Fotograf Jochen Herling ist tot
Er hat ein stilles Leben geführt, dafür aber mit seiner Kamera bewegte Jahre begleitet
Der Fotograf Jochen Herling ist am vergangenen 27. Dezember im Alter von 78 Jahren gestorben. In seinem fotografischen Werk hat er einen sehr lebhaften Teil der Geschichte Luxemburgs festhalten können, es waren Jahre des Aufbruchs und des Wandels geprägt von gesellschaftlicher und kultureller Öffnung. Herling hat in den Sechziger- und Siebzigerjahren für die „Lëtzebuerger Revue“und später in den Achtziger- und Neunzigerjahren für das „Lëtzebuerger Land“seinen fotografischen Blick auf Ereignisse und Festlichkeiten gerichtet, dabei Ungewohntes in Vertrautem und umgekehrt auch Wohlbekanntes im Ausgefallenen fotografieren können – wohlgemerkt ausschließlich in SchwarzWeiß.
Sein Handwerk war ihm zugleich auch ein Kunsthandwerk und wurde ihm regelrecht in die Wiege gelegt: Die Fotografie war nämlich Teil seiner Familie. Jochen stammte aus Deutschland, sein Vater war Linsenschleifer beim Kamerahersteller Voigtländer, einem deutschen Traditionsunternehmen der Fotoindustrie mit Gründungssitz in Braunschweig. Noch heute ist das Unternehmen eine wichtige Handelsmarke für hochwertige Festbrennweiten-Objektive.
In Braunschweig wuchs Herling auf, war sehr naturinteressiert und hatte früh auch seine eigene Kamera. Obendrauf war er auch noch begabt, und als er im Alter von 14 Jahren einen Fotowettbewerb der „Braunschweiger Zeitung“gewann, stand für ihn fest, dass die Fotografie fortan sein Berufsziel sein sollte. Martin Jaspers, der Kulturchef der „Braunschweiger Zeitung“, schildert diesen berufsbestimmenden Moment im Leben von Jochen Herling in einem Zeitungsporträt, das 2018 unter dem Titel „Das Auge von Luxemburg“erschienen ist. Damals war Jochen Herling 75 Jahre alt geworden, und die Fotothek der Stadt Luxemburg hat ihm eine Ausstellung im Ratskeller gewidmet. Herling hat der Fotothek insgesamt 30 000 Negative aus seinem fotografischen Werk zur Verfügung gestellt.
Geboren wurde Jochen Herling am 14. April 1943. Er machte eine Fotografenausbildung und arbeitete zunächst als Wissenschaftsfotograf. Nach Luxemburg gelangte er 1963, in Deutschland wollte er nämlich der Wehrpflicht entgehen. Seine erste Anstellung als Fotoreporter fand er bei der „Revue“, für die er von 1963 bis 1980 fotografierte. Dass er ausgerechnet den Weg in diese Redaktion gefunden hatte, war kein Zufall. Die „Revue“war die erste Publikation in Luxemburg, die gezielt auf die Fotografie setzte und sich deshalb auch zurecht als „Illustrierte“bezeichnen konnte. 1980 war ein wichtiges Jahr für Jochen Herling. Er verließ damals die „Revue“, machte sich selbstständig und beantragte die Luxemburger Staatsbürgerschaft, denn mittlerweile hatte er in seinem Gastland neue Wurzeln schlagen können.
Das Künstlerische in der Fotografie war Herling zeitlebens wichtig, und deshalb gründete er 1981 zusammen mit seiner Ehefrau die „Photo-Galerie 52“, benannt nach der Hausnummer 52 in der Rue Goethe, wo sich diese Galerie einst befand. Dort stellte er Bilder von Fotografenkolleginnen und -kollegen sowie ab und zu auch seine eigenen aus. In seinen unermüdlichen Nachforschungen nach Bildern
von Edward Steichen schaffte er es aber auch, eine kleine Sammlung dessen Porträts in London aufzutreiben, seltene Werke, die er in der Rue Goethe erstmals einem Luxemburger Publikum zeigen konnte. Edward Steichen, Fotograf, Kurator und Direktor der MoMa-Fotoabteilung in New York, war für ihn hierzulande sehr früh ein wichtiges Thema. 1979 hatte er mit anderen, u.a. Marcel Schroeder, Martin Gerges, Georges Hausemer, Lucien Thiel, Ben Fayot, Robert Krieps und Rosch Krieps, die „Friends of Edward Steichen“gegründet.
Von 1982 bis 2001 fotografierte Herling für „d’Lëtzebuerger Land“, zugleich war er offizieller Fotograf am großherzoglichen Hof. Er veröffentlichte Bücher, hatte vielfach Ausstellungen, porträtierte Künstler, blieb aber seiner Zeit fest verankert: Den Wandel zur digitalen Fotografie um die Jahrtausendwende machte er nicht mehr mit.
Radsport mit Jean Asselborn
Außenminister Jean Asselborn war sehr eng mit Jochen Herling befreundet. Die beiden vereinte die Liebe zum Radsport, aber nicht nur die. Auf Nachfrage sagte Asselborn gestern: „In unserer Clique, die regelmäßig gemeinsame Radtouren unternommen hat, hatte Jochen den schönsten Fahrstil, wir haben viele gemeinsame Urlaube verbracht, auch mit unseren Familien. Ich bin mit ihm den Mont Ventoux hochgefahren, wir haben oft auch Silvester zusammengefeiert.“
Dankbar ist Asselborn dem Verstorbenen aber auch, da er ihm in heiklen Flüchtlingsfragen immer Zuspruch gegeben habe. „Er hatte eine besondere Sensibilität dafür, und er stand in diesem Punkt immer gerade da“.