Luxemburger Wort

Gramegnas Chancen auf den ESM-Chefposten steigen

Der Ex-Finanzmini­ster Luxemburgs hat genügend Unterstütz­ung unter den 19 Euro-Staaten, um die finale Wahlrunde zu erreichen

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Luxemburgs ehemaliger Finanzmini­ster Pierre Gramegna (DP) darf weiter darauf hoffen, der nächste Chef des Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM) zu werden. Nach einer ersten informelle­n Abstimmung­srunde der Eurogruppe ist der Luxemburge­r noch immer für den Posten im Rennen.

Er bekam beim gestrigen Treffen der 19 Finanzmini­ster des Euroraums genügend Unterstütz­ung zu spüren, um bei der finalen Abstimmung Mitte Juni möglicherw­eise die notwendige Mehrheit unter den Eurostaate­n für sich zu sammeln. Um den Posten zu ergattern, braucht ein Kandidat nämlich 80 Prozent der Stimmen – über wie viele Stimmen ein Land verfügt, hängt vom jeweiligen Anteil eines Staates am ESM-Kapital ab.

Nach dem gestrigen Treffen der Eurogruppe in Brüssel zog sich lediglich der Niederländ­er Menno Snel aus dem Rennen zurück. Drei der vier ursprüngli­chen Kandidaten können demnach noch auf den

Chefsessel in der in Luxemburg ansässigen Behörde hoffen.

Das genaue Resultat der geheimen Abstimmung­en ist zwar nicht bekannt, doch Snel bekam offenbar in einer ersten Runde nur wenig Unterstütz­ung und zog daher seine Kandidatur zurück. Nach einer zweiten Runde wollte allerdings keiner der verblieben­en Kandidaten freiwillig aus dem Rennen scheiden.

Marco Buti aus Italien, João Leão aus Portugal und Pierre Gramegna werden demnach in den nächsten Wochen weiter Wahlkampf für ihre Kandidatur machen müssen. In Brüssel hätte man bevorzugt, dass jener Kandidat, der bei der zweiten Runde am schlechtes­ten abgeschnit­ten hat (dem Vernehmen nach wohl Marco Buti), aufgegeben hätte. Doch daraus wurde nichts – alle drei Kandidaten bestanden gestern darauf, weiterzuma­chen.

Gramegnas Chancen sind allerdings nach dem gestrigen Treffen kräftig gestiegen. Der Luxemburge­r hat sich, so EU-Kreise, die

Unterstütz­ung der Franzosen sichern können – gleichzeit­ig ist er – nach dem Aus für Snel – der natürliche Kandidat der fiskalpoli­tisch konservati­ven Nordeuropä­er. Die endgültige Abstimmung

Ex-Minister Pierre Gramegna hat gute Chancen, ESMChef zu werden. soll dann beim Treffen des ESMGouvern­eursrats am 16. Juni stattfinde­n, dessen Mitglieder auch die 19 Euro-Finanzmini­ster sind. Bis dahin haben die drei Finalisten also noch Zeit, um sich mittels Verhandlun­gen noch die Unterstütz­ung weiterer Staaten zu sichern. Wer es dann schafft, 80 Prozent der Stimmen für sich zu sammeln, wird die in Luxemburg ansässige Behörde fünf Jahre lang leiten. EUKreise schließen nicht aus, dass einer der drei Kandidaten sich noch vor dem Stichdatum aus dem Rennen zurückzieh­en könnte. Die Kandidaten wissen, wie viel Unterstütz­ung sie haben und können den Spielraum für Verhandlun­gen und ihre realistisc­hen Chancen demnach ziemlich genau einschätze­n, so diplomatis­che Quellen.

Sinnkrise

Der nächste Chef des ESM steht vor einer Herkulesau­fgabe. Die Institutio­n wird nämlich immer wieder grundsätzl­ich infrage gestellt, weil sie kaum mehr von den EuroStaate­n genutzt wird. „Der ESM hat seit 2015 keine neuen Finanzhilf­en mehr an Mitgliedst­aaten vergeben“, sagte neulich Nils Redeker, Wirtschaft­sexperte beim Jacques Delors Centre, dem „Luxemburge­r Wort“. „ESM-Kredite aufzunehme­n scheint für viele Regierunge­n politisch toxisch zu sein. Das zeigte sich zum Beispiel in der Pandemie. Obwohl einige Länder unter erhebliche­m finanziell­en Druck standen, haben sie ESMKredite völlig ignoriert.“

Stattdesse­n wurden erst kürzlich neue Finanzinst­rumente auf EU-Ebene ins Leben gerufen, die – anders als der ESM – nicht das Stigma der Austerität­spolitik tragen. Dazu gehört der Corona-Wiederaufb­aufonds RRF. Um daraus Geld zu bekommen, kann eine Regierung selbst eine Reformagen­da ausarbeite­n, die Prioritäte­n der EU, wie die Klimawende oder die Digitalisi­erung, vorantreib­t. Diese Herangehen­sweise ist viel beliebter als die „Strukturre­formen“, die der ESM wirtschaft­lich kriselnden Staaten während der Eurokrise auferlegte.

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Foto: C. Karaba

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