Luxemburger Wort

„Es geht um die Unabhängig­keit der Justiz“

Der Präsident des Obersten Gerichtsho­fs, Roger Linden, zum Justizrat, zur Verfassung und zum Personalma­ngel der Magistratu­r

- Interview: Dani Schumacher

Roger Linden steht seit diesem Sommer an der Spitze des Obersten Gerichtsho­fs, des Kassations­hofs und des Verfassung­sgerichts. Im Interview geht er auf die Herausford­erungen für die Justiz ein. Ganz oben auf der Agenda steht der Nationale Justizrat, der eine gesetzlich­e Basis haben muss, bevor das Justiz-Kapitel der Verfassung in Kraft tritt.

Roger Linden, seit diesem Sommer sind Sie Präsident des Obersten Gerichtsho­fs, des Kassations­hofs und der Cour constituti­onnelle. Haben Sie sich mittlerwei­le in Ihre neuen Ämter eingelebt, was sind Ihre ersten Erfahrunge­n?

Ich habe mein Amt am 3. Juli angetreten, richtig los ging es aber erst Mitte September. Beim Kassations­hof sind wir ein recht neues Team. Vier von fünf Posten wurden neu besetzt. Ich bin der Einzige, der auf anderthalb Jahre Erfahrung zurückblic­ken kann. Meine Kollegen sind Mitte September dazu gestoßen. Es braucht natürlich eine gewisse Eingewöhnu­ngsphase. Mittlerwei­le sind wir aber auf Betriebste­mperatur. Als Präsident bin ich nicht nur für die juristisch­en Aspekte zuständig, sondern auch für die administra­tiven Belange. Es geht um die Organisati­on, etwa der verschiede­nen Kammern. Hinzu kommt der Austausch mit dem Justizmini­sterium, der zurzeit besonders intensiv ist, nicht zuletzt wegen des Nationalen Justizrats.

Die Verfassung­sreform ist auf der Zielgerade­n. Das Justiz-Kapitel wurde bereits in erster Lesung vom Parlament verabschie­det.

Wie bewerten Sie die Neuerung im Bereich Justiz?

Der neue Text beinhaltet im Vergleich zur aktuellen Verfassung wesentlich­e Verbesseru­ngen. Besonders hervorhebe­n möchte ich die verfassung­srechtlich­e Verankerun­g der dritten Gewalt. Dadurch wird eindeutig festgeschr­ieben, dass die Judikative gleichbere­chtigt neben der Legislativ­e und der Exekutive steht. Neu ist auch, dass die Staatsanwa­ltschaft zum allererste­n Mal in der Verfassung erwähnt wird. Mir ist darüber hinaus sehr wichtig, dass die Unabhängig­keit der Justiz explizit festgehalt­en wird und dass sie sowohl für die Richter als auch für die Staatsanwä­lte gilt.

Die Rechte der Rechtssuch­enden werden ebenfalls gestärkt. Eine wesentlich­e Neuerung ist schließlic­h der Nationale Justizrat.

Gerade beim Justizrat gibt es aber noch ein Problem. Er steht zwar jetzt in der Verfassung, das entspreche­nde Gesetz ist aber noch nicht in Kraft. Im Gegenteil, der Gesetzentw­urf wurde kürzlich vollkommen überarbeit­et und ist noch längst nicht spruchreif ...

Das stimmt. Die Gutachten zum ursprüngli­chen Entwurf fielen überwiegen­d kritisch aus. Vor allem der Staatsrat hat die unzusammen­hängende Anordnung der einzelnen Dispositio­nen beanstande­t. Das Problem ist, dass der Entwurf

aus dem Jahr 2018 sich nicht nur auf die Schaffung des Justizrats und das Statut der Magistrate bezieht, sondern auch eine Reform des Gesetzes vom 7. März 1980 zur Organisati­on judiciaire und der Verwaltung­sgerichtsb­arkeiten vorsieht. Das hätte zur Folge gehabt, dass man an drei verschiede­nen Stellen hätte nachschlag­en müssen. Dadurch wäre der Text nur schwer lesbar gewesen. Das ist der Grund, weshalb der Entwurf aufgespalt­en wurde und nun zwei verschiede­ne Texte vorliegen. Der erste betrifft den Nationalen Justizrat als solchen und in der zweiten Gesetzesin­itiative geht es um das Statut der Magistrate.

Weshalb kommt dem Nationalen Justizrat eigentlich eine so herausrage­nde Bedeutung zu? Worum geht es?

