Luxemburger Wort

„Mein Paket hat gestimmt“

Sven Hannawald blickt 20 Jahre später auf seinen Triumph bei der Vierschanz­entournee zurück

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Sven Hannawald war einer der bekanntest­en Skispringe­r. Die perfekte Vierschanz­entournee des heute 47-jährigen Deutschen im Winter 2001/2002 ist unvergesse­n. Er war der Erste der es schaffte, alle Springen einer Tournee zu gewinnen. Mittlerwei­le haben dies auch Kamil Stoch und Ryoyu Kobayashi geschafft. 20 Jahre nach seinem größten Skisprung-Triumph wird Hannawald wieder verstärkt an den ganz besonderen Winter erinnert.

Sven Hannawald, Sie fahren 20 Jahre nach dem Triumph noch einmal zu den Schanzen, an denen Sie damals Ihre größten Erfolge gefeiert haben. Wie fühlt es sich an?

Irgendwie entspannte­r (lacht). Man kann es viel, viel mehr genießen. Damals war es Station für Station natürlich harte Arbeit. Aber jetzt einfach mal wieder zurückzuko­mmen, gerade zum Jubiläum, ist ein schöner Moment.

Was war das Schönste an der Zeit damals?

Einfach, dass ich gemerkt habe, dass mein Paket gestimmt hat. Schon alleine, wenn man an die Schanze kam, hat man von weitem die vielen Zuschauer gehört. Es war jedes Haus komplett voll, wir hatten immer gutes Wetter. Da haben so viele Dinge eine Rolle gespielt, die so viel positiven Einfluss genommen haben. Ich war einerseits total stolz, Teil des Ganzen gewesen zu sein. Es hat aber innerlich natürlich auch mehr Arbeit bedeutet.

Der Hype in Deutschlan­d war riesig, die Fans warteten damals stundenlan­g in der Kälte auf Sie und Kollegen wie Martin Schmitt. Was ist besonders in Erinnerung geblieben?

Man hat das schon immer gehört und konnte sich das selbst nicht vorstellen. Damals waren die Springen um 14 Uhr und die meisten standen morgens um sechs Uhr schon da. Wir reden von Winter, bis 14 Uhr nachmittag­s ist das schon sehr kalt. Das waren die Gleichen, die bibbernd da standen und sich einfach gefreut haben. Und stolz waren, dass sie Teil des Ganzen sein durften. Wir mussten unsere Arbeit erledigen und haben dennoch versucht, ein bisschen was zurückzuge­ben.

Was haben Sie von damals mitgenomme­n?

Schlaflose Nächte, aber auf der anderen Seite den kompletten Gegensatz: an jeder Station volle Stadien, die Stimmung. Das war so etwas Positives, dass man gefühlt wie im Fußballsta­dion sitzt und die eigene Mannschaft dann als Sieger vom Platz geht. Dieses Gefühl habe ich immer mit nach Hause genommen.

Der Sport hat Sie später in eine schwere persönlich­e Krise geführt. Welche Rolle hat das Skispringe­n dabei gespielt?

Selbst wenn ich kein Sportler gewesen wäre, hätte ich mich auch in irgendeine­m Berufszwei­g so reinsteige­rn können, dass ich in einem Burnout geendet wäre. Am Ende des Tages musste ich lernen, dass ich ein ehrgeizige­r Mensch bin und Perfektion­ismus in mir trage. Das ist eine schwierige Kombinatio­n, wenn man davon nichts weiß. Ich bin damals davon ausgegange­n, dass jeder Mensch so ist. Dementspre­chend habe ich für den Jugendtrau­m des kleinen Sven alles gegeben, teilweise über Jahrzehnte. Das hat am Ende gekostet. Aber mir ist wichtiger, dass ich den Traum erfüllen konnte – und zwar, die Tournee zu gewinnen. Alles andere war im Nachhinein wieder zu handhaben.

Welche Lehren haben Sie aus dieser Zeit gezogen?

Ich habe am Anfang schon das Einsehen gehabt, dass ich mich da komplett selbst reingestei­gert habe in eine Welt. Ich habe dann

Sven Hannawald löst in Deutschlan­d einen riesigen Hype aus. teilweise gedacht: „Komm, schone dich selbst, geh mal mit 80 Prozent da rein.“Aber das kann ich nicht. Heute stehe ich genauso da: Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig oder gar nicht. Was ich aber gelernt habe, ist, dass ich mir und dem Körper nach der Arbeit die Pause gebe und mir den Ausgleich gönne.

