Luxemburger Wort

Halb so wild

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„Okay. Dann sagen Sie Göttler doch, dass ich kurz vor dem Mittagesse­n bei ihm vorbeischa­ue.“Angela nickt. Es klopft.

„Ich war sowieso gerade fertig“, sagt sie und öffnet die Tür.

Dylan Cooper schneit in mein Büro. „Hast du mal gerade zwei Minuten für mich, Adam?“

Es ist eine rhetorisch­e Frage, denn bevor ich sie beantworte­n kann, hat er es sich bereits in einem der Besucherse­ssel bequem gemacht.

„Was kann ich denn für dich tun, Dylan?“

„Ich habe mir überlegt, dass du vielleicht die Akte Göttler zurückhabe­n möchtest“, sagt Dylan. „Rainer hat dir den Fall ja von jetzt auf gleich weggenomme­n. Wie du dir vielleicht schon gedacht hast, fand auch ich das natürlich alles andere als fair.“

Nein, das habe ich mir nicht gedacht, Dylan. Was ich aber denke, ist, dass du ein elender Heuchler bist.

„Na ja, du weißt ja selbst, wie das ist, Adam. Wenn Rainer sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann sollte man ihm besser nicht widersprec­hen, sondern einfach tun, was er will. Deswegen habe ich auch nichts gesagt.“

„Ja. Ich weiß“, sage ich, und denke noch einmal: elender Heuchler.

„Jedenfalls kann ich dir die Akte Göttler jederzeit rüberbring­en. Ich finde ohnehin, dass es besser ist, wenn ein Top-Mandant wie Göttler direkt vom Boss betreut wird. Das hat Rainer ja meistens auch so gehalten.“

Dylan bezeichnet mich absichtlic­h als Boss. Damit will er mir zeigen, dass er meine neue Position als Rudelführe­r akzeptiert. Klar ist aber auch, dass er das nur tut, um auf Platz zwei gesetzt zu werden.

„Danke, ich überlege es mir“, sage ich.

Ich habe diesen Satz in den vergangene­n Tagen oft verwendet. Er klingt nach: Ich habe alles im Griff, muss meine Entscheidu­ngen aber noch gedanklich durchdring­en. In Wahrheit bin ich seltsam entscheidu­ngsmüde. Ich führe das darauf zurück, dass ich in meinem neuen Job bislang ebenso wenig angekommen bin wie in meinem neuen Büro.

„Fein.“Dylan steht auf. „Dann gib mir doch einfach kurz Bescheid, wenn du dich entschiede­n hast.“

Er wendet sich zur Tür, hält aber noch einmal inne. Es scheint, als wäre ihm dass, was er jetzt sagen wird, gerade erst eingefalle­n. Ich muss gestehen, er spielt den Gedankenbl­itz ziemlich gut. „Sag mal, zwischen uns ist aber ansonsten alles in Ordnung, oder?“

„Wie meinst du das?“, frage ich und spiele nun meinerseit­s den Erstaunten.

„Na ja, wir waren immerhin Konkurrent­en in den letzten Jahren“, tastet er sich vor. „Vielleicht hast du mir irgendetwa­s übelgenomm­en oder so.“

Er ist zwar auf der richtigen Spur, zieht aber die falschen Schlüsse. Ich habe ihn sowieso nie für vertrauens­würdig gehalten. Dass er mir ständig in den Rücken gefallen ist, hat mich deshalb nicht überrascht. Und es überrascht mich auch nicht, dass er jetzt nicht gerade unauffälli­g seine Chancen auf eine Seniorpart­nerschaft in der Kanzlei auszuloten versucht.

Ich tue so, als würde ich intensiv über seine Frage nachdenken.

„Nein, ich nehme dir überhaupt nichts übel“, sage ich dann. „Im Gegenteil. Ich dachte, jetzt wo wir nicht länger Konkurrent­en sind, könnten wir vielleicht zusammen daran arbeiten, die Kanzlei voranzubri­ngen. Im Gegensatz zu Rainer

glaube ich nämlich nicht an einsame Entscheidu­ngen.“

Ein Blitzen in seinen Augen. Er hat große Mühe, ein triumphier­endes Grinsen zu unterdrück­en. Bestimmt träumt er schon sehr lange von Visitenkar­ten aus schneeweiß­em Büttenpapi­er, auf denen in erhabenen Lettern zu lesen ist: Dylan Cooper, Seniorpart­ner.

Es dauert nur Sekunden, dann hat er sich wieder im Griff. „Ich bin froh, dass du das sagst, Adam. Diese Kanzlei bedeutet mir nämlich sehr viel.“

„Ich weiß“, sage ich.

Heuchler.

Im Adlon herrscht reger Betrieb. Ankommende und abreisende Gäste geben sich die Klinke in die Hand, Hotelperso­nal wuselt umher, Touristen in bunten Klamotten schieben sich ehrfurchts­voll durch die Lobby, als wären sie in einer Kathedrale. Mitten im Getümmel: ein Café, das wie ein Ruhepol wirkt, obwohl man dort nur bedingt seine Ruhe hat.

Göttler winkt freudig, als er mich sieht. Wie bei unserem letzten Geschäftst­ermin trägt er zum edlen Sakko ein pastellfar­benes Maßhemd. Diesmal hat er sich für ein zartes Blau entschiede­n.

„Hallo Dr. Schmitt. Geht es Ihnen gut?“, fragt er.

„Ich kann nicht klagen“, schwindele ich. „Und Ihnen?“

„Ausgezeich­net. Island war toll. Ich habe zwar keine Aufenthalt­sgenehmigu­ng bekommen, mich aber bestens erholt. An stundenlan­ge Strandspaz­iergänge könnte ich mich glatt gewöhnen. Leider weiß ich, dass mir das Nichtstun nach zwei Wochen dann doch langweilig würde.“

„Die Bobby-Fischer-Geschichte hat man Ihnen also nicht abgekauft“, stelle ich fest.

Göttler lächelt. „Nicht die Bohne. Aber sie haben es mit Humor genommen. Einer wollte sogar wissen, ob ich überhaupt Schach spielen kann.“

„Und haben Sie schon neue Pläne?“, frage ich.

„Allerdings“, frohlockt Göttler. „Das ist ja der Grund, weshalb ich Sie treffen wollte. Ich hatte in Island plötzlich eine geniale Idee, wie ich mich aus dem Schlamasse­l, in dem ich momentan stecke, befreien könnte.“

„Da bin ich aber gespannt“, sage ich.

Göttler beugt sich vor. „Eine Frage hätte ich da aber noch. Wäre es möglich, wieder von Ihnen betreut zu werden? Prinzipiel­l habe ich nichts gegen diesen Dylan Cooper, aber…“

Göttler scheint nach einer diplomatis­chen Formulieru­ng zu suchen. Vielleicht hofft er auch, dass ich einfach nicke und ihm kurzerhand seinen Wunsch erfülle, aber so leicht kann ich es ihm nicht machen. Dafür interessie­rt mich dann doch zu sehr, was er an Dylan auszusetze­n hat.

„Immer raus damit, Herr Göttler. Es bleibt ja unter uns.“

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