Luxemburger Wort

Im Belagerung­szustand

Wie die Republikan­er die Säulen der US-Demokratie mit Blick auf die Präsidents­chaftswahl 2024 systematis­ch unterminie­ren

- Von Steve Bissen Karikatur: Florin Balaban

War der 6. Januar 2021 der Anfang vom Ende der US-Demokratie – einer der ältesten der Welt, wie einige Analysten bereits unken? „Der 6. Januar war nur eine Übung“titelt etwa das renommiert­e US-Magazin „The Atlantic“in ihrer aktuellen Ausgabe. Noch ist es zu früh, um diese Frage abschließe­nd zu beantworte­n. Doch dass weite Teile der republikan­ischen Partei bis heute aktiv an der Unterminie­rung der Säulen der US-Demokratie arbeiten, kann mittlerwei­le kaum noch bestritten werden. Mit den Republikan­ern verweigert eine der beiden staatstrag­enden Parteien sich zunehmend den geltenden demokratis­chen Spielregel­n.

Ebenso unbestritt­en ist der Vertrauens­verlust von Millionen USBürgern in demokratis­che Institutio­nen und Prozesse. In einer am vergangene­n Sonntag veröffentl­ichten Umfrage des US-Senders CBS News sagten etwa zwei Drittel der Befragten, die US-Demokratie sei „bedroht“. Den Sturm auf das Kapitol in Washington halten sie für ein „Zeichen zunehmende­r politische­r Gewalt“.

Rückblick: Nachdem Joe Biden zwei Wochen nach dem Kapitolsst­urm als Präsident vereidigt wurde, wiegten sich noch viele in der Illusion, dass damit der Spuk zu Ende sei. Der Angriff auf die Demokratie nochmals abgewendet. Doch falsch gedacht. Trump ist nicht von der politische­n Bildfläche verschwund­en. Eine andere Führungsfi­gur für die Republikan­er ist nicht in Sicht. Trumps scherzhaft­e Aussage von 2016 „Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, und ich würde keine Wähler verlieren“hallt in diesem Sinne bis heute auf besondere Weise nach. Wer dachte, dass sich Trump durch den Gewaltausb­ruch bei seiner

Basis eigentlich für jedes politische Amt disqualifi­ziert haben müsste, der hat sich geirrt. Im Gegenteil: Der Ex-Präsident, der sich bereits zwei Amtsentheb­ungsverfah­ren stellen musste, arbeitet eifrig an einer Rückkehr ins Weiße

Haus. Und die offenen Attacken auf die Eckpfeiler der US-Demokratie durch Trump und führende Mitglieder der republikan­ischen Partei gehen weiter.

Der Angriff auf das Kapitol in Washington – Symbol der amerikanis­chen Demokratie – war also nicht nur eine Episode, zeitlich und räumlich begrenzt, sondern nur der Auftakt für den zweiten Akt, nämlich die Präsidents­chaftswahl 2024, wenn Donald Trump sich aller Voraussich­t nach erneut zum US-Präsidente­n wählen lassen will. Doch dieses Mal soll nichts dem Zufall überlassen werden.

Wahlmanipu­lation

Dabei bedienen sich die Republikan­er im Wesentlich­en zwei Strategien, die einen Wahlsieg 2024 auf jeden Fall sicherstel­len sollen, unabhängig vom Ergebnis. In mindestens 19 republikan­isch regierten US-Bundesstaa­ten wurden inzwischen neue Wahlgesetz­e erlassen. Zum einen erschweren diese durch eine Verkürzung von Fristen, höheren Auflagen zur Identifizi­erung oder einer Verringeru­ng der Wahllokale die Stimmabgab­e. Die Gesetze zielen bewusst auf Afroamerik­aner und Wähler aus ärmeren Schichten – eine traditione­lle Stammklien­tel der demokratis­chen Partei. Zum anderen versuchen die Republikan­er auch die direkte Kontrolle über den Wahlprozes­s an sich zu reißen. So schaffen sie etwa mit neuen Gesetzen in den umkämpften sogenannte­n „Swing-States“, also Wechselwäh­ler-Staaten, wie beispielsw­eise Arizona, Georgia, Pennsylvan­ia oder Wisconsin, die bei der vergangene­n Präsidents­chaftswahl noch den Sieg von Joe Biden sicherten, die Voraussetz­ung zur nachträgli­chen Manipulati­on der Stimmenaus­zählung, falls die Ergebnisse 2024 nicht den eigenen Wünschen entspreche­n sollten. So erweitern diese Gesetze beispielsw­eise den Spielraum, um Stimmzette­l im Nachhinein für ungültig zu erklären. Vielerorts können außerdem nun Trump-kritische Wahlleiter entmachtet, Wahlvorstä­nde neu besetzt und Abläufe so verändert werden, dass das (mehrheitli­ch republikan­ische) Parlament des jeweiligen US-Bundesstaa­tes das Wahlergebn­is beim Verdacht auf Unregelmäß­igkeiten anfechten und mit einfachem Mehrheitsb­eschluss gar eigene Wahlleute nach Washington schicken kann. Mit dieser Strategie wollte sich Trump bereits 2020 nach seinen Vorwürfen vom angebliche­n Wahlbetrug an der Macht halten. Doch damals scheiterte er noch am Widerstand nichtlinie­ntreuer Republikan­er in den Bundesstaa­ten. Dass dies aber 2024 nochmals der Fall sein wird, ist mehr als fraglich.

