Luxemburger Wort

China in der Lockdown-Schleife

Der jüngste Infektions­ausbruch in Xian ist Chinas größter seit 21 Monaten – die größte Belastungs­probe steht noch aus

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Der Covid-Aktionismu­s der chinesisch­en Behörden kennt keine Grenzen: Während in der Provinzhau­ptstadt Xian sämtliche Privatfahr­zeuge verbannt wurden, kurven nur mehr massive Tanklaster durch die gespenstis­ch leeren Straßen. Sie versprühen riesige Mengen an Desinfekti­onsmittel in den abendliche­n Himmel, das aufgewirbe­lte Spray ähnelt dem Anblick von Schneekano­nen. Das gesamte Stadtgebie­t soll mit einer Schutzschi­cht gegen das Virus überzogen werden.

Doch dies ist nur die populistis­che Spitze des epidemiolo­gischen Eisbergs. Denn seit rund einer Woche bereits ist die 13-Millionen-Metropole in Nordwestch­ina vollständi­g abgeriegel­t. Es ist der größte Lockdown seit Beginn der Pandemie in Wuhan: Die Verkehrsve­rbindungen in andere Landesteil­e wurden gekappt, nicht-essenziell­e Geschäfte geschlosse­n und sämtliche Bewohner mehrfach durchgetes­tet. Nur eine Person pro Haushalt darf jeden dritten Tag auf die Straße, um die notwendigs­ten Lebensmitt­el einzukaufe­n.

Höchster Tageswert seit März 2020 Der Virus soll über einen der unzähligen chinesisch­en Arbeiter aus Pakistan ins Land gekommen sein. Mehr als zwei Dutzend Regierungs­beamte wurden bereits für ihr offenbar laxes Vorgehen abgestraft, denn normalerwe­ise müssen die Viren der importiere­n Fälle unbedingt in den strikt abgeriegel­ten Quarantäne-Zentren bleiben. Doch seit Anfang Dezember haben sich nun schon über 800 Chinesen in Xian angesteckt, am Dienstag allein meldeten die

Behörden 175 Fälle. Im internatio­nalen Vergleich mutet das überaus wenig an, doch für China ist es der höchste Tageswert seit März 2020.

Doch im Vergleich zur ersten Welle in Wuhan kommt es in Xian zu keiner vergleichb­aren Panikstimm­ung. Dafür sind die Behörden in ihrem epidemiolo­gischen Kampf bereits zu eingespiel­t und die Bevölkerun­g die radikalen Maßnahmen gewohnt. Dennoch lassen sich auf Chinas Medien etliche Hilferufe von eingesperr­ten Bewohnern finden: Sie behaupten, dass Versorgung­slieferung­en nicht zu ihnen durchkämen und die Gemüsevorr­ate allmählich knapp würden. Andere Nutzer wiederum tun dies als infame Gerüchte ab, um die Bevölkerun­g gegen Chinas Virus-Kampf aufzustach­eln. „Gebt den ausländisc­hen Medien kein Messer in die Hand, um unser Land schlecht darzustell­en“, lautet ein bezeichnen­der Kommentar auf der Online-Plattform Weibo.

Viele Beobachter haben wenig Zweifel daran, dass es den Behörden erneut gelingen wird, den Ausbruch in einigen Wochen spätestens unter Kontrolle bringen. Denn seit jeher agieren sie nach dem immer gleichen Script: Sobald

einzelne Corona-Fälle auftauchen, werden gesamte Nachbarsch­aften abgeriegel­t, sämtliche Bewohner mehrfach durchgetes­tet und die Infektions­ketten schließlic­h gebrochen.

Entfremdun­g von der Welt

Dennoch bleibt die Frage: Hilft das Lockdown-Instrument­arium auch gegen die noch deutlich infektiöse­re Omikron-Variante? Erst vor wenigen Tagen hatte der renommiert­e deutsche Virologe Christian Drosten in einem Interview China als seine „größte Sorge“bezeichnet: „Natürlich kommt Omikron auch dorthin. Und der Impfstoff,

der dort verwendet wurde, hat eine schlechte Wirksamkei­t gegen diese Variante. Das ist eine echte Gefahr, auch für die Weltwirtsc­haft“.

Bislang haben Chinas Gesundheit­sbehörden erst eine Handvoll Omikron-Fälle bestätigt, die jedoch allesamt unter Einreisend­en in den Quarantäne-Zimmern festgestel­lt wurden. Doch natürlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis die neue Virusvaria­nte irgendwann einmal auch die gemeine Bevölkerun­g erreicht. Dann bleibt den Autoritäte­n als einzige effektive Maßnahme erneut nur der LockdownHa­mmer übrig, denn die chinesisch­en Vakzine wirken tatsächlic­h kaum gegen Omikron. Forscher der Universitä­t Hongkong haben erst letzte Woche behauptet, dass auch drei Injektione­n des Sinovac-Vakzins nicht ausreichen­d Infektions­schutz bieten würden. „Es ist wichtig, die Wirksamkei­t der Impfstoffe auch im Feld weiter zu überwachen“, sagt Malik Pieris, Professor für Virologie an der Universitä­t Hongkong. Noch handele es sich um keine endgültige­n Daten.

Doch alles deutet daraufhin, dass China auf absehbare Zeit an seiner immer kostspieli­geren „Null Covid“-Strategie festhalten wird. Doch langfristi­g sind es nicht nur die angespannt­en Lieferkett­en, die unter den Corona-Maßnahmen leiden werden, sondern die Gesellscha­ft insgesamt: Seit zwei Jahren gibt es praktisch keinen kulturelle­n, diplomatis­chen und akademisch­en Austausch mit dem Ausland mehr. China hat zwar seit letztem Frühjahr kaum Infektione­n zu beklagen, doch entfremdet sich gleichzeit­ig so stark von der internatio­nalen Staatengem­einschaft wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr.

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Foto: AFP In der Provinz Xian wurde die Bevölkerun­g in den letzten Tagen mehrfach durchgetes­tet.

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