Dollars für verschuldete syrische Bauern
Lange galt der Siegeszug der Islamisten als beendet – nun droht ein Comeback des sogenannten Islamischen Staates
14 Selbstmordattentäter standen bereit, um am ersten Weihnachtstag das Militärgefängnis von Hassake zu stürmen. Die Stadt liegt im Nordosten von Syrien und wird von der „Syrisch-Demokratischen Union“(SDF), einer von den USA unterstützten Kurden-Organisation mit sozialistischem Hintergrund, kontrolliert. Sekunden vor der Kamikaze-Attacke wollte der sogenannte Islamische Staat (IS) noch zwei Autobomben vor der Haftanstalt zünden. Wäre alles nach Plan gelaufen, hätte die Terrororganisation 60 ihrer Gesinnungsgenossen befreit. Doch in den Reihen des IS gab es einen Verräter.
Zwei Tage später dürfen Lokaljournalisten mit einigen der in Hassake inhaftierten Dschihadisten sprechen. Dem IS, erzählen sie der Korrespondentin des Beiruter Online-Portal „Al Monitor“, hätten sie sich nicht aus religiösen oder ideologischen Motiven, sondern „in erster Linie wegen des Geldes“angeschlossen. „Nachdem meine Felder verdorrt waren, hatte ich hohe Schulden“, berichtet ein 24-jähriger Vater von drei Kindern.
Um sie zu ernähren, habe er die Hilfe des sogenannten Islamischen Staates angenommen.
Dürre, Geldnot und Corona
„Ich hatte keine andere Wahl“, betont der junge Mann mit gesenktem Blick. Andere IS-Rekruten erzählen ähnliche Geschichten. Erstaunlich ist dies nicht. Syrien wird von der schlimmsten Dürre seit 70 Jahren heimgesucht. Besonders betroffen ist der Nordosten des Landes, wo die meisten Feldfrüchte des Landes angebaut wurden. Den „Todesstoß“habe den Bauern schließlich die Corona-Pandemie versetzt, die zeitgleich mit dem Zusammenbruch der syrischen Währung kam, analysiert ein kurdischer Geheimdienstoffizier, der ungenannt bleiben möchte.
Um zu überleben, hätten die bitterarmen Menschen nur zwei Möglichkeiten: Über die Türkei oder Belarus nach Europa zu fliehen, was die Mehrheit noch immer versuche, oder sich dem IS anzuschließen. Nach einem kürzlich veröffentlichten Bericht des US-Finanzministeriums verfügt die Organisation über „Barreserven von bis zu 50 Millionen Dollar“, welche nicht nur in Syrien und im Irak,
Mutmaßliche IS-Kämpfer in einem Gefängnis in der syrischen Stadt Hassake im Jahr 2019. sondern auch in der Türkei gebunkert würden. Auch bei der Verschiebung der Gelder könnten sich die Extremisten auf türkische Finanzmakler und Bankhäuser verlassen. „Um im Kampf gegen den wiedererstarkenden IS an Boden zu gewinnen, müssten sich die wirtschaftlichen Bedingungen im Osten Syriens verbessern“, zeichnet Mazlum Kobane, der Oberbefehlshaber der kurdischen SDFMilizen ein düsteres Bild der Lage. Zu rechnen sei damit in absehbarer Zeit nicht.
Im Windschatten der Taliban
Rund zwölf der 21 Millionen Syrer haben aufgrund der Dürre keinen Zugang zu Lebensmitteln, Wasser und Strom mehr. „Die Menschen haben aufgehört, Obst, Gemüse, Eier und Käse zu essen“, sagt Elisabeth Tsurkov, die an der Princeton University zu Syrien forscht. Wirklich günstig sind die Rahmenbedingungen nur für den IS. Spürbaren Auftrieb habe den Dschihadisten auch der Sieg der Taliban in Afghanistan gegeben. Besonders in den am Euphrat gelegenen Dörfern im Osten Syriens sei die Zahl der IS-Zellen in den letzten Monaten regelrecht explodiert, klagt ein SDF-Kommandant, der sich von den USA und ihren Verbündeten allein gelassen fühlt.
Sie führten den Kampf gegen den IS nur noch „halbherzig“, analysiert der in Istanbul lebende syrische Militärexperte Ahmed Rahal. Die Extremisten seien daher in der Lage, „aus dem strategischen Versagen des Westens“Kapital zu schlagen. Den Krieg verloren, wie dies Ex-US-Präsident Donald Trump vor zwei Jahren behauptet hatte, hätten die Dschihad-Kämpfer noch lange nicht.
Bei ihrem Comeback könnten sich die Extremisten auch auf die Unterstützung der türkischen Regierungs-Partei AKP verlassen. „Dort finden Sie die größten Freunde des IS“, behauptet Abed Mehbes vom kurdischen Exekutivrat in Nordost-Syrien. Tatsächlich hatte die Türkei bis vor vier Jahren, als der IS aus seiner Hochburg Mosul vertrieben wurde, Tausenden von IS-Gefolgsleuten den Grenzübertritt nach Syrien und Irak gestattet. Der Kampf der syrischen Kurden gegen die islamistischen Extremisten, klagt Mehbes, werde dagegen auch heute noch von der türkischen Armee torpediert.