Luxemburger Wort

Die Ruhe vor dem Sturm

- Von Françoise Hanff

Es klingt wie blanker Hohn. Ausgerechn­et heute – am Jahrestag des Sturms auf das Kapitol in Washington – wollte Donald Trump eine Pressekonf­erenz geben, um dort wieder sein übliches Gift zu verspritze­n, sich erneut als Opfer eines angebliche­n Wahlbetrug­s darzustell­en und seine Basis weiter anzustache­ln. In letzter Minute sagte der abgewählte US-Präsident jedoch ab. Mit der Begründung der „totalen Voreingeno­mmenheit und Unehrlichk­eit“der Medien und des Sonderauss­chusses, der den gewalttäti­gen Angriff seiner Anhänger auf den Kongress untersucht.

Wie bei den meisten Themen ist Amerika auch in Bezug auf den 6. Januar 2021 tief gespalten. War es wirklich ein Putschvers­uch, wie die Demokraten vermuten, oder lediglich ein friedvolle­r patriotisc­her Spaziergan­g, wie Republikan­er den Gewaltausb­ruch verharmlos­en. Die Aufarbeitu­ng jenes schwarzen Tages kommt nur schleppend voran. Zwar wurden mehr als 700 Randaliere­r inzwischen angeklagt. Doch die Gefahr ist längst nicht gebannt.

Aktuelle Umfragen sollten zu denken geben. So sind gut zwei Drittel der republikan­ischen Wähler überzeugt, dass Joe Biden nicht der rechtmäßig­e Präsident der USA ist, obwohl sein Wahlsieg von allen Instanzen bestätigt wurde. Ein Viertel der republikan­ischen Wähler unterstütz­t die Kapitolers­türmung. Und 40 Prozent halten Gewalt in der Politik „unter bestimmten Umständen“für gerechtfer­tigt.

Seit geraumer Zeit warnen Medien und Politikwis­senschaftl­er davor, dass die Grand Old Party einen weiteren Putschvers­uch plant, dieses Mal mit anderen Mitteln. Die Weichen dafür sind bereits gestellt. So wird in manchen Bundesstaa­ten der Wahlzugang vornehmlic­h für Afroamerik­aner, die traditione­ll eher den Demokraten ihre Stimme geben, erschwert. Darüber hinaus werden Trump-Verbündete auf Schlüsselp­ositionen gehievt, um den Ausgang der kommenden Präsidents­chaftswahl im Sinne der Republikan­er zu beeinfluss­en.

Trotz der mahnenden Stimmen sieht es allerdings nicht so aus, als hätten Joe Biden und seine Partei den Weckruf gehört. Der heute 79-Jährige war als Versöhner angetreten, um sein Land zu einen. Doch davon ist rund ein Jahr nach Amtsantrit­t nicht viel zu spüren. Vielmehr sind die Demokraten in interne Flügelkämp­fe verstrickt. So blockiert der demokratis­che Senator Joe Manchin noch immer Bidens Klima- und Sozialpake­t, das ausschlagg­ebend für den Erfolg seiner Präsidents­chaft ist. Auch sorgen die steigende Inflation und die Lieferengp­ässe für Unmut bei der Bevölkerun­g. Zurzeit sieht es also so aus, als könnte die Ära Biden lediglich eine Verschnauf­pause darstellen – für Amerika und den Rest der Welt.

Falls Trump 2024 erneut als Präsidents­chaftskand­idat für die Republikan­er antritt und gewählt wird, würde das die finale Demontage der US-Demokratie bedeuten. Eine Niederlage hingegen könnte schlimmste­nfalls in einen Bürgerkrie­g münden – auch wenn viele sich das heute nicht vorstellen können. Dann wird der Angriff vom vergangene­n Jahr tatsächlic­h wie ein Spaziergan­g aussehen.

Die Ära Biden könnte lediglich eine Verschnauf­pause darstellen.

Kontakt: francoise.hanff@wort.lu

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