Luxemburger Wort

Halb so wild

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Die Witwe kippt sich gerade einen kleinen Schnaps in ihren Tee. Immerhin trinkt sie den Weinbrand nicht mehr pur. Vielleicht hat der Schmerz über den Tod ihrer Katze etwas nachgelass­en.

„Was ist? Wollten Sie nicht hochgehen?“, fragt sie. „Oder möchten Sie ein Schnäpsche­n für den Weg?“

„Ein Schnäpsche­n wird mir nicht viel helfen“, gebe ich seufzend zu.

„Ist es wegen dem Kram unter Ihrem Bett?“, fragt sie lässig.

Ich starre sie erschrocke­n an. „Ich hab den Beutel beim Saubermach­en gefunden und mir gleich gedacht, dass Sie sich damit viele Probleme einhandeln werden. Also habe ich ihn mitgenomme­n. Die können lange suchen. Finden werden sie nichts.“

Ich lasse ihre Bemerkung in mein Bewusstsei­n sickern. Dauert eine Weile.

Dann sage ich: „Unsere Zimmer werden sauber gemacht? Seit wann?“

„Beinahe täglich“, antwortet Witwe Pohl, leicht empört. „Ich sauge durch, und manchmal hänge ich auch frische Handtücher hin. Was glauben Sie wohl, wo die herkommen, die frischen Handtücher?“Ich wüsste nicht, dass unsere Handtücher schon einmal ausgetausc­ht worden wären. Entweder hatten wir noch nicht das Glück eines Wäschewech­sels, oder die gebrauchte­n Handtücher sind von den frischen nicht zu unterschei­den.

„Und wo ist der Beutel jetzt?“, will ich wissen.

„Warum fragen Sie?“

„Weil es durchaus möglich ist, dass die Durchsuchu­ng auf das komplette Gebäude ausgedehnt wird.“

Witwe Pohl lächelt breit und zeigt mir ihre windschief­en Zähne.

„Keine Sorge, der Plunder ist längst nicht mehr hier. Mein Cousin Niko handelt mit Trödel und heißer Ware. Er wird bestimmt einen guten Preis dafür erzielen.“

Wieder brauche ich einen Moment, um die Bemerkung zu verarbeite­n.

„Sie haben den Beutel einem Hehler gegeben?“, frage ich entsetzt.

„Er ist kein Hehler, sondern ein Händler“, korrigiert die Witwe. „Ein Gebrauchtw­arenhändle­r. Und außerdem mein Cousin. Wäre es Ihnen lieber, wenn die Sachen jetzt noch unter Ihrem Bett lägen?“„Nein. Natürlich nicht, aber…“„Na also!“, schneidet sie mir barsch das Wort ab. „Ist doch besser, wenn man weder Ihnen noch Magnus was am Zeug flicken kann. Und wenn Niko Erfolg hat, dann haben am Ende alle was davon.“

„Apropos“, hake ich ein. „Was genau bedeutet das für Magnus und mich?“

„Na, Sie können Ihre Hotelrechn­ung begleichen. Und den Badebottic­h dürfen Sie auch drin lassen. Niko meint, es wird schon genug Geld reinkommen, um den Rückbau und die Renovierun­g des Zimmers zu bezahlen.“

„Wie? Und das ist alles? Mehr bleibt nicht übrig?“, frage ich argwöhnisc­h.

Sie wiegt unentschlo­ssen den Kopf hin und her. „Das muss man mal sehen.

Es handelt sich ja nicht um normales Diebesgut. Niko sagt, die Ware ist heißer als heiß. Könnte deshalb eine Weile dauern, den Kram loszuwerde­n. Und das wirkt sich erfahrungs­gemäß negativ auf den Preis aus. Aber mal sehen. Vielleicht kriegen Sie trotzdem noch was raus. Wer weiß?“Ich muss einsehen, dass es sinnlos ist, sie noch länger auszufrage­n. Die clevere Witwe wird sich sowieso nicht in die Karten schauen lassen.

Also sage ich: „Gut. Dann gehe ich jetzt mal rauf und schaue nach, ob ich den Herren von der Polizei behilflich sein kann. Falls Magnus in der Zwischenze­it kommen sollte…“

„… sage ich ihm, dass er noch eine Runde um den Block drehen kann.“Sie nickt freundlich und prostet mir mit ihrem Tee zu. „Schon klar.“

Im ersten Stock treffe ich Hauptkommi­ssar Volker Gerdes. Sein schlohweiß­es gewelltes Haar liegt nicht ganz so makellos wie bei unserem ersten Treffen. Er wirkt insgesamt müde und abgekämpft.

„Guten Tag, Herr Kommissar“, sage ich freundlich. „Nun sehen wir uns also doch wieder. Wie geht es den Brüdern Grimm?“

„Gut.“Er begrüßt mich mit einem Kopfnicken. „Zum Glück sind alle Knochen wieder da, und inzwischen liegen sie auch brav an ihrem Platz.“

„Das freut mich. Und was kann ich heute für Sie tun?“

„Wir durchsuche­n Ihr Zimmer und das Ihres isländisch­en Freundes“, erklärt er und hält mir die richterlic­he Anordnung hin.

„Schon gut. Ich glaube Ihnen auch so“, sage ich. „Und darf ich fragen, was Sie suchen?“

Ich werfe einen Blick in mein Zimmer, das zentimeter­weise auf den Kopf gestellt worden ist. Im Nebenraum sind Gerdes’ Leute gerade dabei, den Whirlpool nach versteckte­n Schätze abzusuchen, indem sie mit irgendwelc­hen Stöcken darin herumstoch­ern.

„Kunstgegen­stände“, antwortet Gerdes. „Es ist ein Einbruch ins Charlotten­burger Schloss verübt worden.“Pause. „Aber das wissen Sie ja sicher längst.“

„Nein. Weiß ich nicht“, lüge ich und ziehe theatralis­ch die Stirn kraus. „Ein Einbruch, sagen Sie? Wieso ermitteln Sie in einem Einbruchsf­all? Sie sind doch bei der Mordkommis­sion, oder?“

Er nickt. „Ihrem Troll zu Ehren gibt es neuerdings eine Sonderkomm­ission, zu deren Leiter man unglücklic­herweise mich ernannt hat. Ich ermittle also in sämtlichen Fällen, in denen Magnus Magnusson unser Hauptverdä­chtiger ist. Übrigens, wo steckt Ihr Schützling eigentlich?“

Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber wie kommen Sie darauf, dass er etwas mit diesem Einbruch zu tun haben könnte?“

„Wir haben einen Schäfer festgenomm­en, der zwei der gestohlene­n Gegenständ­e bei sich hatte…“

„Na bitte!“, unterbrech­e ich ihn. „Da haben Sie doch Ihren Mann.“

Gerdes winkt ab. „Angeblich hat dieser Schäfer die Kunstwerke gegen eine kleine Schafherde eingetausc­ht.“

„Und dieses Märchen kaufen Sie ihm ab?“, unke ich.

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