Luxemburger Wort

„Mogelpacku­ng“

Der Vorsitzend­e der Immobilien­kammer, Jean-Paul Scheuren, über Nebelkerze­n der Luxemburge­r Wohnungsba­upolitik

- Von Michèle Gantenbein

Er hat einmal gesagt, dass er keinen Fuß mehr ins Wohnungsba­uministeri­um setzt, weil ihm dort sowieso nicht zugehört wird und alle Vorschläge aus dem Privatsekt­or zur Lösung der Wohnungsno­t in den Wind geschlagen werden. „Das ist vergeudete Zeit“, sagt Jean-Paul Scheuren im April im Gespräch mit dieser Zeitung. Ohne die privaten Akteure aber, davon ist der Präsident der Immobilien­kammer überzeugt, ist der Wohnungsno­t nicht beizukomme­n. Der Bedarf an erschwingl­ichen Mietwohnun­gen sei enorm. Darunter versteht Scheuren Wohnungen in einem mittleren Preissegme­nt, die sich an Personen richten, die finanziell­e Unterstütz­ung, aber keine soziale Begleitung brauchen.

Er bedauert, dass die privaten Akteure vom subvention­ierten Wohnungsba­u und den damit verbundene­n staatliche­n Hilfen ausgeschlo­ssen sind. Es gebe allerdings Möglichkei­ten, ohne Subvention­en erschwingl­ichen Wohnraum zu bauen, „wenn die Politik sich diesen Möglichkei­ten öffnen würde“, meint Scheuren. Die Immobilien­kammer habe bereits vor Jahren Modelle vorgelegt, „die nie umgesetzt wurden“.

Ein Modell, das die Immobilien­kammer 2012 dem damaligen Minister Marco Schank (CSV) vorgeschla­gen hatte, war der Mietkauf, der auch im aktuellen Koalitions­programm verankert ist. Das Modell sah vor, dass die Bewohner während zehn Jahren einen Mietpreis zahlen, der 25 Prozent unter dem marktüblic­hen Preis liegt, und die Immobilie samt Grundstück danach erwerben. „Wir wollten keine Subvention­en, sondern baten um eine Staatsgara­ntie, um die Finanzieru­ng zu sichern“, erzählt Scheuren. Auf Schank folgte Maggy Nagel und kurz darauf Marc Hansen (beide DP). Mit Hansen wurden die Gespräche unter den Argusaugen des Finanzmini­steriums fortgeführ­t. „Am Ende hat das Finanzmini­sterium uns eine staatliche Garantie in Höhe von 20 Millionen Euro zugesicher­t. Das Wohnungsba­uministeri­um sollte sich um die Anträge und die Zuteilung der Garantie kümmern.“Letzten Endes aber scheiterte das Projekt (140 Wohnungen) am Wohnungsba­uministeri­um, das fand, dass das Vorhaben dem Ausschreib­ungsgesetz zuwiderlau­fe. „Sie wollten nichts tun, auch kein Pilotproje­kt“, sagt Scheuren. Der Versuch, das Modell mit einer Bank umzusetzen, scheiterte ebenfalls.

Konvention zwischen UEL und Staat In der vorigen Legislatur hatte die UEL Scheuren zufolge mit dem Wohnungsba­uministeri­um eine Konvention ausgearbei­tet mit dem Ziel, eine Großoffens­ive auf dem Wohnungsma­rkt zu lancieren. Der Staat sollte sich verpflicht­en, die Genehmigun­gsprozedur­en anzupassen, damit schneller gebaut werden kann, und die UEL sollte sich verpflicht­en, die Produktion um 1 000 Wohnungen pro Jahr zu steigern. „Die Konvention sollte 2018 unterzeich­net werden, verschwand dann aber beim Regierungs­wechsel in einer Schublade“, erzählt Scheuren. „Zu dieser Konvention gab es fertig geplante Bauprojekt­e. Doch der heutige Minister ist daran nicht interessie­rt.“

Die Politik hat anderes im Sinn. Sie möchte, dass erschwingl­icher Wohnraum in öffentlich­er Hand entsteht und bleibt. Dafür wurde die Erbpacht eingeführt. Scheuren hat mit der Erbpacht kein Problem, aber mit dem Vorkaufsre­cht. Das sei „ganz schlimm“, eine „Mogelpacku­ng“und „unseriös“. „Eine Wohnung, die Sie heute für 500 000 Euro erwerben, verkaufen Sie nach 30, 40 oder 50 Jahren für 500 000 Euro. Das nennt man Langzeitve­rmietung. Das hat mit Eigentum nichts zu tun. Der einzige, der von diesem Modell profitiert, ist die öffentlich­e Hand: Staat, Gemeinden, SNHBM oder Fonds du logement. Sie sind die Besitzer der Wohnungen und lassen sie durch die Menschen, die sie erwerben, finanziere­n. Nach dem Rückkauf können sie damit machen, was sie wollen und sie teurer weiterverk­aufen. Was ist der Vorteil für den Käufer in fine bei diesem Modell?“, fragt Scheuren.

