Symphonie für Hollywood
„King Kong“, „Gone with the Wind“, „Casablanca“, „The Treasure of the Sierra Madre”… Die Musik von Dutzenden Filmklassikern stammt aus der Feder des gebürtigen Österreichers Max Steiner. Wie kein anderer Komponist prägte er Sound und Musikdramaturgie von
Ob Thriller, Romantik, Action oder Fantasy: Ohne Musik ist ein typischer Hollywoodfilm kaum denkbar. Sie kommt meistens in einem symphonischen Gewand daher – ein Trend, der 1977 mit „Star Wars“eingeläutet wurde und bis heute anhält. Der Stil mag sich ein wenig geändert haben, doch die Herangehensweise ist jene des „underscoring“, des dramaturgischen Einsatzes von Musik im Film, wie er bereits Anfang der 1930-Jahre in den Studios der amerikanischen Filmmetropole entwickelt und perfektioniert wurde. Eine Kunst und eine Technik, an deren Wiege ein Einwanderer aus Österreich stand: der Wiener Max Steiner.
Steiner kam im ausklingenden 19. Jahrhundert zur Welt, in der Zeit der k.u.k. Doppelmonarchie und der Walzerseligkeit an der schönen blauen Donau. Mit der leichten Muse war seine eigene Familie eng verbunden. Großvater Maximilian Steiner war Direktor des Theaters an der Wien, zu einem Zeitpunkt, als dort die ersten Operetten von Franz von Suppé und Johann Strauß Sohn uraufgeführt wurden. Vater Gabor leitete sogar mehrere Theater und errichtete einen der weltweit ersten Themenparks, „Venedig in Wien“, in dem die Lagunenstadt samt Kanälen als Freizeit- und Vergnügungsstätte (inklusive des berühmten Riesenrads) im Prater nachgebaut wurde. Die konvertierte jüdische Familie Steiner gehörte demnach zum gehobenen Bürgertum Wiens.
Kein Geringerer als Richard Strauss fungierte als Taufpate von Maximilian Raoul Steiner, der am 10. Mai 1888 das Licht der Welt erblickte. Sein eigener Weg deutete schon früh in Richtung Musik. Mit 15 Jahren begann er ein Studium an der k.k. Musikakademie und erhielt dort von Lehrern wie Hermann Graedener, Robert Fuchs und Felix Weingartner seine Ausbildung in Komposition, Kontrapunkt und Orchesterleitung. Noch nicht zwanzig war er, als er sein erstes Bühnenwerk, die Operette „Die schöne Griechin“, vor Publikum dirigierte.
Eigentlich hätte für ihn alles zum Besten gestanden, wenn die unternehmerischen Spekulationen von Vater Gabor in diesen Jahren nicht zum Bankrott geführt hätten. Der junge Max musste nun zusehen, wie er allein im Leben weiterkam. Er versuchte sein Glück als Dirigent an Musiktheatern jenseits des Ärmelkanals, in der Welt des Londoner Varietés. Hier lernte er, unter extremem Zeitdruck und mit anderen Einschränkungen zu arbeiten, eine Erfahrung, die ihm später in Hollywood sehr zugute kommen sollte. Doch dann brach der Erste Weltkrieg aus, und als österreichischer Staatsangehöriger
war Steiner nun „Enemy Alien“im Vereinigten Königreich. Um einem Berufsverbot und einer möglichen Internierung zu entkommen, blieb ihm nur der Weg in eine weitere Immigration. Diesmal führte ihn sein Weg in die USA, „mit 32 Dollar in der Tasche“, wie er sich später erinnerte.
Am New Yorker Broadway musste er wieder bei null beginnen: als Klavierbegleiter, Musikkopist und mit ähnlichen Gelegenheitsjobs. Schnell konnte er seine Auftraggeber davon überzeugen, dass er mehr draufhatte, nämlich das Orchestrieren und das Dirigieren von musikalischen Bühnenwerken, gar nicht zu sprechen von eigenen Kompositionsideen. In den folgenden Jahren arbeitete Steiner mit Musical-Größen wie Victor Herbert, George Gershwin, Jerome Kern, Cole Porter, Irving Berlin oder Florenz Ziegfeld zusammen.
Mittlerweile fast 40, hätte Steiner im Musiktheater weiter Karriere machen können. Doch im Herbst 1927 entdeckte das amerikanische Kinopublikum, dass der Film auch sprechen und singen konnte. Das rührselige Al-Jolson-Drama „The Jazz Singer“setzte eine Revolution in Gang. Ohne Tonspur war nun kein Filmstrei
London, New York, Hollywood
Am Broadway musste Steiner bei null beginnen: als Klavierbegleiter, Musikkopist und Gelegenheitsjobs.
fen mehr denkbar, und Adaptationen von Broadway-Revuen zählten zu den gefragtesten Stoffen. Wie andere Musiker mit einschlägiger Erfahrung erhielt auch Steiner einen Vertrag als „Music Director“in Hollywood.
Doch die Musical-Mode ebbte schnell wieder ab, und in den anderen „Talkies“wurde vor allem eines: gesprochen. Zwar war es immer schon üblich, Stummfilme in den Kinosälen „live“musikalisch zu begleiten, doch, wie Produzenten nun fragten, „wo soll die Musik im Tonfilm denn herkommen?“Dialoge und Geräusche hatten ihren Ursprung ja im Bild, die Musik aber nicht, sofern ihre Quelle nicht erkennbar war, eine Band etwa oder ein Grammophon. Technisch gab es in den Anfangsjahren des Tonfilms zudem das Problem, dass die Tonspuren (Dialoge, Geräusche und Musik) nicht separat aufgenommen und im Studio gemischt werden konnten. So beließ man es in der Regel bei einer Art Ouvertüre, „Main Title“genannt, die den Vorspann begleitete und die Stimmung des Films ankündigte, sowie einer Schlussmusik.
