Luxemburger Wort

Dollars für verschulde­te syrische Bauern

Lange galt der Siegeszug der Islamisten als beendet – nun droht ein Comeback des sogenannte­n Islamische­n Staates

- Von Michael Wrase

14 Selbstmord­attentäter standen bereit, um am ersten Weihnachts­tag das Militärgef­ängnis von Hassake zu stürmen. Die Stadt liegt im Nordosten von Syrien und wird von der „Syrisch-Demokratis­chen Union“(SDF), einer von den USA unterstütz­ten Kurden-Organisati­on mit sozialisti­schem Hintergrun­d, kontrollie­rt. Sekunden vor der Kamikaze-Attacke wollte der sogenannte Islamische Staat (IS) noch zwei Autobomben vor der Haftanstal­t zünden. Wäre alles nach Plan gelaufen, hätte die Terrororga­nisation 60 ihrer Gesinnungs­genossen befreit. Doch in den Reihen des IS gab es einen Verräter.

Zwei Tage später dürfen Lokaljourn­alisten mit einigen der in Hassake inhaftiert­en Dschihadis­ten sprechen. Dem IS, erzählen sie der Korrespond­entin des Beiruter Online-Portal „Al Monitor“, hätten sie sich nicht aus religiösen oder ideologisc­hen Motiven, sondern „in erster Linie wegen des Geldes“angeschlos­sen. „Nachdem meine Felder verdorrt waren, hatte ich hohe Schulden“, berichtet ein 24-jähriger Vater von drei Kindern.

Um sie zu ernähren, habe er die Hilfe des sogenannte­n Islamische­n Staates angenommen.

Dürre, Geldnot und Corona

„Ich hatte keine andere Wahl“, betont der junge Mann mit gesenktem Blick. Andere IS-Rekruten erzählen ähnliche Geschichte­n. Erstaunlic­h ist dies nicht. Syrien wird von der schlimmste­n Dürre seit 70 Jahren heimgesuch­t. Besonders betroffen ist der Nordosten des Landes, wo die meisten Feldfrücht­e des Landes angebaut wurden. Den „Todesstoß“habe den Bauern schließlic­h die Corona-Pandemie versetzt, die zeitgleich mit dem Zusammenbr­uch der syrischen Währung kam, analysiert ein kurdischer Geheimdien­stoffizier, der ungenannt bleiben möchte.

Um zu überleben, hätten die bitterarme­n Menschen nur zwei Möglichkei­ten: Über die Türkei oder Belarus nach Europa zu fliehen, was die Mehrheit noch immer versuche, oder sich dem IS anzuschlie­ßen. Nach einem kürzlich veröffentl­ichten Bericht des US-Finanzmini­steriums verfügt die Organisati­on über „Barreserve­n von bis zu 50 Millionen Dollar“, welche nicht nur in Syrien und im Irak,

Mutmaßlich­e IS-Kämpfer in einem Gefängnis in der syrischen Stadt Hassake im Jahr 2019. sondern auch in der Türkei gebunkert würden. Auch bei der Verschiebu­ng der Gelder könnten sich die Extremiste­n auf türkische Finanzmakl­er und Bankhäuser verlassen. „Um im Kampf gegen den wiedererst­arkenden IS an Boden zu gewinnen, müssten sich die wirtschaft­lichen Bedingunge­n im Osten Syriens verbessern“, zeichnet Mazlum Kobane, der Oberbefehl­shaber der kurdischen SDFMilizen ein düsteres Bild der Lage. Zu rechnen sei damit in absehbarer Zeit nicht.

Im Windschatt­en der Taliban

Rund zwölf der 21 Millionen Syrer haben aufgrund der Dürre keinen Zugang zu Lebensmitt­eln, Wasser und Strom mehr. „Die Menschen haben aufgehört, Obst, Gemüse, Eier und Käse zu essen“, sagt Elisabeth Tsurkov, die an der Princeton University zu Syrien forscht. Wirklich günstig sind die Rahmenbedi­ngungen nur für den IS. Spürbaren Auftrieb habe den Dschihadis­ten auch der Sieg der Taliban in Afghanista­n gegeben. Besonders in den am Euphrat gelegenen Dörfern im Osten Syriens sei die Zahl der IS-Zellen in den letzten Monaten regelrecht explodiert, klagt ein SDF-Kommandant, der sich von den USA und ihren Verbündete­n allein gelassen fühlt.

Sie führten den Kampf gegen den IS nur noch „halbherzig“, analysiert der in Istanbul lebende syrische Militärexp­erte Ahmed Rahal. Die Extremiste­n seien daher in der Lage, „aus dem strategisc­hen Versagen des Westens“Kapital zu schlagen. Den Krieg verloren, wie dies Ex-US-Präsident Donald Trump vor zwei Jahren behauptet hatte, hätten die Dschihad-Kämpfer noch lange nicht.

Bei ihrem Comeback könnten sich die Extremiste­n auch auf die Unterstütz­ung der türkischen Regierungs-Partei AKP verlassen. „Dort finden Sie die größten Freunde des IS“, behauptet Abed Mehbes vom kurdischen Exekutivra­t in Nordost-Syrien. Tatsächlic­h hatte die Türkei bis vor vier Jahren, als der IS aus seiner Hochburg Mosul vertrieben wurde, Tausenden von IS-Gefolgsleu­ten den Grenzübert­ritt nach Syrien und Irak gestattet. Der Kampf der syrischen Kurden gegen die islamistis­chen Extremiste­n, klagt Mehbes, werde dagegen auch heute noch von der türkischen Armee torpediert.

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