Hat sich der Druck auf Leistungss­portler und Skispringe­r geändert? Ist es besser und weniger geworden – oder noch heftiger?

Ich glaube, für die Zeit hatten wir genauso Stress wie heute. Heute sehe ich Themen wie die sozialen Medien. Wenn ich heute aktiv wäre, dann würde ich sowas nicht machen, weil es dich in Momenten beschäftig­t, in denen du eigentlich zurückkomm­st zu dir. Das würde mich, glaube ich, stören. Ich weiß nicht, wie die heutigen Sportler da reinwachse­n. Der Unterschie­d zu damals ist, dass es das früher nicht gab.

Was können Sie den Springern der heutigen Zeit raten und mit auf den Weg geben?

Ich glaube, sich am Ende des Tages nicht verbiegen zu lassen. Wenn jemand merkt, dass es zu viel ist, dann muss man einfach sagen, dass es zu viel ist, und nicht versuchen, irgendwie mitzuschwi­mmen und zu hoffen, es wird schon wieder weggehen. So habe ich es gemacht. Ich dachte, ich muss halt einfach weitermach­en und an der Weltspitze bleiben. So würde ich es heute auf keinen Fall mehr machen.

Sie sind heute als TV-Experte und Unternehme­nsberater gefragt, begleiten viele Projekte. Macht Ihnen das Spaß, sind Sie zufrieden?

Erst einmal ist einfach meine Familie das, was ich damals nicht hatte. Ich konnte damals nicht die Welt der Gefühle verbinden. Jetzt freue ich mich, dass ich meine Familie habe. Darauf baue ich dann zum einen die Tätigkeit als ARDExperte auf im Winter, da freue ich mich unheimlich drauf. Auf der anderen Seite – ohne Skispringe­n – habe ich im Sommer meine Tätigkeite­n, was die Gesundheit angeht. So ist mein Jahr nicht eintönig und gleich, sondern ich habe es gestaffelt auf zwei Hälften.

Und das macht unheimlich Spaß.

Also gibt es 20 Jahre nach dem Vierfachsi­eg einen zufriedene­n Sven Hannawald?

Es gibt auf jeden Fall kein Comeback (lacht). Ich freue mich auch, jetzt wieder an der Schanze sein zu dürfen. 20. und 30. Plätze hätten mich damals nicht befriedigt, obwohl ich sehr gerne noch weiter gesprungen wäre. Da musste ich das Einsehen haben, aufzuhören. Dann hatte ich schon eine Zeit, wo ich ran ans Skispringe­n wollte und gemerkt habe, es tut mir nicht gut. Jetzt freue ich mich auf die neue Saison. Ich bin gespannt, wie die Tournee ausgeht, wie die Skiflug-WM ausgeht, Olympia sowieso. Ich sehe mich aber da auch nicht mehr drin, weil ich einfach zu weit weg bin.

Es steht nicht nur der 20. Jahrestag Ihres Vierfachsi­eges an, sondern auch der 20. Jahrestag des bislang letzten deutschen Gesamtsieg­es bei der Vierschanz­entournee. Erhöht sich der Druck auf das deutsche Team Jahr für Jahr?

Ich weiß nicht, wie die Jungs das sehen. Letzten Endes: Jeder, der von denen morgens aufsteht, will natürlich die Tournee gewinnen. Das ist von den meisten Springern die Herangehen­sweise. Viele wollten Skispringe­r werden, weil sie die Tournee gesehen haben. Ich hoffe natürlich. Jubiläen fühlen sich immer gut an, vielleicht klappt es ja auch in diesem Jahr. Es war schon das eine oder andere Jahr dabei, bei dem ich das Gefühl hatte, es könnte was werden. Lange hatten wir nur ein Rennpferd, jetzt waren es mit

Karl Geiger und Markus Eisenbichl­er zwei. Auch das hat nicht gereicht. Ich denke mal, dass der da oben jetzt schon langsam ein Einsehen hat, dass es langsam mal wieder Zeit wird, dass ein Deutscher ganz oben steht.

Sie sind als Experte in Bischofsho­fen dabei. Wie sieht Ihr 20. Jahrestag – der 6. Januar 2022 – aus?

Das weiß ich gar nicht, ob ich das jetzt schon wissen möchte.

Ich denke mal, dass vorwiegend das Programm ganz oben steht und dann gucken wir mal. Ich werde ihn auf jeden Fall genießen und wahrschein­lich auch sehr tief in Erinnerung schwelgen. dpa

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Fotos: dpa Sven Hannawald arbeitet im Winter als TV-Experte.
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