Geburtsstunde der Filmmusik
Steiner zählte zu den ersten Musikern in Hollywood, die erkannten, dass dies nicht der Weisheit letzter Schluss sein konnte. In der Aufführungspraxis des Stummfilms war Musik ein wesentlicher Bestandteil, um die Identifikationskraft der Bilder zu fördern, und bereits davor war sie im Bühnendrama eingesetzt worden. Die realitätsnahen Gangsterfilme der frühen 30erJahre mochten ohne Musik auskommen, doch anders erschien die Sache, wenn die Filmfabel sich weiter vom Alltag des Publikums entfernte und die Unterstützung durch die quasi subliminal auf die Psyche des Zuschauers agierende Musik erforderte.
Bei dem Arztdrama „Symphony of Six Million“(1932) gelang es Steiner, den Produzenten David O. Selznick davon zu überzeugen, dass der Film mit Musik viel überzeugender sein würde. Selznick bewilligte das Budget und war verblüfft vom Resultat, das heute musikdramaturgisch etwas krude klingt, damals aber einen beachtlichen Fortschritt darstellte. Was die Musik in einem Film mit Fantasyund Horrorcharakter bewirken konnte, bewies der Komponist ein Jahr später mit „King Kong“(1933). Dabei ging es um nichts Geringeres als das Publikum vergessen zu lassen, dass der Film eigentlich nur aus – Bild für Bild animierten – Trickszenen bestand, und der „Riesengorilla“bloß eine kleine Puppe war. Und dann sollte der Zuschauer ja auch glauben können, dass der Monsteraffe in die blonde Heldin „verliebt“war! Der Komponist schaffte das Unmögliche, mit einer Musik, die stilistisch Neuland beschritt und wesentlich moderner klang als das, was zu dieser Zeit meist im Kinosaal zu hören war.
Der Name Max Steiner war nun in aller Munde, und der Komponist, damals bereits in der Mitte des Lebens stehend, reihte Erfolg an Erfolg. John Fords irisches Bürgerkriegsdrama „The Informer“brachte ihm 1934 den Oscar ein, und Steiners Name tauchte in dieser Zeit regelmäßig unter den Nominierungen auf. Dabei war er ein wahres Arbeitstier, das es auf zehn Filmpartituren im Jahr bringen konnte. In vielen Fällen umfassten diese gut eine Stunde eigens komponierter Musik, denn die Produzenten konnten plötzlich nicht genug des „Underscoring“in ihren Filmen haben, erst recht, wenn es darum ging, mit Musik offensichtliche Mängel des Drehbuchs, der Regie und des Schauspiels zu übertünchen.
Für Steiner bedeutete dies über viele Jahre, die ganze Nacht mit Notenpapier und Stift bewaffnet am Klavier zu sitzen und zu komponieren. Zuvor hatte er sich mehrfach den fertig
Das Publikum vergessen lassen, dass „King Kong“nur aus animierten Trickszenen bestand und der „Riesengorilla“bloß eine kleine Puppe war.
geschnittenen Film im Studio angesehen und die Szenen nicht nur verinnerlicht, sondern anhand eines sekundengenauen „Breakdown“auch die Handlungspunkte festgelegt, die musikalisch betont werden sollten. Steiner war ein Befürworter des so genannten „MickeyMousing“, der punktgenauen Unterstreichung von Geschehnissen, wie sie heute nur noch im Zeichentrickfilm üblich ist. Für die melodische Strukturierung bediente er sich der „Leitmotiv“-Technik, wie Richard Wagner sie geprägt hatte, und die den wichtigen Figuren, Stimmungen und Gefühlen (im Hollywoodfilm durfte ein „Love Theme“nie fehlen) oder anderen Handlungselementen je ein eigenes musikalisches Thema zuordnete.
Der Zeitdruck im Studiosystem war meist enorm, besonders wenn es um die Komposition der Filmmusik ging, die ganz am Schluss erfolgte. Steiner selbst hatte in seiner Zeit am Broadway etliche Musicals arrangiert und instrumentiert, nun musste er diese Aufgabe anderen übertragen, um die knappen Deadlines einzuhalten. Was er den hauseigenen „Orchestrators“lieferte, war aber immer eine kontrapunktisch ausgearbeitete Mini-Partitur, die bereits genaue Angaben zum Orchestersatz enthielt.
Weiter ging die Mitarbeit dieser Spezialisten nicht, außer wenn wirklich Not am Mann war. Das war zum Beispiel der Fall, als Steiner 1939 die Margaret-Mitchell-Verfilmung „Vom Winde verweht“vertonen sollte – eine Mammutarbeit von fast drei Stunden Musik, für deren Ausarbeitung er gerade mal zwölf Wochen Zeit hatte. Alle Themen und die wichtigsten Szenen entstammen jedoch seiner Feder. „Gone with the Wind“zählt künstlerisch zu seinen größten Leistungen, auch wenn Steiner bei der „Academy Award“-Verleihung leer ausgehen sollte, was für den anerkennungsbedürftigen Musiker eine herbe Enttäuschung war.
Angesehene zeitgenössische Filmkomponisten wie John Williams und Danny Elfman wenden dieselben Techniken an, die Max Steiner selbst in seiner ikonischen Arbeit für Klassiker wie „Casablanca“, „King Kong“, und „Gone with the Wind“perfektioniert hat.
Ein Komponist für alle Fälle