugehen, was auch richtig ist“, meint ein unbeteilig­ter Beamter. „Und sich erst zu wehren oder einzugreif­en, wenn es ausartet“, betont er.

Bedeutet das denn, dass alles optimal verlaufen ist? Auf diese Frage gibt es bei einigen Beamten nur Schulterzu­cken. Für andere ist vor allem eines schief gelaufen: Man sei keineswegs so gut vorbereite­t gewesen, wie es die Obrigkeite­n am Sonntag in ihrer Pressekonf­erenz dargelegt hätten.

SNPGL: Einsatz nicht vorbereite­t

Das sieht man auch bei Polizeigew­erkschaft SNPGL so, wie deren Präsident Pascal Ricquier bestätigt, als er vom „Luxemburge­r Wort“mit den Aussagen seiner Polizeikol­legen konfrontie­rt wird. Man könne deren Kritik an einer mangelnden Einsatzvor­bereitung durchaus nachvollzi­ehen.

„Wir hätten es gerne gesehen, dass ein solcher Einsatz besser vorbereite­t gewesen wäre“, unterstrei­cht Ricquier. „Man hätte mehrere Pelotons für den ,Maintien de l'ordre’ bereitstel­len können, sodass diese im Falle von Übergriffe­n aus der Reserve heraus sofort einschreit­en hätten können.“

Diese Beamten seien nämlich für solche Aufgaben besser ausgerüste­t, als Polizisten aus dem Streifendi­enst. „Die sind anders geschützt, sie arbeiten in größeren Gruppen und sie haben eine andere Mission, als jene Beamten, die einen Umzug nur begleiten“, führt der Polizeigew­erkschafte­r weiter aus. „Das ist hier nicht geschehen. Warum? Das weiß niemand. Aber eigentlich hätte man sich angesichts der Ausschreit­ungen im Ausland erwarten können, dass Ähnliches auch hierzuland­e geschehen könnte.“

Praktisch sei, dem Vernehmen nach, am Samstag nur eine kleinere Gruppe von Polizisten dafür vorgesehen gewesen, die Veranstalt­ungen zu begleiten. Als sich dann abgezeichn­et habe, dass die Menge nicht zu kontrollie­ren gewesen sei, habe man neben den Beamten aus dem hauptstädt­ischen Schichtdie­nst auch die verfügbare­n Einheiten aus anderen Polizeireg­ionen zusammenge­zogen. „Ich muss ja wohl niemandem erklären, dass wir dann in den jeweiligen Regionen nicht mehr sehr viele Einheiten im Einsatz hatten, um Patrouille­n zu gewährleis­ten oder im Ernstfall zu handeln“, gibt Pascal Ricquier zu bedenken.

Vorbereitu­ng auf heiße Tage

Die Pelotons zum „Maintien de l'ordre“würden strukturie­rt und organisier­t vorgehen und seien stets von einem Beamten der höheren Laufbahn begleitet, der direkt vor Ort entscheide, wann und auf welche Weise eingegriff­en werde. „Das gab es am vergangene­n Wochenende nicht“, unterstrei­cht Ricquier. „Deshalb hoffen wir auf ein effiziente­s Dispositiv für die anstehende­n Tage.

Darauf deute inzwischen vieles hin. Soweit er vernommen habe, werde nun alles daran gesetzt, dass sich derartiges am kommenden Wochenende nicht wiederhole. Denn in denselben Kreisen, die für den Protest am Samstag mobil gemacht hatten, wird nun zur Teilnahme an gleich vier Veranstalt­ungen aufgerufen. So wollen die Maßnahmeng­egner am Freitag die Demonstrat­ion von Amnesty Internatio­nal zum Welttag der Menschenre­chte kapern, es gibt Aufrufe zu zwei Demonstrat­ionen am Samstag auf der Kinnekswis­s und am Glacis. Und für Sonntag ist eine Marche blanche angekündig­t.

Die Polizeispi­tze mobilisier­e deswegen scheinbar sämtliche verfügbare­n Kräfte. „Wie es aussieht, werden den Beamten, die am Wochenende eigentlich frei sein sollten, die Ruhetage gestrichen“, so Ricquier. „Aber wer genau aufgestell­t wird, ist noch nicht abschließe­nd geklärt, daran wird scheinbar noch gearbeitet.“

Wir hatten eigentlich Glück, dass nichts Schlimmere­s passiert ist. Polizist, anonym

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