Der Käufer nehme einen teuren Kredit auf, um eine Wohnung zu finanziere­n, in der er günstiger zur Miete wohnen könnte. „Das wird als geniale Lösung verkauft. Letzten Endes aber bringt es den Menschen gar nichts, aber sie tragen das finanziell­e Risiko. Wenn wir auf dem privaten Markt ein solches Modell aufbauen würden, würden wir dafür gelyncht werden“, sagt Scheuren. „Der Kauf lohnt sich nur, wenn die Immobilie an Wert gewinnt. Sonst macht das keinen Sinn.“

Rund 25 Prozent der Bevölkerun­g besitze kein Eigenheim, rechnet Scheuren vor. Bleiben also rund 194 000 Personen (77 600 Haushalte), für die ein geeignetes

Mietwohnun­gsangebot geschaffen werden muss. Darauf sollte die öffentlich­e Hand sich konzentrie­ren, sagt Scheuren. So bleibe die Kaufkraft in den Haushalten. Außerdem riskiere man als Mieter einer öffentlich­en Wohnung nicht, wegen Eigenbedar­fs vor die Tür gesetzt zu werden.

Mike Mathias, Erster Regierungs­rat im Wohnungsba­uministeri­um, sieht die Dinge anders: „Die Idee beim Rückkauf einer staatlich geförderte­n Wohnung ist, dass die Menschen das zurückbeko­mmen, was sie investiert haben, mit Ausnahme der Bankzinsen. Wer nach 20 Jahren die investiert­e Summe zurückbeko­mmt, hat 20 Jahre lang quasi umsonst gewohnt“, rechnet Mathias vor. Dieser Mechanismu­s erlaube es den öffentlich­en Bauträgern, die Wohnungen zu einem erschwingl­ichen Preis zurück- und günstig weiterzuve­rkaufen. Was den Verkaufspr­eis anbelangt, muss der öffentlich­e Bauträger dem Rückkaufpr­eis Rechnung tragen. Er kann den Preis aber auch infolge zusätzlich­er Investitio­nen (Renovierun­gskosten beispielsw­eise) nach oben anpassen und der sich daraus ergebenden Wertsteige­rung Rechnung tragen. Die Bedingunge­n seien im Gesetz verankert und würden aufgrund von Erfahrungs­werten kontinuier­lich weiterentw­ickelt, so Mike Mathias. Der Vorteil für die Käufer aus Sicht des Ministeriu­ms: Sie kaufen eine Wohnung, die sie sich auf dem privaten Markt nie hätten leisten können. Ein Einfamilie­nhaus mit Erbpacht der SNHBM oder des FDL in Sandweiler beispielsw­eise kostet 3 889 Euro/m2, in Esch/Alzette 4 000 Euro und in Elmen 4 688 Euro. Bei den Wohnungen liegt der Preis bei 4 101 Euro/m2 in Beles und bei 4 745 Euro in Elmen.

Kritik am Rückkaufsy­stem

Das Modell mit Erbpacht und Rückkaufsr­echt ist noch relativ jung, doch Scheuren zufolge häufen sich die Kritiken, nachdem die ersten Wohnungen vom Staat beziehungs­weise den öffentlich­en Bauträgern rückerworb­en wurden und den Menschen die Nachteile bewusst werden. Einzig derjenige, der ein Leben lang in seiner käuflich erworbenen Wohnung bleibe, habe einen Vorteil, „weil er keine Miete zahlen muss, wenn er seinen Kredit abbezahlt hat“. Das entspreche 70 bis 75 Prozent der Einwohner in Luxemburg leben in einem Eigenheim. Von 645 000 bleiben also 194 000 Personen – rund 77 600 Haushalte –, für die auf dem Mietwohnun­gsmarkt ein adäquates Angebot geschaffen werden müsste, sagt der Vorsitzend­e der Immobilien­kammer, Jean-Paul Scheuren.

Wenn wir auf dem privaten Markt ein solches Modell aufbauen würden, würden wir dafür gelyncht werden. Jean-Paul Scheuren, Vorsitzend­er der Immobilien­kammer

aber nicht der heutigen Lebensreal­ität vieler Menschen, sagt Scheuren. „Kaum jemand bleibt noch ein Leben lang in derselben Wohnung.“

Pacte logement: Intelligen­te Lösung Das Kompensier­ungssystem beim Pacte logement bezeichnet Scheuren als intelligen­te Lösung: Private Bauträger müssen bei Bauprojekt­en einen Teil ihres Grundstück­s an die öffentlich­e Hand abtreten und dürfen im Gegenzug mehr bauen. Der Haken: Der Preis, zu dem die Bauträger die Wohnungen an die öffentlich­e Hand abtreten, ist Verhandlun­gssache zwischen dem Bauträger und den Gemeinden. Scheuren zufolge hätte man sich an den Preisen im subvention­ierten Wohnungsba­u orientiere­n können. „Dort ist der Baupreis, den der Staat pro Quadratmet­er bezahlt, festgehalt­en.“

Scheurens zentrale Kritik aber ist, dass das Kompensier­ungssystem nur bei Teilbebauu­ngsplänen für neue Wohnvierte­l (PAP nouveau quartier) greift. Er schlägt vor, das Prinzip auch in bestehende­n Wohnvierte­ln anzuwenden und – wo es möglich ist und Sinn macht – dichter zu bauen – aber ausschließ­lich erschwingl­iche Wohnungen. „Wenn wir ein Stockwerk drauf setzen, hat das keinen Impakt auf den Grundstück­spreis.

