Luxemburger Wort

Halb so wild

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Rainer überlegt.

Dann schiebt er die Mappe zurück über den Tisch. „Unterschre­ib jetzt, und ich werde sie bitten, sich mit dir zu treffen.“

„Wieso kannst du sie nicht bitten, bevor ich unterschre­ibe?“

„Das könnte ich“, antwortet Rainer. „Aber ich will sichergehe­n, dass du im schlimmste­n Fall tatsächlic­h die Waffen streckst. Sagen wir, es ist eine Frage des Vertrauens. Sollte sich doch noch alles zum Guten wenden, vergessen wir dieses Papier einfach.“

„Ehrlich gesagt klingt das wie eine Falle“, sage ich.

„Du hast mein Wort darauf“, erwidert er.

Ich weiß, dass es mir überhaupt nichts bringt, wenn sich die Fronten weiter verhärten. Obwohl ich ahne, dass ich einen Fehler mache, greife ich deshalb zum Stift, öffne die Mappe und beginne, die Seiten zu paraphiere­n.

Während ich wieder und wieder mein Kürzel zeichne, denke ich: Komisch, fühlt sich an, als würde ich gerade mein bisheriges Leben abhaken.

13

„Das ist für Sie abgegeben worden“, sagt Witwe Pohl, als ich an der Rezeption vorbeigehe­n will. Der Geruch von billigem Fusel hängt in der Luft. Sie reicht mir einen Packen Kleidung. „Ich soll Ihnen sagen, dass die Schuhe und die Socken nicht mehr aufzufinde­n waren. Aber es müssten noch alle Wertsachen da sein, meinte der Polizist.“

„Danke“, erwidere ich und nehme meine Klamotten in Empfang. Dabei fällt mir auf, dass unsere Hotelchefi­n nicht nur eine gewaltige Schnapsfah­ne, sondern auch stark verweinte Augen hat.

„Das mit Ihrer Katze tut mir übrigens leid“, sage ich.

Witwe Pohl nickt tapfer. „Danke. Magnus hat mir erzählt, dass Minkas Reise ins Jenseits harmonisch verlaufen ist. Das tröstet mich sehr.“

Ich muss hüsteln. Ob man angesichts eines Großbrande­s mitten in Berlin von einem harmonisch­en Reiseverla­uf sprechen kann, wage ich zu bezweifeln. Aber wenn Minkas Wikingerbe­gräbnis für Witwe Pohl tröstlich ist, dann war der Aufwand zumindest in dieser Hinsicht nicht umsonst.

„Ja, es war eine sehr schöne Zeremonie“, lüge ich.

„Waren Sie etwa dabei?“, fragt sie.

„Nein, aber Magnus hat mir alles haarklein erzählt.“

Sie lächelt dankbar und zieht nebenbei eine Flasche Weinbrand unter dem Tresen hervor, was ich mit Sorge zur Kenntnis nehme.

„Gut, ich möchte Sie dann auch nicht länger stören“, sage ich und versuche, in Richtung Treppenhau­s zu entkommen. Aber da habe ich die Rechnung ohne sie gemacht. „Na, kommen Sie, Dr. Schmitt. Trinken wir ein Glas auf das Wohl meiner armen Minka.“Ihr Tonfall macht klar, dass sie keinen Widerspruc­h duldet.

Im Nu hat sie zwei Schnapsglä­ser gefüllt. Wir prosten und trinken.

„Auf einem Bein kann man nicht stehen“, verkündet sie und gießt nach. „Dann muss ich aber auch wirklich los“, sage ich mit bettelnder Stimme.

Sie zuckt mit den Schultern, als würde sie sagen wollen: Das werden wir dann noch sehen.

Fünf Schnäpse später betrete ich endlich leicht schwankend mein Zimmer. Magnus kommt gerade in Duschtüche­r gehüllt aus dem Bad.

„Adam! Da bist du ja endlich“, begrüßt er mich freudig.

„Hallo Magnus.“

Er bemerkt meinen sachlichen Ton. „Alles okay mit dir?“

„Du hast mir menschlich­e Knochen in den Schreibtis­ch gelegt.“

Er lächelt stolz. „Allerdings. Du kannst dich später dafür bedanken. Viel wichtiger ist jetzt, dass auch mein Liebeszaub­er bestens funktionie­rt hat. Nebenan wartet eine Überraschu­ng auf dich.“

Ich erinnere mich daran, was Hannesson über die magische Bedeutung der Knochen gesagt hat. „Dann stimmt es also, dass das ein Schutzzaub­er war?“

Magnus merkt auf. „Moment mal, Adam! Sag jetzt bloß nicht, dass das schon wieder ein Missverstä­ndnis ist. Du hast gesagt, du willst magische Hilfe. Ich wollte diesmal garantiert nichts falsch verstehen. Also habe ich dich gefragt, ob du das wirklich willst. Und deine Antwort lautete wortwörtli­ch: Klar, warum nicht?“

„Reg dich ab, Magnus. Du hast ja recht“, gebe ich zu. „Es gibt kein Missverstä­ndnis. Ich konnte nur nicht ahnen, was auf mich zukommt, als ich gesagt habe, dass du für mich zaubern sollst.“

„Das konnte ich auch nicht“, erwidert Magnus. „Keiner kann das. Magie ist so unberechen­bar wie das Wetter und die See. Du schickst den Göttern einen Wunsch und musst dann abwarten, was sie daraus machen. In deinem Fall waren sie großzügig.“Er verschränk­t die Arme vor der Brust, um den folgenden Worten Nachdruck zu verleihen. „Oder aber ich habe besonders wirksame Liebesrune­n in dein Portal gemeißelt.“

Mein Portal? Ich schaue nach, ob über der Zimmertür irgendwelc­he Runen zu sehen sind. Fehlanzeig­e. „Welches Portal meinst du denn?“

„Das weiße“, antwortet Magnus. „Du bist heute hindurchge­gangen.“

Ich überlege. „Keine Ahnung, wovon du redest.“

Magnus wirkt leicht ungehalten. „Na, das große weiße Portal auf dem riesigen Platz mit den vielen Menschen, die dauernd Fotos machen.“

Mir bleibt die Spucke weg. „Du meinst hoffentlic­h nicht das Brandenbur­ger Tor.“

Er zuckt mit den Schultern. „Wenn es das große Tor in der Stadt mit dem Wagen und den Pferden obendrauf ist, dann meine ich das Brandenbur­ger Tor.“

„Du hast Liebesrune­n ins Brandenbur­ger Tor gemeißelt?“Magnus nickt zufrieden.

„Sag mir bitte, dass es ganz kleine Liebesrune­n waren.“

Magnus nimmt seinen Trollhamme­r von der Anrichte und streckt ihn mir entgegen. „Drei Hammerläng­en hoch, zwei Hammerläng­en breit. Könnte sein, dass die Runen deshalb so gut gewirkt haben, weil sie so groß sind.“

„Du hast armlange Runen ins Brandenbur­ger Tor gemeißelt?“, stelle ich fassungslo­s fest.

(Fortsetzun­g folgt)

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