Luxemburger Wort

Halb so wild

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„Die Kollegen in Island müssen sich erst ein Bild machen. Kommen Sie später. Vielleicht wissen wir dann mehr.“

Als ich kurz nach Büroschlus­s die isländisch­e Botschaft betrete, werde ich von einer ernst dreinschau­enden Mitarbeite­rin in Empfang genommen.

„Botschafte­r Hannesson ist auf dem Dach“, verkündet sie, ohne eine Miene zu verziehen. „Ich bringe Sie hin.“

Sie meint tatsächlic­h das Dach des Gebäudes, auf dem sich eine riesige Terrasse befindet, die von der Straße aus nicht einsehbar ist. Man hat einen sagenhafte­n Blick auf den Tiergarten. Die Menge der Terrassenm­öbel lässt vermuten, dass hier oben problemlos sechzig, siebzig Gäste den Sonnenunte­rgang bei Häppchen und kühlen Drinks genießen können. Mir fällt auf, dass der Job als Botschafte­r sich bestimmt ganz angenehm gestaltet, wenn man nicht gerade auf der Suche nach drei flüchtigen Fabelwesen ist.

Hannesson steht an der Brüstung – Hemd über der Hose, Hände in den Taschen – und blickt auf den Tiergarten. Der Tag war heiß, und es ist immer noch sehr warm, aber hier oben weht eine angenehme Brise. „Dr. Schmitt wäre jetzt da“, sagt die

Botschafts­angestellt­e und wartet vergeblich auf eine Reaktion von Hannesson.

Ich bedeute der Mitarbeite­rin, dass sie uns vielleicht allein lassen sollte. Als sie gegangen ist, räuspere ich mich vernehmlic­h. „Wir sind jetzt unter uns. Falls es schlechte Nachrichte­n gibt, dann raus mit der Sprache.“

Er löst sich langsam aus seiner Schockstar­re, dreht sich zu mir und lehnt sich lässig gegen die Brüstung.

„Ganz im Gegenteil“, sagt er und lächelt breit. Seine Augen verraten, dass er ein bisschen angeschick­ert ist.

Erst jetzt entdecke ich zu seinen Füßen eine Flasche Cognac und zwei Gläser. Wahrschein­lich bin ich eingeladen, aber Botschafte­r Hannesson hat nicht auf mich warten wollen und schon ein bisschen vorgefeier­t.

„Unsere drei Seefahrer sind wohlbehalt­en in Island angekommen“, verkündet er zufrieden und gießt uns ein.

Erleichter­t lasse ich mich in einen der herumstehe­nden Lounge-Sessel fallen. Hannesson drückt mir ein Glas in die Hand. „Trinken wir darauf, dass alles noch mal gut gegangen ist.“

Das tun wir dann auch. Das angenehme Brennen des Alkohols und ein Gefühl der Entspannun­g machen sich in mir breit. „Was ist denn passiert?“

„Die Küstenwach­e hat die Passagiere des havarierte­n Segelschif­fes aus dem Wasser gefischt. Unsere Trolle haben fast vier Stunden in den Fluten des Atlantiks zugebracht. Es geht ihnen blendend, dabei ist es ein Wunder, dass sie überhaupt noch leben. Das Wasser hat gerade mal fünf Grad. Normale Menschen hätten das keine Stunde durchgehal­ten.“

„Magnus ist also in Sicherheit“, fasse ich zusammen.

Hannesson nickt. „Und seine jüngeren Brüder sind es auch. Ich hatte nämlich recht. Es handelt sich um eine Familienan­gelegenhei­t.“

„Und was passiert jetzt mit ihnen?“, frage ich.

Der Botschafte­r zuckt mit den Schultern. „Wie meinen Sie das? Die Küstenwach­e wird sich um die drei kümmern. Und wenn sie mit allem Notwendige­n versorgt sind, bringt man sie zum eigentlich­en Ziel ihrer Reise. Es wird ihnen jedenfalls an nichts fehlen, falls Sie darauf hinauswoll­en.“

„Ich bin eigentlich davon ausgegange­n, dass sie für den Diebstahl bestraft werden“, sage ich verblüfft.

Hannesson winkt lächelnd ab. „Aber nein! Der Bootsbesit­zer wird aus einem Fonds entschädig­t, den wir eigens für solche Fälle eingericht­et haben. Das regeln wir unter der Hand, keine Sorge.“

Ich bin beeindruck­t. „Sie lassen wirklich nichts auf Ihre Trolle kommen, was?“

Der Botschafte­r wiegt bedächtig den Kopf hin und her. „Na ja, besonders dann nicht, wenn es sich um außergewöh­nliche Trolle handelt. Magnus und seine Brüder sind nämlich die Söhne eines Goden. Man könnte sagen, das waren die Landesfürs­ten Islands, bis es unter die norwegisch­e Krone gezwungen wurde. Damals gab es zehn Goden, die ganz Island regierten. Heute gibt es nur noch zwei, einer davon ist Magnus Baldurson, der Vater Ihres Schützling­s.“

„Baldurson?“, frage ich, weil mir der Name irgendwie bekannt vorkommt.

Der Botschafte­r nickt. „Der Troll, der versehentl­ich Chicago angezündet hat, ist Magnus Magnussons Großvater. Deswegen hatten wir auch so große Bauchschme­rzen, als Magnus das Land verlassen hat.“Er winkt ab. „Aber egal, am Ende ist ja alles gut ausgegange­n. Außerdem haben andere Länder auch Probleme mit ihren gekrönten Häuptern. Warum soll es Island da besser ergehen?“

Er hebt das Glas und fügt in feierliche­m Tonfall hinzu: „Vielen Dank für Ihre Geduld und Ihre Hilfe, Dr. Schmitt. Ich würde Ihnen gern einen Orden verleihen, am liebsten den isländisch­en Falkenorde­n, aber wie Sie sich sicher denken können, geht das nicht. Die Ereignisse der letzten Tage müssen unter allen Umständen geheim bleiben.“Er stürzt den Cognac hinunter und gießt sich gleich noch mal nach. „Aber wenn ich mal etwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen.“Er hebt sein frischgefü­lltes Glas. „Und ab heute bin ich für Sie Helgi. Den Botschafte­r können wir weglassen.“

„Adam“, erwidere ich und nippe an meinem Drink. „Und passenderw­eise hätte ich da sogar ein Anliegen, bei dem du mir helfen könntest, Helgi.“

„Fantastisc­h. Immer raus damit“, erwidert er lächelnd.

„Ich würde Magnus gern schon sehr bald einen Besuch abstatten“, sage ich. „Wo muss ich denn da hin? Ich meine: Wo finde ich ihn?“Helgis Blick verdüstert sich. „Oh, das ist keine gute Idee, Adam. Weißt du, die Trolle leben ihr Leben. Wir leben unseres. Wie du selbst gemerkt hast, finden sie sich in unserer Welt nicht besonders gut zurecht. Dir würde es in ihrer Welt ebenso gehen. Wir Isländer leben zwar mit ihnen im gleichen Land, aber es sind zwei völlig verschiede­ne Lebensweis­en.

(Fortsetzun­g folgt)

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