Im Belagerungszustand
Wie die Republikaner die Säulen der US-Demokratie mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2024 systematisch unterminieren
War der 6. Januar 2021 der Anfang vom Ende der US-Demokratie – einer der ältesten der Welt, wie einige Analysten bereits unken? „Der 6. Januar war nur eine Übung“titelt etwa das renommierte US-Magazin „The Atlantic“in ihrer aktuellen Ausgabe. Noch ist es zu früh, um diese Frage abschließend zu beantworten. Doch dass weite Teile der republikanischen Partei bis heute aktiv an der Unterminierung der Säulen der US-Demokratie arbeiten, kann mittlerweile kaum noch bestritten werden. Mit den Republikanern verweigert eine der beiden staatstragenden Parteien sich zunehmend den geltenden demokratischen Spielregeln.
Ebenso unbestritten ist der Vertrauensverlust von Millionen USBürgern in demokratische Institutionen und Prozesse. In einer am vergangenen Sonntag veröffentlichten Umfrage des US-Senders CBS News sagten etwa zwei Drittel der Befragten, die US-Demokratie sei „bedroht“. Den Sturm auf das Kapitol in Washington halten sie für ein „Zeichen zunehmender politischer Gewalt“.
Rückblick: Nachdem Joe Biden zwei Wochen nach dem Kapitolssturm als Präsident vereidigt wurde, wiegten sich noch viele in der Illusion, dass damit der Spuk zu Ende sei. Der Angriff auf die Demokratie nochmals abgewendet. Doch falsch gedacht. Trump ist nicht von der politischen Bildfläche verschwunden. Eine andere Führungsfigur für die Republikaner ist nicht in Sicht. Trumps scherzhafte Aussage von 2016 „Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, und ich würde keine Wähler verlieren“hallt in diesem Sinne bis heute auf besondere Weise nach. Wer dachte, dass sich Trump durch den Gewaltausbruch bei seiner
Basis eigentlich für jedes politische Amt disqualifiziert haben müsste, der hat sich geirrt. Im Gegenteil: Der Ex-Präsident, der sich bereits zwei Amtsenthebungsverfahren stellen musste, arbeitet eifrig an einer Rückkehr ins Weiße
Haus. Und die offenen Attacken auf die Eckpfeiler der US-Demokratie durch Trump und führende Mitglieder der republikanischen Partei gehen weiter.
Der Angriff auf das Kapitol in Washington – Symbol der amerikanischen Demokratie – war also nicht nur eine Episode, zeitlich und räumlich begrenzt, sondern nur der Auftakt für den zweiten Akt, nämlich die Präsidentschaftswahl 2024, wenn Donald Trump sich aller Voraussicht nach erneut zum US-Präsidenten wählen lassen will. Doch dieses Mal soll nichts dem Zufall überlassen werden.
Wahlmanipulation
Dabei bedienen sich die Republikaner im Wesentlichen zwei Strategien, die einen Wahlsieg 2024 auf jeden Fall sicherstellen sollen, unabhängig vom Ergebnis. In mindestens 19 republikanisch regierten US-Bundesstaaten wurden inzwischen neue Wahlgesetze erlassen. Zum einen erschweren diese durch eine Verkürzung von Fristen, höheren Auflagen zur Identifizierung oder einer Verringerung der Wahllokale die Stimmabgabe. Die Gesetze zielen bewusst auf Afroamerikaner und Wähler aus ärmeren Schichten – eine traditionelle Stammklientel der demokratischen Partei. Zum anderen versuchen die Republikaner auch die direkte Kontrolle über den Wahlprozess an sich zu reißen. So schaffen sie etwa mit neuen Gesetzen in den umkämpften sogenannten „Swing-States“, also Wechselwähler-Staaten, wie beispielsweise Arizona, Georgia, Pennsylvania oder Wisconsin, die bei der vergangenen Präsidentschaftswahl noch den Sieg von Joe Biden sicherten, die Voraussetzung zur nachträglichen Manipulation der Stimmenauszählung, falls die Ergebnisse 2024 nicht den eigenen Wünschen entsprechen sollten. So erweitern diese Gesetze beispielsweise den Spielraum, um Stimmzettel im Nachhinein für ungültig zu erklären. Vielerorts können außerdem nun Trump-kritische Wahlleiter entmachtet, Wahlvorstände neu besetzt und Abläufe so verändert werden, dass das (mehrheitlich republikanische) Parlament des jeweiligen US-Bundesstaates das Wahlergebnis beim Verdacht auf Unregelmäßigkeiten anfechten und mit einfachem Mehrheitsbeschluss gar eigene Wahlleute nach Washington schicken kann. Mit dieser Strategie wollte sich Trump bereits 2020 nach seinen Vorwürfen vom angeblichen Wahlbetrug an der Macht halten. Doch damals scheiterte er noch am Widerstand nichtlinientreuer Republikaner in den Bundesstaaten. Dass dies aber 2024 nochmals der Fall sein wird, ist mehr als fraglich.
