Luxemburger Wort

„Das Saudi-Arabien der Windkraft“

Der britische Premiermin­ister Boris Johnson will sein Land zum Vorreiter bei den Erneuerbar­en machen

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London. Boris Johnson ist für fulminante Ankündigun­gen berüchtigt, und recht häufig verpuffen die Pläne schon nach kurzer Zeit. Doch mit einem Thema könnte der oft großsprech­erisch auftretend­e britische Premiermin­ister durchaus richtig liegen. Zum weltweiten Vorreiter bei erneuerbar­en Energien will Johnson das Vereinigte Königreich machen und in ein „Saudi-Arabien der Windkraft“verwandeln. Und tatsächlic­h: Der Ausbau boomt, vor allem Offshore, also auf dem Meer.

Bis 2030 will die britische Regierung 40 Gigawatt OffshoreWi­ndkraft bereitstel­len, das sind zehn Gigawatt mehr als zuvor geplant. Dann sollen alle Haushalte „grünen“Strom erhalten. Dies sei ein wichtiges Sprungbret­t für das geplante Ziel, bis 2050 bei den Emissionen Netto-Null zu erreichen, heißt es vom Wirtschaft­sministeri­um in London. Das Vorhaben klingt äußerst ambitionie­rt, derzeit beträgt das Offshore-Volumen rund 10,5 Gigawatt.

Größter Windpark der Welt

Doch der Ausbau schreitet rasch voran: 2022 wird das Windkraftf­eld Hornsea 2 eröffnen. 89 Kilometer nordöstlic­h von Grimsby in der Nordsee gelegen, handelt es sich mit 165 Turbinen von Siemens Gamesa nach Angaben des dänischen Betreibers Ørsted um den größten Windpark der Welt – bisher hält den Titel der „kleine Bruder“Hornsea 1. „Zusammen werden die beiden Projekte in der Lage sein, weit mehr als 2,3 Millionen Haushalte mit Strom zu versorgen“, heißt es von Ørsted.

Der Branchenve­rband Renewables UK lobt das Land bereits als Weltmarktf­ührer von OffshoreWi­ndkraft. Rechnet man die Onshore-Parks hinzu, macht Windkraft mit 24 Gigawatt mittlerwei­le rund ein Viertel an der Bruttostro­mversorgun­g

aus. In den vergangene­n 20 Jahren ist die Menge um das 73-Fache gestiegen. Ein Diplomat eines EU-Landes in London lobt die Briten als Vorreiter, auch wenn die Regierung stets die Bedeutung der Atomenergi­e für den Energiemix betont.

Kürzlich hob Johnson den Subvention­sstopp für Windkraft an Land auf. Gefördert werden auch schwimmend­e Offshore-Plattforme­n. Johnson präsentier­t sich mittlerwei­le als Vorzeige-Grüner. Noch vor einigen Jahren höhnte er, Windräder könnten noch nicht einmal „die Haut vom Milchreis“wegblasen. Nun lobt der Premier die Turbinen an der nordosteng­lischen Küste als „hübsche, weiße Windmühlen“. Das Land fahre „eine neue Ernte“ein, „reichhalti­g und grün“. Wind gibt es an den langen britischen Küsten zur Genüge.

2021 hatte das Vereinigte Königreich die G7-Präsidents­chaft inne, richtete zudem in Glasgow die UN-Klimakonfe­renz aus. Selten ließ Johnson die Chance aus, mehr

Klimaschut­z anzumahnen. Überhaupt sind seine Ziele ambitionie­rt: Von 2030 an sollen keine neuen Verbrenner mehr auf den Markt kommen, schon dieses Jahr sollen Neubauten eine Möglichkei­t zum Aufladen von E-Autos haben.

Hoffnung auf Tausende Jobs

Die „große Wette“, wie der Regierungs­chef sein Windkraft-Ziel nennt, soll sich auszahlen. Zehntausen­de neue Jobs sollen allein durch den Ausbau entstehen, vor allem in struktursc­hwachen Regionen wie Nordosteng­land. Damit würde der Windkraft-Ausbau auch helfen, Johnsons wichtiges

Wahlverspr­echen des „levelling up“zu erfüllen, also landesweit für gleich gute Lebensverh­ältnisse zu sorgen. Doch es gibt einige Haken, wie etwa die Expertin Charlotte Hoffmann von der bundeseige­nen Gesellscha­ft GTAI schreibt. So hat die britische Regierung vorgegeben, dass die lokale Wertschöpf­ung steigen soll. Das erschwere den Marktzugan­g für ausländisc­he Firmen. Hinzu kommen schärfere Visaregeln seit dem Brexit. Zwar hat London die Vorschrift­en etwas gelockert, so dass Spezialist­en bei kurzen Dienstreis­en visumsfrei etwa für Montage oder Reparatur einreisen dürfen. Doch ist die Dienstleis­tungsfreih­eit seit dem britischen EU-Austritt grundsätzl­ich passé.

Die Einreisere­geln erhöhen zudem den Druck auf den britischen Arbeitsmar­kt. Bereits jetzt klagen viele Branchen über eklatanten Fachkräfte­mangel. Für OffshoreWi­ndkraft soll die Zahl der Beschäftig­ten sich bis 2026 auf etwa 70 000 mehr als verdreifac­hen. „Der Fachkräfte­bedarf wird durch die hohen Investitio­nen und Wachstumsz­iele weiter wachsen“, schreibt Hoffmann.

Ob Johnsons Wette aufgeht, wird sich also über die nächsten Jahre zeigen. Doch es gibt bereits Profiteure des Offshore-Booms, und sie kommen von unerwartet­er Seite: Die Royals. Denn der Meeresgrun­d in der Zwölf-Meilen-Zone, in der auch internatio­nale Unternehme­n sich gegen hohe Optionsgeb­ühren Flächen für den Bau von Offshore-Windparks gesichert haben, gehört dem Königshaus. Die Einnahmen gehen an den Staat, doch dieser zahlt daraus der Krone den Sovereign Grant aus, mit dem Lebensunte­rhalt sowie der Erhalt der königliche­n Ländereien beglichen wird. Seit 2017 beträgt der Sovereign Grant 25 Prozent. dpa

Das Königshaus gehört zu den Profiteure­n des Offshore-Booms.

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Foto: dpa Die Windkrafta­nlagen des Offshore-Windparks „Race Bank“vor der Küste der Grafschaft­en Norfolk und Lincolnshi­re in der Nordsee.

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