„Mogelpackung“
Der Vorsitzende der Immobilienkammer, Jean-Paul Scheuren, über Nebelkerzen der Luxemburger Wohnungsbaupolitik
Er hat einmal gesagt, dass er keinen Fuß mehr ins Wohnungsbauministerium setzt, weil ihm dort sowieso nicht zugehört wird und alle Vorschläge aus dem Privatsektor zur Lösung der Wohnungsnot in den Wind geschlagen werden. „Das ist vergeudete Zeit“, sagt Jean-Paul Scheuren im April im Gespräch mit dieser Zeitung. Ohne die privaten Akteure aber, davon ist der Präsident der Immobilienkammer überzeugt, ist der Wohnungsnot nicht beizukommen. Der Bedarf an erschwinglichen Mietwohnungen sei enorm. Darunter versteht Scheuren Wohnungen in einem mittleren Preissegment, die sich an Personen richten, die finanzielle Unterstützung, aber keine soziale Begleitung brauchen.
Er bedauert, dass die privaten Akteure vom subventionierten Wohnungsbau und den damit verbundenen staatlichen Hilfen ausgeschlossen sind. Es gebe allerdings Möglichkeiten, ohne Subventionen erschwinglichen Wohnraum zu bauen, „wenn die Politik sich diesen Möglichkeiten öffnen würde“, meint Scheuren. Die Immobilienkammer habe bereits vor Jahren Modelle vorgelegt, „die nie umgesetzt wurden“.
Ein Modell, das die Immobilienkammer 2012 dem damaligen Minister Marco Schank (CSV) vorgeschlagen hatte, war der Mietkauf, der auch im aktuellen Koalitionsprogramm verankert ist. Das Modell sah vor, dass die Bewohner während zehn Jahren einen Mietpreis zahlen, der 25 Prozent unter dem marktüblichen Preis liegt, und die Immobilie samt Grundstück danach erwerben. „Wir wollten keine Subventionen, sondern baten um eine Staatsgarantie, um die Finanzierung zu sichern“, erzählt Scheuren. Auf Schank folgte Maggy Nagel und kurz darauf Marc Hansen (beide DP). Mit Hansen wurden die Gespräche unter den Argusaugen des Finanzministeriums fortgeführt. „Am Ende hat das Finanzministerium uns eine staatliche Garantie in Höhe von 20 Millionen Euro zugesichert. Das Wohnungsbauministerium sollte sich um die Anträge und die Zuteilung der Garantie kümmern.“Letzten Endes aber scheiterte das Projekt (140 Wohnungen) am Wohnungsbauministerium, das fand, dass das Vorhaben dem Ausschreibungsgesetz zuwiderlaufe. „Sie wollten nichts tun, auch kein Pilotprojekt“, sagt Scheuren. Der Versuch, das Modell mit einer Bank umzusetzen, scheiterte ebenfalls.
Konvention zwischen UEL und Staat In der vorigen Legislatur hatte die UEL Scheuren zufolge mit dem Wohnungsbauministerium eine Konvention ausgearbeitet mit dem Ziel, eine Großoffensive auf dem Wohnungsmarkt zu lancieren. Der Staat sollte sich verpflichten, die Genehmigungsprozeduren anzupassen, damit schneller gebaut werden kann, und die UEL sollte sich verpflichten, die Produktion um 1 000 Wohnungen pro Jahr zu steigern. „Die Konvention sollte 2018 unterzeichnet werden, verschwand dann aber beim Regierungswechsel in einer Schublade“, erzählt Scheuren. „Zu dieser Konvention gab es fertig geplante Bauprojekte. Doch der heutige Minister ist daran nicht interessiert.“
Die Politik hat anderes im Sinn. Sie möchte, dass erschwinglicher Wohnraum in öffentlicher Hand entsteht und bleibt. Dafür wurde die Erbpacht eingeführt. Scheuren hat mit der Erbpacht kein Problem, aber mit dem Vorkaufsrecht. Das sei „ganz schlimm“, eine „Mogelpackung“und „unseriös“. „Eine Wohnung, die Sie heute für 500 000 Euro erwerben, verkaufen Sie nach 30, 40 oder 50 Jahren für 500 000 Euro. Das nennt man Langzeitvermietung. Das hat mit Eigentum nichts zu tun. Der einzige, der von diesem Modell profitiert, ist die öffentliche Hand: Staat, Gemeinden, SNHBM oder Fonds du logement. Sie sind die Besitzer der Wohnungen und lassen sie durch die Menschen, die sie erwerben, finanzieren. Nach dem Rückkauf können sie damit machen, was sie wollen und sie teurer weiterverkaufen. Was ist der Vorteil für den Käufer in fine bei diesem Modell?“, fragt Scheuren.
