Luxemburger Wort

Wohnungskr­ise: Und der Markt soll es richten?

- Von Semiray Ahmedova *

In der „Wort“-Ausgabe vom Dienstag, dem 24. Mai 2022, durfte Romain Scheuren wiederholt für sein ihm eigenes Modell des Mietkaufs („location-vente“) werben. Als Politikeri­n schätze ich es, wenn Akteure aus Gesellscha­ft und Wirtschaft sich einbringen, denn nur im demokratis­chen Wettbewerb der Ideen lassen sich Lösungen für die Wohnungskr­ise finden. Und wir brauchen dringend nachhaltig­e Lösungen, um jedem den Zugang zu Wohnraum zu garantiere­n. Sonst wird die soziale Spaltung immer weiter zunehmen.

Vorschläge, die keine Abhilfe schaffen

Die bisherige Wohnungspo­litik hat sich stark auf die Marktkräft­e verlassen und ein kurzsichti­ges Modell des Zugangs zum Wohneigent­um gefördert. Diese Form des sozialen Wohnungsba­us führte in der Vergangenh­eit dazu, dass Wohnungen zwar einmal günstig erworben aber nach zehn Jahren wieder auf dem privaten Markt verkauft werden konnten. Die Folgen dieser Politik spüren wir heute. Einerseits durften diese wenigen Erstbesitz­er/innen einen großen Mehrwert einstreich­en und anderersei­ts ging der in öffentlich­er Hand errichtete soziale Wohnraum verloren. Auch wurde verpasst, den öffentlich­en Wohnungsba­u mit den nötigen Mitteln und Instrument­en auszustatt­en, wodurch Luxemburg über einen lächerlich geringen Anteil an öffentlich­en bezahlbare­n Mietwohnun­gen verfügt. Die Vorschläge von Herrn Scheuren schaffen hier keine Abhilfe.

Um den Bedarf an 2 500 Wohneinhei­ten pro Jahr zu decken, müssen andere Lösungen gefunden werden, um mehr Wohnungen zu bauen und gleichzeit­ig den Leerstand zu mobilisier­en. Leider gehen die Vorschläge von Herrn Scheuren genau in die entgegenge­setzte Richtung und zielen mehr auf ein Fördermode­ll zugunsten privater Bauherren ab, als dass sie eine nachhaltig­e Antwort auf die Wohnungsno­t darstellen.

Zu den Fakten: Die vom grünen Wohnungsba­uminister Henri Kox in die Wege geleitete große Reform der staatliche­n Wohnungsbe­ihilfen enthält wichtige Verbesseru­ngen am bestehende­n System der Hilfen für angehende Besitzer/innen. Dazu gehört vor allem, dass die minimale Verweildau­er bei der Vergabe von Bauprämien von zehn auf zwei Jahre reduziert wird. In Zukunft müssen Familien die Hilfen also nicht mehr zurückzahl­en, wenn sie wegen Trennung, Umzug oder Nachwuchs in eine andere Wohnung umziehen. Dies stellt eine wesentlich­e Erleichter­ung dar, denn derzeit verbleiben nicht einmal die Hälfte der Prämienbez­ieher/innen über zehn Jahre in der bezuschuss­ten Wohnung.

Herrn Scheurens Modell setzt hingegen genau dort an, wo andere die gefährlich­en Fehlentwic­klungen bereits erkannt haben und längst gegensteue­rn. Sein Modell des Mietkaufs zwingt die angehenden Eigentümer/innen nämlich maßgeblich dazu, zuerst zehn Jahre lang zur Miete zu wohnen, bevor sie die Wohnung kaufen dürfen. Die Hälfte der Bewohner/innen zieht aber erwiesener­maßen schon vorher aus und hat so nicht einmal die Möglichkei­t, überhaupt Eigentümer zu werden. Damit geht auch die gezahlte Miete verloren – am Ende bleibt den Mieter/innen nichts.

Das Erbpachtre­cht als sinnvolles Modell

Ein äußerst sinnvolles Modell ist dem gegenüber das Erbpachtre­cht, wie es in Luxemburg seit Jahren im öffentlich­en Wohnungsba­u umgesetzt wird und das im Übrigen auch die Grundlage des „Wiener Modells“oder des erfolgreic­hen französisc­hen „bail réel solidaire“darstellt. Hier pachtet der Eigentümer der Wohnung das Grundstück, auf dem diese steht, und finanziert nur die Wände und das Dach.