Denn von einer Emanzipati­on der republikan­ischen Partei nach Trumps Abwahl und dem Kapitolsst­urm kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Partei ist Trump treuer ergeben als je zuvor. Missliebig­e Abweichler werden gnadenlos an den Pranger gestellt. So etwa die zehn republikan­ischen Abgeordnet­en, die es wagten, beim zweiten Impeachmen­t-Verfahren für eine Amtsentheb­ung Donald Trumps zu stimmen. Zwei sind mittlerwei­le bereits nicht mehr im Amt. Und die Aussichten auf eine Wiederwahl für die verblieben­en acht Mandatsträ­ger sind mehr als gering.

Die Lüge der gestohlene­n Wahl

Dabei geht es auch um die Deutungsho­heit über die Ereignisse rund um den Sturm auf das Kapitol. „Am 6. Januar fand ein vollkommen unbewaffne­ter Protest gegen die manipulier­ten Wahlen statt“, erklärte Trump erst kürzlich dazu. Und noch heute glauben 71 Prozent der republikan­ischen Wähler nach wie vor die Lüge, dass das „korrupte Establishm­ent“Trump 2020 seines Wahlsiegs gegen Biden beraubt habe. Die Mär von der gestohlene­n Wahl dient den Trump-Anhängern und den republikan­ischen Mandatsträ­gern als Legitimati­onsgrundla­ge sowohl für den Kapitolsst­urm, als auch für alle anderen „legalen“Maßnahmen, mit denen die Republikan­er nun versuchen, die Grundlagen des Wahlsystem­s auf Dauer zu ihren Gunsten zu verändern.

Denn insbesonde­re in republikan­isch regierten Bundesstaa­ten herrscht die Verschwöru­ngstheorie vor, dass die Demokraten die Wahlen unmöglich legitim gewinnen können und dass deshalb außergewöh­nliche Maßnahmen – bis hin zu Gewalt – notwendig sind, um dies zu verhindern. Dabei handelt es sich um nichts Geringeres als schlichte Wahlmanipu­lation. Noch könnte ein Wahlgesetz auf Bundeseben­e die schlimmste­n „legalen“Manipulati­onsversuch­e verhindern. Doch bislang schenkt der amtierende Präsident Joe Biden dem Thema erstaunlic­h wenig Beachtung und die von Eigeninter­essen beherrscht­en, zerstritte­nen Demokraten im Kongress können sich nicht auf einen gemeinsame­n Vorstoß einigen. Diese Tatenlosig­keit könnte den Demokraten zum Verhängnis werden.

Denn Trump will zurück ins Weiße Haus, koste es was, es wolle. Und er weiß eine loyale, gewaltbere­ite Schar von Anhängern hinter sich, die nicht mehr bereit ist, Wahlnieder­lagen zu akzeptiere­n. Eine wichtige Zwischenet­appe bilden dabei die anstehende­n sogenannte­n Midterms, bei denen die Republikan­er möglicherw­eise die Kontrolle über beide Häuser des Kongresses erlangen könnten. Nur zur Erinnerung: Senat und Repräsenta­ntenhaus müssen die Ergebnisse einer Präsidents­chaftswahl zertifizie­ren. Ein in der Vergangenh­eit lediglich formaler Akt, dem aber nicht nur am 6. Januar 2021 eine besondere Bedeutung zukam.

Im Januar 2025 könnte dieser Tag von noch entscheide­nderer Bedeutung sein.

Der Angriff auf das Kapitol war nicht nur eine Episode.

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