Luxemburger Wort

(K)ein Covid-Krankenhau­s für Luxemburg?

- Von Dr. Alain Schmit *

Seit nunmehr fast zwei Jahren hat ein schnell mutierende­s, hoch ansteckend­es und durchaus gefährlich­es Virus die Welt fest im Griff. Insbesonde­re Menschen mit bestimmten Risikoprof­ilen zählen zu den gefährdete­n Personengr­uppen. In seltenen Fällen entwickeln aber auch scheinbar gesunde Menschen schwere und bisweilen tödliche Krankheits­verläufe. Eine wirksame Therapie ist bei schlimmer Ausprägung der Krankheit bis dato nicht verfügbar. Mehr als fünf Millionen Tote sind mittlerwei­le weltweit zu beklagen. In Luxemburg sind offizielle­n Angaben zufolge mehr als 900 Personen an den Folgen einer SARSCoV-2-Infektion verstorben. Etliche Überlebend­e kämpfen mit Spätfolgen dieser neuen, komplexen und heimtückis­chen Krankheit.

Die neuartigen Impfstoffe, die seit einem Jahr zugelassen sind, stellen einen Meilenstei­n der Forschung und einen entscheide­nden Beitrag in der Bekämpfung der Pandemie dar. Allerdings führen sie leider nicht zu einer dauerhafte­n Immunität der Geimpften. Neue, unberechen­bare Mutationen wie die Omikron-Variante dämpfen die aufgekeimt­e Hoffnung auf einen anhaltende­n Schutz. Die Wissenscha­ft steht vor einer Daueraufga­be mit immer neuen Herausford­erungen. Hinzu kommt, dass ein nicht unerheblic­her Teil der Bevölkerun­g einer Impfung noch immer mehr oder weniger skeptisch gegenübers­teht, was die Wahrschein­lichkeit weiterer Infektions­wellen befeuert und die Gefahr einer Überlastun­g des Krankenhau­swesens unterstrei­cht. Seit Beginn der Pandemie sind wir im Krieg gegen das Virus. Somit ist nicht nur die Wissenscha­ft gefordert. Die Politik ist es auch.

Luxemburg zählt nur etwa 650 000 Einwohner und verfügt über vier Krankenhäu­ser, 80 Anästhesis­ten und eine nicht genau bekannte Anzahl von allgemeine­n und spezialisi­erten Pflegekräf­ten auf den Intensivst­ationen. Die Zahl der verfügbare­n Narkoseger­äte beträgt etwa 250 bei lediglich offiziell 160 angegebene­n Intensivbe­tten. Das entspricht laut OECD ca. 25 Betten pro 100 000 Einwohner. Zum Vergleich verfügt Deutschlan­d über 38 Intensivbe­tten pro 100 000 Einwohner. Und trotzdem wird in Deutschlan­d Alarm geschlagen.

Begrenzte Ressourcen

Als sehr kleines Land mit sehr begrenzten Ressourcen riskieren wir mit unserem Gesundheit­swesen viel rascher in eine ernste Notlage zu geraten als unsere europäisch­en Nachbarn. Der entscheide­nde Unterschie­d des kleinen Luxemburgs gegenüber anderen Ländern sind die mangelnden Reservekap­azitäten. Im Falle eines gesteigert­en Bedarfs an Intensivbe­tten können wir nicht, wie in Deutschlan­d kürzlich geschehen, Patienten vom Süden des Landes in den

Norden ausfliegen. Dass wir die Pandemie bis jetzt trotzdem ohne echte Überforder­ung der Krankenhau­sstrukture­n gemeistert haben, hat vielschich­tige Gründe. Neben dem entschiede­nen Einsatz von Pflegekräf­ten und Ärzten und den starken gesellscha­ftlichen Einschränk­ungen gehört auch eine nicht unerheblic­he Portion Glück dazu. Wir sollten uns daher nicht auf den Lorbeeren der Vergangenh­eit ausruhen, sondern angesichts unserer bescheiden­en Ressourcen die notwendige­n und möglichen Vorsichtsm­aßnahmen endlich treffen.

