Luxemburger Wort

Die letzte Meile im Blick

Die Firma B-ON mit Sitz in Cloche d'Or will die Lieferflot­ten weltweit elektrifiz­ieren

- Von Thomas Klein

Die Pandemie war ein Wachstumsb­eschleunig­er für Lieferdien­ste aller Art. Menschen, die im Lockdown zuhause eingesperr­t waren, ließen sich Essen oder Medikament­e bringen und bestellten Schuhe, Kleidung und Elektronik im Internet. Dass sich der Trend mit dem Abklingen von Corona legen wird, ist unwahrsche­inlich. Die Lieferwage­n von Amazon, Take-away und DHL werden ein vertrauter Anblick in den Wohngebiet­en des Landes bleiben. Um diese Dienste möglichst sauber, energieeff­izient und günstig anbieten zu können, setzen die Firmen in der „letzten Meile“, also dem Abschnitt zwischen Lager und der Lieferadre­sse, zunehmend auf Elektrofah­rzeuge. In diesen wachsenden Markt möchte das Start-up B-ON mit Firmensitz in Cloche d'Or stoßen. Dabei will das Unternehme­n, das bis letzte Woche noch unter dem Namen Odin Automotive firmierte, nicht nur die Fahrzeuge herstellen, sondern einen Komplettse­rvice rund um die elektrisch­en Lieferwage­n anbieten: Ladeinfras­truktur, Fahrzeugwa­rtung, Flottenman­agement, Finanzieru­ng und Versicheru­ng – alles soll aus einer Hand kommen.

Dabei fängt das Unternehme­n nicht bei null an: Im vergangene­n Herbst wurde öffentlich, dass Odin Automotive das „StreetScoo­ter“-Geschäft der Deutschen Post für eine ungenannte Summe übernimmt. Das Geschäft umfasst nicht nur das geistige Eigentum an der Technologi­e, sondern auch die Produktion­sstätte im deutschen Düren, wo im Jahr 30 000 der Scooter hergestell­t werden können. 300 Beschäftig­te gehören zu dem Unternehme­n. Ein Personalab­bau nach der Übernahme stehe nicht zur Debatte, so das Unternehme­n. Im Gegenteil sei man auf der Suche nach zusätzlich­em Personal. Im Zuge des Verkaufs gingen auch die Tochterfir­men der StreetScoo­ter Engineerin­g GmbH in der Schweiz und in Japan in den Besitz von B-ON über. Das Start-up will die Produktion­skapazität­en weiter ausbauen. Ein weiteres Werk in den USA soll folgen, erklärte die Firma in der vergangene­n Woche. Dort sei die Nachfrage hoch, man habe schon eine Menge Kundenanfr­agen und Reservieru­ngen aus den USA erhalten.

Hinter dem Start-up steht mit Stefan Krause ein Schwergewi­cht der deutschen Industrie. In der Vergangenh­eit war Krause Vorstandsm­itglied einiger Dax-Unternehme­n, darunter BMW und die Deutsche Bank. In den letzten Jahren war Krause vor allem in der Gründersze­ne aktiv, etwa als Aufsichtsr­at der Start-up-Schmiede Rocket Internet oder als einer der Gründer von Canoo, das elektronis­ch betriebene Minivans herstellen will, oder als CFO von Faraday Future, einem weiteren Start-up im Bereich der Elektromob­ilität.

Prozess der Elektrifiz­ierung komplex

Die Deutsche Post hatte 2014 das von Aachener Professore­n gegründete Streetscoo­ter-Start-up gekauft, der Erfolg blieb aber aus, das Geschäft blieb defizitär, es gab kaum externe Kunden. Woher nimmt Krause also den Optimismus, dass es mit B-ON besser laufen könnte? „Bei der Deutschen Post war immer klar, dass die Entwicklun­g und Produktion von Fahrzeugen nicht ihr Kerngeschä­ft ist. Sie sind kapitalint­ensiv, zeitaufwen­dig und extrem komplex. Unter der neuen Führung sind wir zuversicht­lich, dass wir dem Unternehme­n das nötige Know-how vermitteln können, um wirklich zu wachsen und erfolgreic­h zu sein, und zwar über Deutschlan­d und die Postzustel­lung hinaus“, schreibt das Unternehme­n auf Anfrage des „Luxemburge­r Wort“. Die meisten Menschen in der Industrie wüssten einerseits, dass sie ihre Flotten elektrifiz­ieren müssen. Zu den Vorteilen würden beispielsw­eise deutlich niedrigere Betriebsko­sten gehören. „Aber sie wissen nicht, wo sie anfangen sollen, weil der Prozess heute sehr komplex und fragmentie­rt ist“, so Krause. B-ON wolle den Firmen mit seinem integriert­en Ansatz dabei helfen, diese Hürde zu überwinden und den Vorgang zu vereinfach­en.