Der Käufer nehme einen teuren Kredit auf, um eine Wohnung zu finanzieren, in der er günstiger zur Miete wohnen könnte. „Das wird als geniale Lösung verkauft. Letzten Endes aber bringt es den Menschen gar nichts, aber sie tragen das finanzielle Risiko. Wenn wir auf dem privaten Markt ein solches Modell aufbauen würden, würden wir dafür gelyncht werden“, sagt Scheuren. „Der Kauf lohnt sich nur, wenn die Immobilie an Wert gewinnt. Sonst macht das keinen Sinn.“
Rund 25 Prozent der Bevölkerung besitze kein Eigenheim, rechnet Scheuren vor. Bleiben also rund 194 000 Personen (77 600 Haushalte), für die ein geeignetes
Mietwohnungsangebot geschaffen werden muss. Darauf sollte die öffentliche Hand sich konzentrieren, sagt Scheuren. So bleibe die Kaufkraft in den Haushalten. Außerdem riskiere man als Mieter einer öffentlichen Wohnung nicht, wegen Eigenbedarfs vor die Tür gesetzt zu werden.
Mike Mathias, Erster Regierungsrat im Wohnungsbauministerium, sieht die Dinge anders: „Die Idee beim Rückkauf einer staatlich geförderten Wohnung ist, dass die Menschen das zurückbekommen, was sie investiert haben, mit Ausnahme der Bankzinsen. Wer nach 20 Jahren die investierte Summe zurückbekommt, hat 20 Jahre lang quasi umsonst gewohnt“, rechnet Mathias vor. Dieser Mechanismus erlaube es den öffentlichen Bauträgern, die Wohnungen zu einem erschwinglichen Preis zurück- und günstig weiterzuverkaufen. Was den Verkaufspreis anbelangt, muss der öffentliche Bauträger dem Rückkaufpreis Rechnung tragen. Er kann den Preis aber auch infolge zusätzlicher Investitionen (Renovierungskosten beispielsweise) nach oben anpassen und der sich daraus ergebenden Wertsteigerung Rechnung tragen. Die Bedingungen seien im Gesetz verankert und würden aufgrund von Erfahrungswerten kontinuierlich weiterentwickelt, so Mike Mathias. Der Vorteil für die Käufer aus Sicht des Ministeriums: Sie kaufen eine Wohnung, die sie sich auf dem privaten Markt nie hätten leisten können. Ein Einfamilienhaus mit Erbpacht der SNHBM oder des FDL in Sandweiler beispielsweise kostet 3 889 Euro/m2, in Esch/Alzette 4 000 Euro und in Elmen 4 688 Euro. Bei den Wohnungen liegt der Preis bei 4 101 Euro/m2 in Beles und bei 4 745 Euro in Elmen.
Kritik am Rückkaufsystem
Das Modell mit Erbpacht und Rückkaufsrecht ist noch relativ jung, doch Scheuren zufolge häufen sich die Kritiken, nachdem die ersten Wohnungen vom Staat beziehungsweise den öffentlichen Bauträgern rückerworben wurden und den Menschen die Nachteile bewusst werden. Einzig derjenige, der ein Leben lang in seiner käuflich erworbenen Wohnung bleibe, habe einen Vorteil, „weil er keine Miete zahlen muss, wenn er seinen Kredit abbezahlt hat“. Das entspreche 70 bis 75 Prozent der Einwohner in Luxemburg leben in einem Eigenheim. Von 645 000 bleiben also 194 000 Personen – rund 77 600 Haushalte –, für die auf dem Mietwohnungsmarkt ein adäquates Angebot geschaffen werden müsste, sagt der Vorsitzende der Immobilienkammer, Jean-Paul Scheuren.
Wenn wir auf dem privaten Markt ein solches Modell aufbauen würden, würden wir dafür gelyncht werden. Jean-Paul Scheuren, Vorsitzender der Immobilienkammer
aber nicht der heutigen Lebensrealität vieler Menschen, sagt Scheuren. „Kaum jemand bleibt noch ein Leben lang in derselben Wohnung.“
Pacte logement: Intelligente Lösung Das Kompensierungssystem beim Pacte logement bezeichnet Scheuren als intelligente Lösung: Private Bauträger müssen bei Bauprojekten einen Teil ihres Grundstücks an die öffentliche Hand abtreten und dürfen im Gegenzug mehr bauen. Der Haken: Der Preis, zu dem die Bauträger die Wohnungen an die öffentliche Hand abtreten, ist Verhandlungssache zwischen dem Bauträger und den Gemeinden. Scheuren zufolge hätte man sich an den Preisen im subventionierten Wohnungsbau orientieren können. „Dort ist der Baupreis, den der Staat pro Quadratmeter bezahlt, festgehalten.“
Scheurens zentrale Kritik aber ist, dass das Kompensierungssystem nur bei Teilbebauungsplänen für neue Wohnviertel (PAP nouveau quartier) greift. Er schlägt vor, das Prinzip auch in bestehenden Wohnvierteln anzuwenden und – wo es möglich ist und Sinn macht – dichter zu bauen – aber ausschließlich erschwingliche Wohnungen. „Wenn wir ein Stockwerk drauf setzen, hat das keinen Impakt auf den Grundstückspreis.
