„De Renert an d'Ketty Thull“
Die Vereinigung Lëtzebuerger Bicherfrënn verhilft alten Büchern zu neuen Besitzern
Bourglinster. Am Tag nach dem Starkregen im Ernztal im Juli 2016 klingelte beim Bürgermeister der betroffenen Gemeinde das Telefon. Am anderen Ende der Leitung befand sich Francis Dahm, der Präsident der Lëtzebuerger Bicherfrënn aus Niederanven: „Ich teilte ihm mit, dass unsere Vereinigung 10 000 Euro als Direkthilfe überweisen wolle.“
Das Geld nimmt die Asbl mit dem Verkauf von alten Büchern ein und rettet so viele Werke vor der blauen Tonne. „Unser Umsatz beläuft sich auf 45 000 bis 55 000 Euro pro Jahr“, sagt der Präsident. Die zwölf Mitarbeiter arbeiten alle ohne Entgelt. Das, was nach dem Abzug aller Kosten übrigbleibt, wird gespendet. 58 000 Euro waren es im Jahr 2020.
Während ihrer freien Zeit nehmen die Bicherfrënn kistenweise alte Bücher an, sortieren sie und bringen sie in die Pabeierscheier nach Bourglinster und seit kurzem auch in die Bicherstuff nach Wiltz. Jeden ersten Sonntagnachmittag im Monat und jeden Donnerstagabend stehen die Scheunentore in Bourglinster für Leseratten und Sammler offen. Beim Gebrauchtbuchladen in Wiltz ist dies jeden dritten Sonntag der Fall.
Vor 25 Jahren hatten sich 23 Bücherfreunde zusammengetan, um ihrer Leidenschaft gemeinsam nachgehen zu können. „Darunter gab es viele Sammler“, erklärt Francis Dahm. Zu Beginn habe die Vereinigung Tauschbörsen im Tramschapp organisiert. Schon bald war sie auf der Suche nach einer festen Bleibe. „Durch Zufall sind wir dann im Jahr 1999 hier in Bourglinster gelandet“, erinnert sich Christiane Krier, die Sekretärin. „Das Lokal stand gerade leer.“
Der Raum wurde gebraucht. Denn die Bücherfreunde hatten so viele Sachspenden erhalten, dass sie regelrecht darin „ertrunken sind“. „Wir schätzen, dass wir in Bourglinster aktuell 40 000 bis 50 000 Bücher in den Regalen stehen haben“, meint Guy Pfeiffer, der Trésorier. So ganz genau kann es aber niemand sagen. Die Bücher werden nicht digital erfasst.
Bücher zum Kilopreis
„Der Kunde bezahlt im Prinzip vier Euro für ein Kilo Bücher“, erklärt die Sekretärin. „Luxemburgensia und Raritäten ausgenommen.“In der Vergangenheit wurde 70 Prozent des Umsatzes mit luxemburgischen Büchern gemacht, heute ist es nur noch ein Drittel. „Bücher über den Zweiten Weltkrieg laufen auch nicht mehr so gut“, meint der Schatzmeister. Es gebe immer weniger Sammler.
Dafür habe eine andere Kundschaft die Pabeierscheier für sich entdeckt: Diese ist mittlerweile ein Geheimtipp unter Studenten. „Auf der Uni muss es sich herumgesprochen haben, dass es hier günstige Bücher gibt“, vermutet Francis Dahm. Manche Studenten seien sogar dabei, sich eine Sammlung aufzubauen. „Philosophie oder Informatik“, sagt er.
„Wir verkaufen auch sehr viele Kinderbücher“, fügt die Sekretärin hinzu. Dabei lege man besonders Wert darauf, dass den „ersten Lesern“keine deutschsprachigen Bücher mit der alten Rechtschreibung unterkommen. „Französische Bücher sind unter den Jugendlichen nicht mehr in“, weiß Christiane Krier. „Dafür interessiert sich die Jugend mehr für englischsprachige Bücher.“
Ganze Enzyklopädien, die neu Hunderttausende alte Luxemburger Franken kosteten, haben in Bourglinster für einen Bruchteil der Summe den Besitzer gewechselt. Es komme vor, dass Händler im Auftrag eines Kunden auf der Suche nach einer bestimmten Rarität zu den Bücherfreunden kommen. Der Händler kaufe das Buch günstig ein und verkaufe es zu Liebhaberpreisen weiter. „Das stört uns nicht“, meint der Präsident. „Wir bekommen unseren Preis und in den Regalen wird wieder Platz frei.“
Für genügend Nachschub ist gesorgt. Während des Gesprächs entschuldigte sich der Präsident, weil das Handy klingelte. „Am Montag wird jemand zwei Tüten Bücher vorbeibringen“, meinte er, als das
Telefonat beendet war. „Wir nehmen jedes gute Buch mit Freude an“, sagt der Präsident.
Die Bücher stammen zum größten Teil aus Privatspenden. Wenn ein Haushalt aufgelöst wird, komme es oft vor, dass ganze Bibliotheken einen neuen Besitzer suchen. „Wir sind froh, dass die Bücher bei euch ein zweites Leben bekommen“, dies höre man öfters.
Karl May und Stephen King
Es gibt Bücher, die finden sicher einen Abnehmer. „Der Renert läuft immer gut“, betont Christiane Krier. „Und Ketty Thull auch.“Es gibt aber auch literarische Werke, die schlecht altern. „Zehn Jahre alte Krimis interessieren heute weniger“, meint die Sekretärin.
„Außer natürlich von bekannten Schriftstellern wie Stephen King“, antwortet der Präsident. Erst vor kurzem sei ein King-Fan vorbeigekommen und habe fast alles mitgenommen. „Die Leute tragen die Bücher tütenweise nach Hause“, bekräftigt Christiane Krier. Eine andere Kundin habe sich mit alten Liebesromanen eingedeckt. „Wir sind froh, wenn wieder Platz frei wird“, betont der Präsident.
Welle alter Bücher
Seit dem Ausbruch der CoronaPandemie scheinen sich die Einwohner des Landes wieder verstärkt mit Büchern zu beschäftigen. Als die Pabeierscheier nach dem Lockdown wieder öffnete, sei der Andrang sehr groß gewesen. Die Leute hatten Zeit, den Keller und Speicher zu räumen. „Ganze Wagenladungen Bücher wurden zu uns gebracht“, erinnert sich Christine Krier.
Nun gilt es, neue Abnehmer für diese Bücher zu finden. Auch die Nachfrage nach neuem Lesestoff sei seit Corona gestiegen. Allzu groß darf der Andrang zu den Besuchszeiten jedoch nicht sein, denn seit Corona dürfen nur noch zehn Personen gleichzeitig in die Pabeierscheier.
Wir nehmen jedes gute Buch mit Freude an. Francis Dahm, Präsident der Bicherfrënn
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