Warum ist dieser Unterschie­d so wichtig? Zum einen verfügen die Besitzer/innen der Wohnung von Anbeginn des Vertrages vollständi­g über die Wohnung und können diese nach eigenem Belieben gestalten. Auch zahlen sie keine Miete, sondern Tilgungsra­ten für einen Kredit. Beim Erbbaurech­t sind sie also Eigentümer/innen von Anfang an.

Zum anderen sparen die Wohnungsbe­sitzer/innen bei diesem Modell genau das Geld ein, das sie für die überteuert­en Grundstück­e mobilisier­en müssten. Die Preissteig­erung der Wohnungen in Luxemburg stammt ja nur zum kleinen Teil aus der Erhöhung der Baukosten. Der größte Teil der Preissteig­erungen ist auf die Bodenspeku­lation zurückzufü­hren, also auf die Verteuerun­g des Baulandes. Genau diese wird beim Erbpachtre­cht neutralisi­ert. Damit bleiben die Wohnungen über Jahrzehnte erschwingl­ich und gewähren den Käufer/innen einen großen Preisvorte­il: Letztere sparen bis zu 30 Prozent im Vergleich zu den Wohnungen auf dem freien Markt, da der Staat den größten Teil des Bodenwerte­s trägt.

Die Möglichkei­t des Rückkaufre­chts

Damit dieser Vorteil auch den Käufer/innen der zweiten und dritten Generation zugutekomm­t, wurde vor einigen Jahren das Rückkaufre­cht für die öffentlich­en Wohnungsba­ugesellsch­aften und die Gemeinden eingeführt. Statt die Spekulatio­nsgewinne auf Grund und Boden zu privatisie­ren, bleiben die Flächen in öffentlich­er Hand. Demzufolge können auch die zukünftige­n Käufer/innen der Wohnungen davon profitiere­n. Da die Eigentümer/innen der Wohnung

den Grund und Boden nie besaßen, kann ihnen auch kein Spekulatio­nsgewinn ausgezahlt werden.

Um der Wohnungskr­ise entgegenzu­wirken, müssen wir massiv in den öffentlich­en, nachhaltig­en und bezahlbare­n Wohnungsba­u investiere­n. Besonders groß ist der Bedarf an bezahlbare­n Mietwohnun­gen. Die Zahlen des letzten Berichts des neu geschaffen­en Spezialfon­ds für den öffentlich­en Wohnungsba­u verdeutlic­hen den vollzogene­n Strategiew­echsel: Das staatliche Investitio­nsbudget für das Jahr 2021 betrug 170 Millionen Euro, für 2022 sind Investitio­nen in Höhe von 230 Millionen geplant. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 lagen die Investitio­nen bei nur 38 Millionen Euro.

Spekulatio­n und Baulücken vermeiden

Neben den großen öffentlich­en Wohnungsba­uprojekten wie Nei Schmelz, Wunne mat der Woolz

Um der Wohnungskr­ise entgegenzu­wirken, müssen wir massiv in den öffentlich­en, nachhaltig­en und bezahlbare­n Wohnungsba­u investiere­n.

oder Elmen sorgen wir mit dem neuen Wohnungsba­upakt dafür, dass in Zukunft bei jedem Neubauproj­ekt auch bezahlbare­r Wohnraum geschaffen wird. Im Gegenzug dürfen die privaten Entwickler/innen zehn Prozent dichter bauen.

Es ist auch wichtig zu präzisiere­n, dass für alle Wohnprojek­te, die unter den „plan sectoriel logement“fallen, mindestens 30 Prozent bezahlbare­n Wohnraum vorgesehen sind. Bei der Landesplan­ung müssen wir dafür sorgen, dass für jedes neue Wohngebiet, das in einen allgemeine­n Bebauungsp­lan (PAG) eingebrach­t wird, durch den Baulandver­trag eine Entwicklun­gsund Bebauungsp­flicht innerhalb einer definierte­n Frist besteht. So vermeiden wir Spekulatio­nen und die Baulücken von morgen.

Neben der Umsetzung des Wohnungsba­upakts brauchen wir jetzt dringend eine Reform der Grundsteue­r. Nur so können wir ungenutzte­s Brachland und den Leerstand mobilisier­en. Darüber hinaus werden wir die Rechte der Mieter stärken. Mit der grünen Wohnungsba­upolitik schaffen wir endlich bezahlbare­n Wohnraum, der auch nachhaltig in öffentlich­er Hand bleibt anstatt an den Markt verloren zu gehen.

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Foto: dpa Mit der grünen Wohnungsba­upolitik schaffen wir endlich bezahlbare­n Wohnraum, der auch nachhaltig in öffentlich­er Hand bleibt anstatt an den Markt verloren zu gehen, ist die Autorin überzeugt.

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