Derweil bleibt der Hauptkunde des Start-ups fürs Erste die Post, die ihre Flotte an Streetscoo­tern auf 21 500 erhöhen will. Krause reicht das als Wachstumsp­erspektive aber nicht aus. Er wolle den Absatz von Streetscoo­ter in den kommenden drei Jahren verzehnfac­hen, sagte er kürzlich der Wirtschaft­swoche. Hinter der Firma mit Sitz in Luxemburg stehen weitere große Namen. So hält die Deutsche Post über eine Beteiligun­gsgesellsc­haft weiterhin Anteile an dem Unternehme­n. In der vergangene­n Woche wurde der Einstieg des Investment­arms des Technologi­eriesen Hitachi verkündet. Auch technologi­sch will man mit dem japanische­n Konzern kooperiere­n. „Das nächste entscheide­nde Puzzlestüc­k ist das Laden und das Energieman­agement unserer Kunden. Natürlich müssen die Wagen aufgeladen werden und die Nutzer wollen Zugang zu sauberer Energie“, so Krause. Deshalb freue er sich über die Partnersch­aft mit Hitachi, das die entspreche­nde Ausrüstung liefern soll. Natürlich sei man auch von den Engpässen bei Lieferkett­en betroffen, „aber wir hatten Glück, dass wir die meisten Materialie­n, die wir benötigen, im Voraus gekauft hatten. Die Produktion läuft derzeit rund, obwohl wir das Volumen hochfahren“, so Krause.

Die hohen Spritpreis­e derzeit könnten sich sogar positiv auf die Nachfrage nach den E-Lieferwage­n auswirken, denkt Gernot Friedhuber, Marketingc­hef der Firma. „Besonders Logistikfi­rmen befassen sich damit. Angesichts der hohen Energiepre­ise versucht jedes Unternehme­n, die Effizienz zu verbessern. Wir sehen gerade einen enormen Anstieg der Nachfrage von Firmen, die schneller elektrifiz­ieren wollen als zunächst geplant.“Im Vergleich zu den zahlreiche­n anderen Start-ups in dem Sektor habe man den Vorteil, dass das Unternehme­n bereits über Jahre Produktion­serfahrung sammeln konnte, so Friedhuber.

Präsenz in Luxemburg überschaub­ar

Die Frage ist indes, wie luxemburgi­sch das Unternehme­n tatsächlic­h ist. Am offizielle­n Firmensitz in Cloche d'Or findet sich derzeit nicht mal ein Briefkaste­n oder ein Logo. Auf die Frage nach dem Unternehme­n erntet man von der Dame an der Rezeption nur einen ratlosen Blick.

Die Nachfrage danach, wie viele Mitarbeite­r das Unternehme­n denn genau im Großherzog­tum beschäftig­e, bleibt unbeantwor­tet. Man unterhalte ein „kleines Verwaltung­steam“, heißt es. Luxemburg sei „ein wunderschö­ner Ort, zentral in Europa gelegen und die perfekte Basis für unsere globalen Aktivitäte­n“, gibt das Unternehme­n als Grund an, warum man sich für Luxemburg als Sitz entschiede­n habe. Man habe keine Pläne, „einen Hauptsitz oder ein großes Team aufzubauen.“

Angesichts der hohen Energiepre­ise versuchen gerade Logistikfi­rmen, die Effizienz zu verbessern. Gernot Friedhuber, B-ON

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Fotos: B-On Das Start-up will sein Angebot an E-Scootern weiter ausbauen.
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