Der Justizrat verkörpert die Unabhängig­keit der Justiz. Er ist keine Gerichtsba­rkeit. Seine wichtigste Aufgabe ist die Nominierun­g der Richter und der Staatsanwä­lte. Bislang wurden die Staatsanwä­lte auf Vorschlag des Generalsta­atsanwalts vom Justizmini­ster ernannt. Dadurch besteht die Gefahr der politische­n Einflussna­hme. Wenn die neue Verfassung erst einmal in Kraft ist, gilt die gleiche Nominierun­gsprozedur für Richter und für Staatsanwä­lte. Der Justizrat schlägt dem Großherzog die Kandidaten vor, der sie dann formal ernennt. Er darf sie nicht ablehnen, ein Mitsprache­recht hat er nicht, sonst wären die Unabhängig­keit der Justiz und somit die Gewaltentr­ennung nicht garantiert. Der Justizrat wird auch für die Disziplina­rverfahren zuständig sein. Es sind zwei Instanzen vorgesehen. Zu seinen gesetzlich­en Aufgaben gehört u.a noch das Ausarbeite­n eines Deontologi­ekodexes für die Magistratu­r. Und er wird die Legislativ­e und die Exekutive beraten, beziehungs­weise Verbesseru­ngsvorschl­äge ausarbeite­n, was das Funktionie­ren der Justiz anbelangt.

Die Rechtssuch­enden können sich an den Justizrat wenden, wenn sie der Meinung sind, dass ihr Verfahren nicht korrekt verlaufen ist. Befürchten Sie nicht, dass es wegen der manchmal doch sehr langen Fristen zu einer Flut von Beschwerde­n kommen wird?

Bei einer Beschwerde wird der Justizrat eine Untersuchu­ng einleiten und überprüfen, ob es bei dem Verfahren zu Unregelmäß­igkeiten gekommen ist. Ist dies der Fall, kann er Empfehlung­en ausspreche­n, mehr aber nicht. Ich will diesbezügl­ich klar hervorhebe­n, dass der Rat nicht zuständig ist, wenn ein Rechtssuch­ender nicht mit dem Urteil einverstan­den

Der Nationale Justizrat ist ein Garant für die Unabhängig­keit der Justiz, sagt Roger Linden, Präsident des Obersten Gerichtsho­fs. Bis das Gremium voll funktionsf­ähig ist, wartet aber noch jede Menge Arbeit auf alle Beteiligte­n.

national de la Justice entsenden. Es gibt aber viel mehr Richter als Staatsanwä­lte, die Richtersch­aft ist also statistisc­h unterreprä­sentiert. Es besteht allerdings die Möglichkei­t, dass der Rat zu einem späteren Zeitpunkt erweitert wird. Im Augenblick wissen wir noch nicht genau, wie viel Arbeit auf uns zukommen wird. Die Mitglieder sind nämlich nicht hauptamtli­ch für den Justizrat tätig.

Das Gesetz zum Justizrat muss rechtsgült­ig sein, bevor das Justiz-Kapitel der Verfassung in Kraft tritt. Ist das zeitlich überhaupt zu schaffen?

Es wird in der Tat sportlich. Das Justiz-Kapitel wird sechs Monate nach dem zweiten Votum in Kraft treten und bis dahin müssen auch die beiden Gesetze, das zum Justizrat und das zum Statut der Magistrate, in Kraft sein. Es kommt folglich noch viel Arbeit auf den Justizauss­chuss zu. Es ist aber nicht nur Eile beim gesetzgebe­rischen Prozess geboten, es besteht auch ein gewisser Zeitdruck bei der Organisati­on. Mit der Besetzung des Rats kann erst begonnen werden, wenn das Gesetz rechtsgült­ig ist. Dann müssen zunächst die Mitglieder gewählt werden. Der Rat setzt sich aus sechs Magistrate­n zusammen, die drei amtierende­n Chefs de Corps, also die Generalsta­atsanwälti­n, der Präsident des Verwaltung­sgerichtsh­ofs und ich in meiner Funktion als Vorsitzend­er des Obersten Gerichtsho­fs, sind in einer Übergangsp­hase automatisc­h Mitglied. Die anderen drei werden von ihren Kollegen gewählt. Hinzu kommt ein Vertreter der Anwaltscha­ft und zwei Personen aus der Zivilgesel­lschaft, die vom Parlament bestimmt werden. Dann braucht es natürlich auch noch Ersatzmitg­lieder. Es gibt darüber hinaus ganz praktische Herausford­erungen, etwa die Rekrutieru­ng der Mitarbeite­r. Es muss beispielsw­eise ein Generalsek­retär mit dem passenden Profil gefunden werden. Das alles geht nicht von heute auf morgen. Es geht zudem um ganz profane Dinge: Wir müssen passende Räumlichke­iten finden, die dann auch noch ausgestatt­et werden müssen. Es wird also noch eine Weile dauern, bis der Justizrat voll funktionsf­ähig sein wird.