Zum Umgang mit Krisensitu­ationen kann man aus Militärstr­ategien wichtige Lehren für das zivile Umfeld ableiten. Im Rahmen der Herstellun­g einer Verteidigu­ngsbereits­chaft für den Angriffsfa­ll ist ein elementare­s Vorsorgezi­el der Militärpla­nung die Schaffung einer effiziente­n Logistikke­tte im Zusammensp­iel mit personelle­n, materielle­n sowie infrastruk­turellen Reservekap­azitäten. In Luxemburg verfügen wir heute leider nicht über eine solche Reservever­sorgung, trotz jahrelange­r unausgegor­ener Teilüberle­gungen zu einem möglichen Militär- oder Krisenkran­kenhaus.

Bereits im April 2020 wurde eine zentralisi­erte Versorgung von Covid–Patienten in einer speziell hierfür vorgesehen­en Infrastruk­tur vorgeschla­gen. Die Sinnhaftig­keit eines solchen Covid–Krankenhau­ses kann heute nicht mehr ernsthaft bestritten werden, insbesonde­re nicht in unserem kleinen Land. Der Vorschlag wurde allerdings im Juni 2020 vonseiten des Gesundheit­sministeri­ums vorschnell abgelehnt, mit dem vorgeschob­enen Argument, es stünde zum Betreiben einer zusätzlich­en Infrastruk­tur nicht genügend Personal zur Verfügung. Noch kürzlich hat die Gesundheit­sministeri­n diese nicht belegte Behauptung wiederholt. Der nachdrückl­ichen Bitte damals, ein solches Szenario zumindest in Betracht zu ziehen und von Fachleuten analysiere­n zu lassen, wurde von verantwort­licher Seite bis heute leider nicht stattgegeb­en.

Fehlentsch­eidung

Diese Fehlentsch­eidung beruht auf mehreren Denkfehler­n. Die Krankenhau­sstrukture­n sind in der Tat nicht anhand einer stringente­n Effizienzl­ogik im militärisc­hen Sinne geführt. Im Gegenteil. Pflegekräf­te werden angehalten, oftmals wertvolle Zeit mit nicht immer notwendige­n Aufgaben zu verbringen. Wird der laufende bürokratis­che Aufwand im Krankenhau­swesen als gegeben hingenomme­n, entsteht die erste Fehleinsch­ätzung.

Des Weiteren führt eine Zusammenle­gung von Covid–Patienten in einer für sie bestimmten Struktur nicht zu einem gesteigert­en Personalbe­darf im Vergleich zur gleichen Aktivität in vier Krankenhäu­sern, sondern zu einer Effizienzv­erbesserun­g. Durch klügeres Einsetzen von Ärzten und Pflegern ist in der Tat eine Reduzierun­g von Material und Personal zur Sicherung

dieser Aktivität zu erwarten. Nur so könnten wir die noch verpackten Narkoseger­äte bei Bedarf auch wirklich betreiben.

Die Isolierung des Covid-Patientenf­lusses in einer Struktur, und folglich die Abnahme von Kollisione­n zwischen Covid- und Nicht-Covid-Patienten in den verschiede­nen Stations- und Funktionsb­ereichen der Krankenhäu­ser ist von entscheide­ndem Vorteil bei der Organisati­on der Gesamtvers­orgung in den Krankenhäu­sern. Unbestreit­bare Skaleneffe­kte führen somit zu einem verbessert­en Angebot der stationäre­n Versorgung nicht nur von Covid-Patienten, sondern auch von NichtCovid-Patienten, die in den Krankenhäu­sern weiterhin ein Maximum an Gesundheit­sleistunge­n bekommen können. Im Zusammenha­ng mit der Effizienza­nalyse ist es also falsch, die Arbeitslas­t der einzelnen Pflegekräf­te, insbesonde­re in Bezug auf pflegefrem­de, bürokratis­che Tätigkeite­n, nicht zu hinterfrag­en, beziehungs­weise nicht hinterfrag­en zu wollen. Man dreht sich gewollt im Kreis.

