Schulterschluss
Selbst wenn Weihnachten vor einem Jahr wegen der Pandemie nicht das gewohnte, besinnliche Familienfest war, so gab es damals doch eine realistische Aussicht auf ein Ende des Dauer-Ausnahmezustands. Die in Rekordzeit entwickelten Impfstoffe ließen eine gewisse Zuversicht aufkommen.
Heute, einen Tag vor Beginn des dritten Corona-Jahres, muss man feststellen, dass diese Hoffnungen ein Stück weit überzogen waren. Die Impfkampagne ist nicht so reibungslos und erfolgreich verlaufen wie erhofft. Ein schnelles Ende der Pandemie ist nicht in Sicht. Und statt Aufbruchstimmung als Resultat der gemeinsam gemeisterten Bedrohung scheint der Spaltpilz bis in die Kernzellen des Gemeinwesens vorgedrungen zu sein.
Tatsächlich stellt uns die Debatte um freiwillige und verpflichtende Impfung vor die Frage, wie viel Dissens eine Gesellschaft aushalten muss und bis wohin der demokratische Dialog gehen kann, wenn eine akute Gefahr für das Gemeinwohl zum Handeln zwingt. Die häufig zitierte Spaltung der Gesellschaft geht eben nicht durch die Mitte der Bevölkerung. Vielmehr sieht der bei weitem größte Teil der Bürger die Impfungen eindeutig positiv. Es war deshalb wichtig, dass sich Bürger der schweigenden Mehrheit in den letzten Wochen öffentlich zu Wort gemeldet haben, und dass Ärzte und Krankenpfleger – die wahren Helden der Pandemie – mit Schweigeminuten auf die extreme Arbeitsbelastung und den drohenden Kollaps der Gesundheitssysteme aufmerksam gemacht haben.
Wenn wir im neuen Jahr auf bessere Zeiten hoffen wollen, dann dürfen wir dennoch den Dialog nicht abreißen lassen. Es sind ja nicht nur Impfskeptiker, die Ängste und Sorgen haben, sondern durchaus auch Impfbefürworter: Wie gefährlich sind die neuen Varianten? Wie zuverlässig schützen Vakzine auf mittlere und längere Sicht? Wann werden wir wieder unser gewohntes Leben führen können? Es muss dabei immer wieder auf den individuellen und gemeinschaftlichen Nutzen von Impfung und Schutzmaßnahmen hingewiesen werden, ohne Schuldzuweisung und gegenseitige Kränkung. Es muss weiter aufgeklärt werden über den sich ständig wandelnden Stand der Forschung und den dynamischen Verlauf der Pandemie. Das ist langwierig und anstrengend, aber alternativlos. Denn nur Transparenz schafft Vertrauen.
Am Ende dieses Jahres sollten wir uns auf das Geleistete besinnen und uns neue, gemeinsame Ziele setzen. Das Virus zurück zu drängen, gehört an erste Stelle, wenn es sein muss auch mit einer Impfpflicht. Gleichzeitig müssen wir uns darum kümmern, dass sich Ungleichheiten in der Gesellschaft wegen der Pandemie nicht weiter vertiefen, wie sich in der Schule beispielhaft zeigt: Wenn etwa Grundschüler Wissens- und Kompetenzlücken aufbauen, weil sie zu Hause nicht ausreichend gefördert werden können, dann beeinträchtigt das ihre Zukunftschancen. Als Solidargemeinschaft dürfen wir das nicht hinnehmen.
Bei aller Corona-Müdigkeit: Im gesellschaftlichen Schulterschluss liegt der Schlüssel zum Erfolg bei der PandemieBekämpfung und einer baldigen Rückkehr zur Normalität.
Trotz CoronaMüdigkeit dürfen wir den Dialog nicht abreißen lassen.