Denn von einer Emanzipation der republikanischen Partei nach Trumps Abwahl und dem Kapitolssturm kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Partei ist Trump treuer ergeben als je zuvor. Missliebige Abweichler werden gnadenlos an den Pranger gestellt. So etwa die zehn republikanischen Abgeordneten, die es wagten, beim zweiten Impeachment-Verfahren für eine Amtsenthebung Donald Trumps zu stimmen. Zwei sind mittlerweile bereits nicht mehr im Amt. Und die Aussichten auf eine Wiederwahl für die verbliebenen acht Mandatsträger sind mehr als gering.
Die Lüge der gestohlenen Wahl
Dabei geht es auch um die Deutungshoheit über die Ereignisse rund um den Sturm auf das Kapitol. „Am 6. Januar fand ein vollkommen unbewaffneter Protest gegen die manipulierten Wahlen statt“, erklärte Trump erst kürzlich dazu. Und noch heute glauben 71 Prozent der republikanischen Wähler nach wie vor die Lüge, dass das „korrupte Establishment“Trump 2020 seines Wahlsiegs gegen Biden beraubt habe. Die Mär von der gestohlenen Wahl dient den Trump-Anhängern und den republikanischen Mandatsträgern als Legitimationsgrundlage sowohl für den Kapitolssturm, als auch für alle anderen „legalen“Maßnahmen, mit denen die Republikaner nun versuchen, die Grundlagen des Wahlsystems auf Dauer zu ihren Gunsten zu verändern.
Denn insbesondere in republikanisch regierten Bundesstaaten herrscht die Verschwörungstheorie vor, dass die Demokraten die Wahlen unmöglich legitim gewinnen können und dass deshalb außergewöhnliche Maßnahmen – bis hin zu Gewalt – notwendig sind, um dies zu verhindern. Dabei handelt es sich um nichts Geringeres als schlichte Wahlmanipulation. Noch könnte ein Wahlgesetz auf Bundesebene die schlimmsten „legalen“Manipulationsversuche verhindern. Doch bislang schenkt der amtierende Präsident Joe Biden dem Thema erstaunlich wenig Beachtung und die von Eigeninteressen beherrschten, zerstrittenen Demokraten im Kongress können sich nicht auf einen gemeinsamen Vorstoß einigen. Diese Tatenlosigkeit könnte den Demokraten zum Verhängnis werden.
Denn Trump will zurück ins Weiße Haus, koste es was, es wolle. Und er weiß eine loyale, gewaltbereite Schar von Anhängern hinter sich, die nicht mehr bereit ist, Wahlniederlagen zu akzeptieren. Eine wichtige Zwischenetappe bilden dabei die anstehenden sogenannten Midterms, bei denen die Republikaner möglicherweise die Kontrolle über beide Häuser des Kongresses erlangen könnten. Nur zur Erinnerung: Senat und Repräsentantenhaus müssen die Ergebnisse einer Präsidentschaftswahl zertifizieren. Ein in der Vergangenheit lediglich formaler Akt, dem aber nicht nur am 6. Januar 2021 eine besondere Bedeutung zukam.
Im Januar 2025 könnte dieser Tag von noch entscheidenderer Bedeutung sein.
Der Angriff auf das Kapitol war nicht nur eine Episode.