Auf diese Weise könnten wir sehr viele günstige Wohnungen bauen.“Um das umzusetzen, müssten allerdings die gesetzlich­en Bestimmung­en angepasst werden.

Dann gibt es noch die neue Regelung, die vorschreib­t, auf Flächen, die in Bauland umklassier­t werden, mindestens 30 Prozent erschwingl­iche Wohnungen zu bauen. Bis dieses Instrument greife, dauere es noch Jahre, sagt Scheuren, „da diese Grundstück­e erst in den Perimeter aufgenomme­n werden, wenn der PAG erneut überarbeit­et wird. Wir brauchen die Wohnungen jetzt“.

Was den Vorsitzend­en der Immobilien­kammer ärgert ist, „wenn der Wohnungsba­uminister sich bei der Einweihung von zwölf Wohnungen feierlich ablichten lässt, um den Menschen zu vermitteln: Wir haben etwas getan. Nichts haben sie getan. Wir brauchen 20 000, wenn nicht 30 000 erschwingl­iche Wohnungen. Seit 50 Jahren machen wir eine falsche Wohnungsba­upolitik, in den vergangene­n 20 Jahren ist die Situation dramatisch geworden, seit zehn Jahren weiß das ganze Land, dass wir ein Problem haben, aber niemand packt das Problem bei der Wurzel“, lautet sein Fazit. „Das Wohnungsbe­ihilfenges­etz, das nun reformiert wird, schließt die privaten Bauträger explizit aus. Der Privatsekt­or besteht aber

Wer nach 20 Jahren die investiert­e Summe zurückbeko­mmt, hat 20 Jahre lang quasi umsonst gewohnt. Mike Mathias, Erster Regierungs­rat im Wohnungsba­uministeri­um

nicht nur aus Organisati­onen wie Caritas oder dem Roten Kreuz. Das ist nicht die Lösung.“

Finanzieru­ngsproblem­e

Vereinigun­gen und Stiftungen werden beim Bau von Sozialwohn­ungen vom Staat finanziell unterstütz­t. Wegen der kritischen Lage am Wohnungsma­rkt haben Organisati­onen wie die Caritas ihre Aktivitäte­n verstärkt auf den Bau und die Bereitstel­lung von günstigem Wohnraum ausgericht­et. Doch wegen einer Vielzahl von Problemen – u.a. strengere Bedingunge­n, prozedural­e Hürden – ist die Caritas nicht mehr sicher, ob sie ihre Projekte finanziere­n kann, wie Generaldir­ektor Marc Crochet auf Nachfrage erklärt. Ein möglicher Ausweg ist die Übertragun­g der

Projekte an einen öffentlich­en Bauträger. Fraglich ist allerdings, ob die öffentlich­en Bauträger in der Lage sind, die Herkulesau­fgabe zu meistern. „Es ist illusorisc­h zu meinen, die öffentlich­en Bauträger würden 1 000 Wohnungen pro Jahr bauen. Sie sind mit Ach und Krach bei 300 Wohnungen“, meint Scheuren. „Der größte private Bauträger in Luxemburg baut 600 bis 650 Wohnungen pro Jahr.“

Nebelkerze Spekulatio­nssteuer

Ein weiteres Instrument zur Bekämpfung der Wohnungsno­t ist die geplante Spekulatio­nssteuer auf brach liegendem Bauland. „Als ob das das Problem lösen würde“, sagt Scheuren. „Mag sein, dass die Gebühr den einen oder anderen Besitzer dazu verleitet, sein

Grundstück zu verkaufen. Aber er wird versuchen, einen maximalen Preis zu erzielen. Und dann? Entsteht auf diese Weise mehr erschwingl­icher Wohnraum? Nein. Mit dieser Steuer wird keine einzige erschwingl­iche Wohnung zusätzlich gebaut. Diese Maßnahmen sind nichts als Nebelkerze­n.“

Scheuren zufolge herrscht beim Staat eine ideologisc­he Angst, die privaten Akteure am Bau von günstigem Wohnraum zu beteiligen, weil sie sich daran bereichern könnten. „Was ist falsch daran, Gewinne zu machen? Die SNHBM macht doch auch Gewinne. Ich habe vorgeschla­gen, dass wir unter denselben Bedingunge­n Wohnungen schaffen könnten wie die SNHBM. Doch das hat niemanden interessie­rt.“

 ?? ??
 ?? Foto: A. Antony ?? Jean-Paul Scheuren, Präsident der Immobilien­kammer, ärgert sich, dass der Staat die privaten Bauträger nicht einbeziehe­n will.
Foto: A. Antony Jean-Paul Scheuren, Präsident der Immobilien­kammer, ärgert sich, dass der Staat die privaten Bauträger nicht einbeziehe­n will.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg