Die Zeit läuft
Über schleppenden Sozialdialog, trübe Perspektiven und ein übereiltes Tripartite-Abkommen
Der Sozialdialog ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Luxemburger Politik. Umso mehr gilt es, dieses Instrument stetig zu pflegen. Umso mehr gilt es, die Sozialpartner auch dann an den gemeinsamen Tisch zu bringen, wenn gerade keine Krise bewältigt werden muss.
Das Gegenteil war aber während der letzten Jahre der Fall. Der Sozialdialog war verstummt, so als ob es keine Probleme gegeben hätte. Dabei gab es deren durchaus, doch wurden diese von der Regierung offenbar als nicht sonderlich dringlich eingestuft.
Und jetzt, wo die blau-grünrote Regierung von der Vergangenheit eingeholt wird und ihr die Probleme über den Kopf zu wachsen drohen, erinnert man sich plötzlich an das bewährte Instrument der Tripartite. Sie soll jetzt das richten, was über Jahre nicht gesehen wurde beziehungsweise nicht gesehen werden durfte.
CSV forderte Regierung mehrfach zum Handeln auf
Es war die CSV, die die Regierung 2021 wiederholt – im Januar, im Mai und im Juli – per Motion in der Chamber aufforderte, eine Tripartite einzuberufen. Es war die CSV, die 2021 wiederholt auf die am Energie-Horizont aufziehenden dunklen Wolken aufmerksam machte. Und es war die CSV, die am 18. Oktober 2021 per Schreiben an den Parlamentspräsidenten um eine Aktualitätsstunde zum Thema Energiearmut aufgrund steigender Öl-, Gas- und Strompreise bat.
Sechs weitere Monate gingen ins Land, ehe man sich auf Regierungsseite zu einer Tripartite durchrang. Um ihr zögerliches Vorgehen zu tarnen, stellten die Mehrheitsparteien kurzerhand den Ukraine-Krieg als Ursache allen versorgerischen Übels ins Schaufenster. Dabei waren die steigenden Energie- und Rohstoffpreise sowie die daraus resultierenden höheren Preise für Lebensmittel und andere alltägliche Dinge längst keine Überraschung mehr.
Die Dringlichkeit gebot alsdann, dass man sich im Eil-Verfahren zu einem Abkommen durchrang – mit den Unterschriften der Präsidenten von CGFP, LCGB und UEL und ohne jene der OGBL-Vorsitzenden. Dieser Eile sind wohl auch die diversen Unzulänglichkeiten des Tripartite-Textes geschuldet, die nicht nur bei den Vertretern der Oppositionsparteien für Stirnrunzeln sorgen. Auch der Staatsrat tat sich schwer mit dem Text.
Seinen Empfehlungen wird nun Folge geleistet, der entsprechende Gesetzentwurf wird in zwei Teile gegliedert: Die Bestimmungen zu den Mietzuschüssen erhalten eine gesonderte gesetzliche Grundlage.
CSV steht zur Tripartite
Die CSV bekennt sich weiter bedingungslos zum Luxemburger Sozialdialog und unterstützt auch das ausgearbeitete Tripartite-Abkommen, allerdings nicht ohne schlüssige Antworten auf die aufgeworfenen Fragen. Die CSV kauft keine „Kaz am Sak“.
Weder hilfreich noch lösungsorientiert sind in dieser Situation Aussagen wie jene von Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP), der neulich lapidar meinte, der Auszahlungsmechanismus aufgeschobener IndexTranchen über die Parlamentswahl 2023 hinaus sei Angelegenheit der kommenden Regierung. Derartige Plattitüden sind eines Wirtschaftsministers, der dem Land kurzfristige Lösungen und langfristige Perspektiven aufzeigen soll, nicht würdig.
Keine Zwei-KlassenGesellschaft
Angesichts der aktuellen sozioökonomischen Entwicklungen warnt die CSV vor dem Entstehen
einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die ohnehin hohen Immobilienpreise in Kombination mit rasant steigenden Lebenshaltungskosten bilden den Nährboden für soziale Konflikte. Immer mehr Bürger in prekären Lebenslagen – allen voran Alleinerzieher und kinderreiche Familien – laufen Gefahr, unter die Schwelle der Armutsgrenze zu rutschen.
Staatliche Finanzspritzen in Krisenzeiten für Geringverdiener sind kurzfristige Maßnahmen zur Entschärfung einer außerordentlichen Situation. Langfristig bedarf es aber einer Strategie zum Stoppen der Immobilienpreisspirale. Die Entwicklung verdeutlicht eindrücklich, dass in diesem Land etwas schiefläuft. Wie erklärt sich beispielsweise die Fast-Verdopplung der Immobilienpreise innerhalb von nicht einmal zehn Jahren?