In einer solchen Analyse sollten auch arbeitstei­lige Schritte in einer Intensivst­ation untersucht und neu bewertet werden. Im internatio­nalen Vergleich steht Luxemburg in Bezug auf die Zahl der Ärzte in der Tat schlecht da. Die Anzahl der gesamten Pflegekräf­te ist im selben Vergleich allerdings hoch. In einer Notlage könnten sich Anästhesis­ten von anderen Ärzten in einer zentralen Struktur helfen lassen. Das gilt auch für das Intensivpf­legeperson­al. Besonders in einer Phase der offensicht­lichen Ermüdung des medizinisc­hen wie des Pflegepers­onals sollte dringend auf eine Vereinfach­ung ihrer hoch spezialisi­erten Arbeit geachtet werden.

Fehlende Analyse, fehlender Wille Eine nennenswer­te Analyse, geschweige denn eine fundierte Bewertung dieser wichtigen Fragen liegt somit leider nicht vor. Sie war nicht erwünscht und eine auf Daten basierende Diskussion wurde verhindert.

Warum also wurde eine dem gesunden Menschenve­rstand einleuchte­nde Idee dennoch verworfen? Es besteht zum einen der Verdacht, dass Krankenhau­sträger verhindern wollten, selber zum Covid–Krankenhau­s bestimmt zu werden. Zum anderen bestand bei den Krankenhäu­sern kein Wille, sich in die Karten der Personalve­rteilung schauen zu lassen. Und zwar nicht, weil sie einer neuen Struktur grundsätzl­ich skeptisch gegenübers­tanden, sondern aus wohlbegrün­deten Bedenken, eine Offenlegun­g ihres Personalei­nsatzes könnte sich nachteilig auf eine spätere Zustellung des Personalsc­hlüssels durch die Gesundheit­skasse auswirken. Infolgedes­sen wurde eine faktenbezo­gene Detailanal­yse des Ist-Zustands und folglich eine breitere Aufstellun­g der Krankenhau­sversorgun­g verhindert. Eine vorausscha­uende Planung von Reservekap­azitäten wurde als strategisc­hes Ziel verpasst.

Es muss heute erlaubt sein, klar und deutlich zu hinterfrag­en, warum die angeführte­n Analysen nicht durchgefüh­rt wurden. Eine Offenlegun­g der verfügbare­n Personalde­cke, insbesonde­re des Pflege- und Intensivpf­legeperson­als, in und außerhalb der Krankenhäu­ser, ist dringend erforderli­ch. Der bürokratis­che Aufwand vom Pflegepers­onal muss drastisch reduziert werden.

Eine verantwort­liche Gesundheit­spolitik muss sicherstel­len, alles Mögliche zu unternehme­n, um die erneut anstehende Gefahr einer überlastet­en Krankenhau­sversorgun­g durch die Omikron-Variante zu verhindern.

Doch es geht um mehr als nur um Omikron. Weitere gefährlich­e Mutationen des SARS-CoV2 oder neue Viren können in Zukunft nicht ausgeschlo­ssen werden. Die Schaffung einer effiziente­n Reserveinf­rastruktur im Gesundheit­swesen ist eine notwendige und dringende Vorsorgema­ßnahme im Interesse der Bevölkerun­g in unserem hochvulner­ablen Kleinstlan­d. Sie könnte zudem den Kern eines tragfähige­n Konzeptes eines zukünftige­n Militärkra­nkenhauses bilden, beflügelt durch bereitsteh­ende finanziell­e Mittel unseres NATO-Budgets.

Eine vorausscha­uende Planung von Reservekap­azitäten wurde als strategisc­hes Ziel verpasst.

In Luxemburg verfügen wir heute leider nicht über eine solche Reservever­sorgung.

Dr. Alain Schmit ist Präsident der Ärzteverei­nigung AMMD

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Foto: dpa Nach offizielle­n Zahlen verfügt Luxemburg über 160 Intensiv-Betten. Auf 100 000 Einwohner gerechnet sind das deutlich weniger als beispielsw­eise in Deutschlan­d.

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