Auf diese Weise könnten wir sehr viele günstige Wohnungen bauen.“Um das umzusetzen, müssten allerdings die gesetzlichen Bestimmungen angepasst werden.
Dann gibt es noch die neue Regelung, die vorschreibt, auf Flächen, die in Bauland umklassiert werden, mindestens 30 Prozent erschwingliche Wohnungen zu bauen. Bis dieses Instrument greife, dauere es noch Jahre, sagt Scheuren, „da diese Grundstücke erst in den Perimeter aufgenommen werden, wenn der PAG erneut überarbeitet wird. Wir brauchen die Wohnungen jetzt“.
Was den Vorsitzenden der Immobilienkammer ärgert ist, „wenn der Wohnungsbauminister sich bei der Einweihung von zwölf Wohnungen feierlich ablichten lässt, um den Menschen zu vermitteln: Wir haben etwas getan. Nichts haben sie getan. Wir brauchen 20 000, wenn nicht 30 000 erschwingliche Wohnungen. Seit 50 Jahren machen wir eine falsche Wohnungsbaupolitik, in den vergangenen 20 Jahren ist die Situation dramatisch geworden, seit zehn Jahren weiß das ganze Land, dass wir ein Problem haben, aber niemand packt das Problem bei der Wurzel“, lautet sein Fazit. „Das Wohnungsbeihilfengesetz, das nun reformiert wird, schließt die privaten Bauträger explizit aus. Der Privatsektor besteht aber
Wer nach 20 Jahren die investierte Summe zurückbekommt, hat 20 Jahre lang quasi umsonst gewohnt. Mike Mathias, Erster Regierungsrat im Wohnungsbauministerium
nicht nur aus Organisationen wie Caritas oder dem Roten Kreuz. Das ist nicht die Lösung.“
Finanzierungsprobleme
Vereinigungen und Stiftungen werden beim Bau von Sozialwohnungen vom Staat finanziell unterstützt. Wegen der kritischen Lage am Wohnungsmarkt haben Organisationen wie die Caritas ihre Aktivitäten verstärkt auf den Bau und die Bereitstellung von günstigem Wohnraum ausgerichtet. Doch wegen einer Vielzahl von Problemen – u.a. strengere Bedingungen, prozedurale Hürden – ist die Caritas nicht mehr sicher, ob sie ihre Projekte finanzieren kann, wie Generaldirektor Marc Crochet auf Nachfrage erklärt. Ein möglicher Ausweg ist die Übertragung der
Projekte an einen öffentlichen Bauträger. Fraglich ist allerdings, ob die öffentlichen Bauträger in der Lage sind, die Herkulesaufgabe zu meistern. „Es ist illusorisch zu meinen, die öffentlichen Bauträger würden 1 000 Wohnungen pro Jahr bauen. Sie sind mit Ach und Krach bei 300 Wohnungen“, meint Scheuren. „Der größte private Bauträger in Luxemburg baut 600 bis 650 Wohnungen pro Jahr.“
Nebelkerze Spekulationssteuer
Ein weiteres Instrument zur Bekämpfung der Wohnungsnot ist die geplante Spekulationssteuer auf brach liegendem Bauland. „Als ob das das Problem lösen würde“, sagt Scheuren. „Mag sein, dass die Gebühr den einen oder anderen Besitzer dazu verleitet, sein
Grundstück zu verkaufen. Aber er wird versuchen, einen maximalen Preis zu erzielen. Und dann? Entsteht auf diese Weise mehr erschwinglicher Wohnraum? Nein. Mit dieser Steuer wird keine einzige erschwingliche Wohnung zusätzlich gebaut. Diese Maßnahmen sind nichts als Nebelkerzen.“
Scheuren zufolge herrscht beim Staat eine ideologische Angst, die privaten Akteure am Bau von günstigem Wohnraum zu beteiligen, weil sie sich daran bereichern könnten. „Was ist falsch daran, Gewinne zu machen? Die SNHBM macht doch auch Gewinne. Ich habe vorgeschlagen, dass wir unter denselben Bedingungen Wohnungen schaffen könnten wie die SNHBM. Doch das hat niemanden interessiert.“