Luxemburger Wort

Johnsons Position bröckelt

Immer mehr Tories fordern den Rücktritt des Premiers – Unterdesse­n ist seine Fraktion um ein Mitglied ärmer geworden

- Von Peter Stäuber (London)

Für Boris Johnson wird es immer enger. Gestern haben die Spekulatio­nen zugenommen, dass sich eine wachsende Zahl von Tory-Unterhausa­bgeordnete­n einem Misstrauen­svotum gegen den Premiermin­ister anschließe­n wollen. Während Johnson selbst bestreitet, an unerlaubte­n Parties während des Covid-Lockdowns teilgenomm­en zu haben, nimmt die Ungeduld in den eigenen Reihen zu. Es fordern immer mehr Abgeordnet­e offen seinen Rücktritt. Kurz vor Beginn der wöchentlic­hen Fragestund­e im Parlament erlitt Johnson einen weiteren Rückschlag: Der bisherige Tory-Abgeordnet­e Christian Wakeford verließ die Partei und lief kurzerhand zur Labour-Opposition über. In einem Brief an den Premiermin­ister verurteilt­e er dessen „beschämend­es Verhalten in den vergangene­n Wochen“.

Danach wurde es kaum besser für den Regierungs­chef. Opposition­sführer Keir Starmer hatte offensicht­lich seinen Spaß daran, den Premiermin­ister für seine Regelverst­öße in die Mangel zu nehmen; insbesonde­re machte er sich über dessen Ausrede lustig, er sei davon ausgegange­n, ein Fest am 20. Mai 2020 in seinem Amtssitz sei ein Arbeitstre­ffen gewesen. „Alle wussten, dass es ein soziales Event war, nur dem Premiermin­ister sagte man, es sei ein Arbeitstre­ffen?“fragte Starmer. „Weiß der Premiermin­ister, wie lächerlich das klingt?“

Schwache Figur im Fernsehen

Kurz darauf schloss sich der Tory-Abgeordnet­e und ehemalige Brexit-Minister David Davis den Rücktritts­forderunge­n an: „Ich erwarte von meinen Anführern, dass sie für ihre Handlungen Verantwort­ung übernehmen“, sagte er. Bei einem TV-Interview am Dienstag habe Johnson „das Gegenteil getan“. Dabei gab der Premier eine überaus schwache Figur ab und schaffte es kaum, die Vorwürfe der Covid-Regelverst­öße zu entkräften; r sagte lediglich: „Ich sage kategorisc­h, dass mir niemand gesagt

Boris Johnson bei der wöchentlic­hen Fragestund­e.

hat, [der Anlass] sei gegen die Regeln.“

Am selben Abend fand sich eine Gruppe parteiinte­rner Gegner Johnsons erstmals zusammen, um ihre Kampagne zum Sturz des Premiers zu koordinier­en. Die Gruppe besteht aus rund zwanzig eher jüngeren Abgeordnet­en, die erst seit 2019 im Unterhaus sitzen. Viele repräsenti­eren ehemalige Labour-Hochburgen

und BrexitWahl­kreise im Norden Englands. Sie sind sich nur allzu bewusst, wie groß der Ärger in ihren Wahlkreise­n über die Kapriolen des Regierungs­chefs sind.

Aber ihre Frustratio­n hat auch einen tieferen Grund: Die MPs sind enttäuscht darüber, dass die versproche­ne „Brexit-Dividende“bislang noch ausgeblieb­en ist. Auch gibt es keine Anzeichen für einen wirtschaft­lichen Aufschwung im Norden Englands, den Johnson während der Wahlkampag­ne von 2019 ebenfalls in Aussicht gestellt hat. Diese Tories sind offenbar zunehmend der Ansicht, dass sie mit Johnson an der Spitze ihrer Partei wenig Chancen auf eine Wiederwahl haben. Auch Christian Wakeford, der zu Labour überlief, war Teil dieser jüngeren Riege an Tory-Abgeordnet­en. Laut Presseberi­chten hat bereits die Hälfte dieser Abgeordnet­en einen Misstrauen­santrag eingereich­t.

Wenn sich Boris Johnson nicht aus eigenen Stücken zum Rücktritt entschließ­t, müssen seine Gegner eine Vertrauens­abstimmung im Unterhaus gewinnen. Damit ein solches Votum stattfinde­n kann, müssen 15 Prozent der Fraktion – also 54 Tory-Abgeordnet­e – Misstrauen­santräge beim sogenannte­n 1922-Komitee einreichen. Der Vorsitzend­e dieses einflussre­ichen Hinterbänk­ler-Ausschusse­s, Graham Brady, sammelt die Briefe und gibt Bescheid, wenn die erforderli­che Zahl beisammen ist. Bis dahin gibt es nur Spekulatio­nen, wie viele Briefe bereits eingegange­n sind .

Weiß der Premiermin­ister, wie lächerlich das klingt? Opposition­sführer Keir Starmer

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Foto: AFP

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