Seit 2013 leitet die aktuelle Koalition die Geschicke des Großherzogtums. Von den vollmundigen Vorhaben sind nur wenige Realität geworden. Noch beim RTL-Neujahrsinterview 2019 sagte Premier Xavier Bettel (DP): „Ech kann Iech haut soen, datt ech alles wäert maachen, datt mir a 5 Joer e Land hunn, wou de Stau net den Alldag ass vun all Bierger, wou d’Wunnengsproblematik net d’Suerg ass vun all jonke Stot, wou d’Schéier tëschent aarm a räich net méi grouss ginn ass [...].“Dazu kann man heute sagen: Ziel verfehlt!
Immer weniger Bürger können sich das Wohnen im eigenen Land überhaupt noch leisten. Immer mehr Bürger werden zum „Frontalier“im eigenen Land, indem sie gezwungen sind, sich aus Kostengründen jenseits der Landesgrenzen anzusiedeln.
Konsequenzen durch Zins-Entwicklung
Es reicht nicht aus, Ankündigung an Ankündigung zu reihen und Analyse um Analyse in Auftrag zu geben. Es muss endlich gehandelt werden. Im Interesse der Wohnraumsuchenden, aber auch im Interesse jener, die aufgrund der Niedrig-Zins-Politik der vergangenen Jahre den Schritt zum Eigenheim gewagt haben. Diese Bevölkerungsgruppe, oftmals junge Familien, läuft jetzt Gefahr, durch ansteigende Zinsen in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten.
Es ist demzufolge davon auszugehen, dass die eigentlichen Probleme erst noch kommen werden. Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen, sei an dieser Stelle an etliche Zwangsversteigerungen in den 1980erund 1990er-Jahren erinnert, als mancher Hauskäufer unter der Zinslast zusammenbrach …
Hilfen für Kreditnehmer?
Welche Strategie gedenkt die Regierung angesichts dessen, was da noch kommen könnte, anzuwenden? Plant das Kabinett Bettel II zusätzliche staatliche Hilfen für jene Kreditnehmer, die über Nacht 500 oder gar 1 000 Euro mehr pro Monat zur Tilgung des Darlehens aufbringen müssen?
Die Probleme sind bekannt, die Lage ist ernst, die Aussichten sind trübe. Und Maßnahmen sind Mangelware. Das Regierungsruder muss jetzt herumgerissen werden. Damit am Ende der Krise nicht die junge Generation – die übrigens während der Pandemie mit am stärksten unter den Einschränkungen gelitten hat – den Preis für die Politik des Zuschauens zahlen muss.
Noch ist es nicht zu spät, aber die Zeit läuft und der Druck auf die Tripartite-Sonderkommission steigt mit jedem weiteren Tag, da die vorübergehende Aussetzung des Index-Mechanismus und die Einführung des EnergieSteuerkredits das Parlament passiert haben müssen, bevor am 1. Juli die nächste „Index-Tranche“fällig wird. Affaire à suivre …
Der Druck auf die TripartiteSonderkommission steigt mit jedem weiteren Tag.
Das Defizit darf unsere Jugend nicht belasten Daher ist es im derzeitigen Krisenszenario nicht der passende Zeitpunkt, eine Vielzahl struktureller Veränderungen im Eilschritt durchzupeitschen, die weder finanzierbar noch sozial gerecht wären; und bei denen eine längere demokratische Debatte erforderlich wäre, ehe weitreichende Entscheidungen getroffen würden.
Die Antwort der DP und der Regierung auf die aktuelle Situation ist das sozial selektive und nachhaltige „Solidaritätspaket“, ebenso wie zukunftsorientierte Investitionen auf hohem Niveau.
Aufgrund der jüngsten Krisen steht uns also noch manches bevor. Der Staat hat zweifelsohne große Anstrengungen unternommen, um seine Bürger zu schützen. Es gibt eine Reihe von Stimmen, die sagen, dass nicht genug getan werde. Wir möchten ihnen antworten, dass es nicht nur darum geht, den Haushalten von hier und heute zu helfen. Nein, wir haben auch eine Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen. Und deshalb sind die sozial gestaffelten, verhältnismäßigen und zeitlich befristeten Maßnahmen des „Solidaritätspakets“der verantwortlichere Weg.
In Anbetracht der jetzigen Doppelkrise dürfen wir daher nicht unser gesamtes Pulver verschießen. Es gilt, die aktuellen Probleme zu bewältigen, zukunftsgerichtete Investitionen zu tätigen und uns gleichzeitig auf schwierige Zeiten, die uns möglicherweise noch erwarten, vorzubereiten. Im Interesse des Landes – und im besonderen Interesse der jüngeren Generationen, deren Zukunft wir nicht verpfänden dürfen.