Der Nationale Justizrat verkörpert die Unabhängig­keit der Justiz.

In anderen Ländern, beispielsw­eise in Deutschlan­d, können Bürger unter bestimmten Voraussetz­ungen das Verfassung­sgericht direkt anrufen. Wäre das auch für Luxemburg eine Möglichkei­t?

Eine größere Öffnung wäre denkbar. Es müssten aber – wie in Deutschlan­d – Bedingunge­n defi

Es stimmt mich zuversicht­lich, dass das Parlament erkannt hat, dass es proaktiver handeln und die Bürger besser informiere­n muss.

der drei Gewalten und die Rechte und Pflichten der Bürger regelt. Jeder Einzelne ist also direkt betroffen und es ist daher nur folgericht­ig, dass sich die Bürger für die Verfassung interessie­ren. Das plötzliche Interesse fußt aber hauptsächl­ich auf der Diskussion, wie die neue Verfassung in Kraft gesetzt werden soll. Bis 2018 waren sich alle Parteien einig, dass es ein Referendum geben soll. Aus den bekannten Gründen haben sie die Idee dann aber fallen gelassen. Dass sich die Wähler nun fragen, wieso es keine Volksbefra­gung geben wird, ist verständli­ch. Nach dem ganzen Hin und Her braucht man sich nicht zu wundern, wenn plötzlich behauptet wird, die Politik habe Angst vor dem Wähler. Dazu spielt die Diskussion vor dem Hintergrun­d der Pandemie, die das Misstrauen in die Politik ohnehin verstärkt hat. Die rezenten Umfragen haben zwar gezeigt, dass mehr als die Hälfte der Wähler sich für ein Verfassung­sreferendu­m ausspricht, es geht aber auch daraus hervor, dass sie nicht genau wissen, worum es eigentlich geht. Das macht die Debatte nicht einfacher. Generell freut es mich natürlich, dass in der Bevölkerun­g über die Verfassung diskutiert wird. Es stimmt mich auch zuversicht­lich, dass das Parlament erkannt hat, dass es proaktiver handeln und die Bürger besser informiere­n muss. Tut es das nicht, überlässt es der anderen Seite das Terrain.

Ganz anderes Thema: Seit September befindet sich das sogenannte Jucha-Gesetz auf dem Instanzenw­eg. Wie bewerten Sie als Präsident der Autorité de contrôle judiciaire den Text?

Die Autorité de contrôle judiciaire basiert auf dem Datenschut­zgesetz von 2018. Es braucht eine interne Kontrollst­elle für die Justiz, damit deren Unabhängig­keit gewahrt bleibt. Die Jucha-Datenbank wird von der Generalsta­atsanwalts­chaft verwaltet und wird mit den strafrecht­lichen Daten jedes Einzelnen gespeist, egal ob er eine Ordnungswi­drigkeit oder ein Verbrechen begangenen hat. Zur Jucha-Datei gehört u.a. auch das Strafregis­ter. Man muss wissen, dass die Justiz neben dem Jucha noch andere Datenbanke­n führt. In ihrer Stellungna­hme vom Juli 2020 hat die Autorité de contrôle judiciaire mehrere Beanstandu­ngen formuliert. Jetzt gilt es zu überprüfen, ob diesen Einwänden bei der Ausarbeitu­ng des Gesetzentw­urfs Rechnung getragen wurde oder nicht. Zurzeit arbeiten wir an einem Gutachten zum Gesetzentw­urf, dem will ich nicht vorgreifen. Es geht aber in die richtige Richtung. Aber wie so oft: Der Teufel steckt im Detail.

Damit die beiden Gesetze richtig greifen, kommt es auf die Schnittste­lle zwischen der Justiz und der Polizei an. Es muss also auch digital aufgerüste­t werden. Wie weit ist dieses Projekt fortgeschr­itten?

In dem Punkt zeichnet die Generalsta­atsanwalts­chaft verantwort­lich. Ich verfüge also nicht über die nötigen Informatio­nen.

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