Johnsons Position bröckelt
Immer mehr Tories fordern den Rücktritt des Premiers – Unterdessen ist seine Fraktion um ein Mitglied ärmer geworden
Für Boris Johnson wird es immer enger. Gestern haben die Spekulationen zugenommen, dass sich eine wachsende Zahl von Tory-Unterhausabgeordneten einem Misstrauensvotum gegen den Premierminister anschließen wollen. Während Johnson selbst bestreitet, an unerlaubten Parties während des Covid-Lockdowns teilgenommen zu haben, nimmt die Ungeduld in den eigenen Reihen zu. Es fordern immer mehr Abgeordnete offen seinen Rücktritt. Kurz vor Beginn der wöchentlichen Fragestunde im Parlament erlitt Johnson einen weiteren Rückschlag: Der bisherige Tory-Abgeordnete Christian Wakeford verließ die Partei und lief kurzerhand zur Labour-Opposition über. In einem Brief an den Premierminister verurteilte er dessen „beschämendes Verhalten in den vergangenen Wochen“.
Danach wurde es kaum besser für den Regierungschef. Oppositionsführer Keir Starmer hatte offensichtlich seinen Spaß daran, den Premierminister für seine Regelverstöße in die Mangel zu nehmen; insbesondere machte er sich über dessen Ausrede lustig, er sei davon ausgegangen, ein Fest am 20. Mai 2020 in seinem Amtssitz sei ein Arbeitstreffen gewesen. „Alle wussten, dass es ein soziales Event war, nur dem Premierminister sagte man, es sei ein Arbeitstreffen?“fragte Starmer. „Weiß der Premierminister, wie lächerlich das klingt?“
Schwache Figur im Fernsehen
Kurz darauf schloss sich der Tory-Abgeordnete und ehemalige Brexit-Minister David Davis den Rücktrittsforderungen an: „Ich erwarte von meinen Anführern, dass sie für ihre Handlungen Verantwortung übernehmen“, sagte er. Bei einem TV-Interview am Dienstag habe Johnson „das Gegenteil getan“. Dabei gab der Premier eine überaus schwache Figur ab und schaffte es kaum, die Vorwürfe der Covid-Regelverstöße zu entkräften; r sagte lediglich: „Ich sage kategorisch, dass mir niemand gesagt
Boris Johnson bei der wöchentlichen Fragestunde.
hat, [der Anlass] sei gegen die Regeln.“
Am selben Abend fand sich eine Gruppe parteiinterner Gegner Johnsons erstmals zusammen, um ihre Kampagne zum Sturz des Premiers zu koordinieren. Die Gruppe besteht aus rund zwanzig eher jüngeren Abgeordneten, die erst seit 2019 im Unterhaus sitzen. Viele repräsentieren ehemalige Labour-Hochburgen
und BrexitWahlkreise im Norden Englands. Sie sind sich nur allzu bewusst, wie groß der Ärger in ihren Wahlkreisen über die Kapriolen des Regierungschefs sind.
Aber ihre Frustration hat auch einen tieferen Grund: Die MPs sind enttäuscht darüber, dass die versprochene „Brexit-Dividende“bislang noch ausgeblieben ist. Auch gibt es keine Anzeichen für einen wirtschaftlichen Aufschwung im Norden Englands, den Johnson während der Wahlkampagne von 2019 ebenfalls in Aussicht gestellt hat. Diese Tories sind offenbar zunehmend der Ansicht, dass sie mit Johnson an der Spitze ihrer Partei wenig Chancen auf eine Wiederwahl haben. Auch Christian Wakeford, der zu Labour überlief, war Teil dieser jüngeren Riege an Tory-Abgeordneten. Laut Presseberichten hat bereits die Hälfte dieser Abgeordneten einen Misstrauensantrag eingereicht.
Wenn sich Boris Johnson nicht aus eigenen Stücken zum Rücktritt entschließt, müssen seine Gegner eine Vertrauensabstimmung im Unterhaus gewinnen. Damit ein solches Votum stattfinden kann, müssen 15 Prozent der Fraktion – also 54 Tory-Abgeordnete – Misstrauensanträge beim sogenannten 1922-Komitee einreichen. Der Vorsitzende dieses einflussreichen Hinterbänkler-Ausschusses, Graham Brady, sammelt die Briefe und gibt Bescheid, wenn die erforderliche Zahl beisammen ist. Bis dahin gibt es nur Spekulationen, wie viele Briefe bereits eingegangen sind .
Weiß der Premierminister, wie lächerlich das klingt? Oppositionsführer Keir Starmer