Die letzte Meile im Blick
Die Firma B-ON mit Sitz in Cloche d'Or will die Lieferflotten weltweit elektrifizieren
Die Pandemie war ein Wachstumsbeschleuniger für Lieferdienste aller Art. Menschen, die im Lockdown zuhause eingesperrt waren, ließen sich Essen oder Medikamente bringen und bestellten Schuhe, Kleidung und Elektronik im Internet. Dass sich der Trend mit dem Abklingen von Corona legen wird, ist unwahrscheinlich. Die Lieferwagen von Amazon, Take-away und DHL werden ein vertrauter Anblick in den Wohngebieten des Landes bleiben. Um diese Dienste möglichst sauber, energieeffizient und günstig anbieten zu können, setzen die Firmen in der „letzten Meile“, also dem Abschnitt zwischen Lager und der Lieferadresse, zunehmend auf Elektrofahrzeuge. In diesen wachsenden Markt möchte das Start-up B-ON mit Firmensitz in Cloche d'Or stoßen. Dabei will das Unternehmen, das bis letzte Woche noch unter dem Namen Odin Automotive firmierte, nicht nur die Fahrzeuge herstellen, sondern einen Komplettservice rund um die elektrischen Lieferwagen anbieten: Ladeinfrastruktur, Fahrzeugwartung, Flottenmanagement, Finanzierung und Versicherung – alles soll aus einer Hand kommen.
Dabei fängt das Unternehmen nicht bei null an: Im vergangenen Herbst wurde öffentlich, dass Odin Automotive das „StreetScooter“-Geschäft der Deutschen Post für eine ungenannte Summe übernimmt. Das Geschäft umfasst nicht nur das geistige Eigentum an der Technologie, sondern auch die Produktionsstätte im deutschen Düren, wo im Jahr 30 000 der Scooter hergestellt werden können. 300 Beschäftigte gehören zu dem Unternehmen. Ein Personalabbau nach der Übernahme stehe nicht zur Debatte, so das Unternehmen. Im Gegenteil sei man auf der Suche nach zusätzlichem Personal. Im Zuge des Verkaufs gingen auch die Tochterfirmen der StreetScooter Engineering GmbH in der Schweiz und in Japan in den Besitz von B-ON über. Das Start-up will die Produktionskapazitäten weiter ausbauen. Ein weiteres Werk in den USA soll folgen, erklärte die Firma in der vergangenen Woche. Dort sei die Nachfrage hoch, man habe schon eine Menge Kundenanfragen und Reservierungen aus den USA erhalten.
Hinter dem Start-up steht mit Stefan Krause ein Schwergewicht der deutschen Industrie. In der Vergangenheit war Krause Vorstandsmitglied einiger Dax-Unternehmen, darunter BMW und die Deutsche Bank. In den letzten Jahren war Krause vor allem in der Gründerszene aktiv, etwa als Aufsichtsrat der Start-up-Schmiede Rocket Internet oder als einer der Gründer von Canoo, das elektronisch betriebene Minivans herstellen will, oder als CFO von Faraday Future, einem weiteren Start-up im Bereich der Elektromobilität.
Prozess der Elektrifizierung komplex
Die Deutsche Post hatte 2014 das von Aachener Professoren gegründete Streetscooter-Start-up gekauft, der Erfolg blieb aber aus, das Geschäft blieb defizitär, es gab kaum externe Kunden. Woher nimmt Krause also den Optimismus, dass es mit B-ON besser laufen könnte? „Bei der Deutschen Post war immer klar, dass die Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen nicht ihr Kerngeschäft ist. Sie sind kapitalintensiv, zeitaufwendig und extrem komplex. Unter der neuen Führung sind wir zuversichtlich, dass wir dem Unternehmen das nötige Know-how vermitteln können, um wirklich zu wachsen und erfolgreich zu sein, und zwar über Deutschland und die Postzustellung hinaus“, schreibt das Unternehmen auf Anfrage des „Luxemburger Wort“. Die meisten Menschen in der Industrie wüssten einerseits, dass sie ihre Flotten elektrifizieren müssen. Zu den Vorteilen würden beispielsweise deutlich niedrigere Betriebskosten gehören. „Aber sie wissen nicht, wo sie anfangen sollen, weil der Prozess heute sehr komplex und fragmentiert ist“, so Krause. B-ON wolle den Firmen mit seinem integrierten Ansatz dabei helfen, diese Hürde zu überwinden und den Vorgang zu vereinfachen.
Derweil bleibt der Hauptkunde des Start-ups fürs Erste die Post, die ihre Flotte an Streetscootern auf 21 500 erhöhen will. Krause reicht das als Wachstumsperspektive aber nicht aus. Er wolle den Absatz von Streetscooter in den kommenden drei Jahren verzehnfachen, sagte er kürzlich der Wirtschaftswoche. Hinter der Firma mit Sitz in Luxemburg stehen weitere große Namen. So hält die Deutsche Post über eine Beteiligungsgesellschaft weiterhin Anteile an dem Unternehmen. In der vergangenen Woche wurde der Einstieg des Investmentarms des Technologieriesen Hitachi verkündet. Auch technologisch will man mit dem japanischen Konzern kooperieren. „Das nächste entscheidende Puzzlestück ist das Laden und das Energiemanagement unserer Kunden. Natürlich müssen die Wagen aufgeladen werden und die Nutzer wollen Zugang zu sauberer Energie“, so Krause. Deshalb freue er sich über die Partnerschaft mit Hitachi, das die entsprechende Ausrüstung liefern soll. Natürlich sei man auch von den Engpässen bei Lieferketten betroffen, „aber wir hatten Glück, dass wir die meisten Materialien, die wir benötigen, im Voraus gekauft hatten. Die Produktion läuft derzeit rund, obwohl wir das Volumen hochfahren“, so Krause.
Die hohen Spritpreise derzeit könnten sich sogar positiv auf die Nachfrage nach den E-Lieferwagen auswirken, denkt Gernot Friedhuber, Marketingchef der Firma. „Besonders Logistikfirmen befassen sich damit. Angesichts der hohen Energiepreise versucht jedes Unternehmen, die Effizienz zu verbessern. Wir sehen gerade einen enormen Anstieg der Nachfrage von Firmen, die schneller elektrifizieren wollen als zunächst geplant.“Im Vergleich zu den zahlreichen anderen Start-ups in dem Sektor habe man den Vorteil, dass das Unternehmen bereits über Jahre Produktionserfahrung sammeln konnte, so Friedhuber.
Präsenz in Luxemburg überschaubar
Die Frage ist indes, wie luxemburgisch das Unternehmen tatsächlich ist. Am offiziellen Firmensitz in Cloche d'Or findet sich derzeit nicht mal ein Briefkasten oder ein Logo. Auf die Frage nach dem Unternehmen erntet man von der Dame an der Rezeption nur einen ratlosen Blick.
Die Nachfrage danach, wie viele Mitarbeiter das Unternehmen denn genau im Großherzogtum beschäftige, bleibt unbeantwortet. Man unterhalte ein „kleines Verwaltungsteam“, heißt es. Luxemburg sei „ein wunderschöner Ort, zentral in Europa gelegen und die perfekte Basis für unsere globalen Aktivitäten“, gibt das Unternehmen als Grund an, warum man sich für Luxemburg als Sitz entschieden habe. Man habe keine Pläne, „einen Hauptsitz oder ein großes Team aufzubauen.“
Angesichts der hohen Energiepreise versuchen gerade Logistikfirmen, die Effizienz zu verbessern. Gernot Friedhuber, B-ON