Wo steuert der Automobilverkehr hin?
Bis 2035 soll mehr als die Hälfte der Fahrzeuge im Land rein elektrisch unterwegs sein – damit allein ist es aber nicht getan
Viel Zeit hat Hannes Brachat nicht. Denn der Gast aus Baden-Württemberg ist mit dem Zug angereist, muss deswegen nach seinem Besuch in Luxemburg auch wieder rechtzeitig zum Bahnhof. Was in Anbetracht der Umstände ein wenig ungewöhnlich ist. Zum einen, weil Brachat Professor für Automobilwirtschaft und darüber hinaus Herausgeber des Fachmagazins Autohaus ist, und zum anderen, weil die Einrichtung, auf deren Einladung er die Reise nach Bartringen angetreten hat, ausgerechnet der ACL ist.
Immerhin: Der Grund seiner Reise hat mit Autos zu tun. Der Experte hat sich für seine Präsentation beim ACL mit der Entwicklung der Automobilität in Luxemburg befasst, stützt sich dabei unter anderem auf Zahlen von Dataforce und Statec. Zahlen, die zum Beispiel zeigen, dass nirgendwo sonst in Europa die Dichte an Fahrzeugen so hoch ist wie in Luxemburg. Auf Tausend Einwohner kommen 682 Fahrzeuge. „Das ist schon eine Nummer“, sagt Brachat, der daraus ableitet, dass Autos in Luxemburg allem Anschein besonders beliebt sind. Und mit Blick auf die Entwicklung, die der Professor der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen für 2035 prognostiziert, wird sich an dieser Liebe zum Auto wohl auch nicht viel ändern. Im Gegenteil: Laut Brachat wird sich dieser Wert in den kommenden Jahren sogar noch auf knapp 700 Fahrzeuge pro Tausend Einwohner erhöhen, bevor dann bis 2035 der Wert auf 670 sinken wird.
Mit dem Argument „Notwendigkeit“lässt sich diese extrem hohe Fahrzeug-Quote nur schwer rechtfertigen. Denn wie Brachat erklärt, sind die Hälfte aller mit dem Auto zurückgelegten Wege kürzer als fünf Kilometer. Und er bricht die Zahlen noch weiter herunter. „Ein Drittel aller Wege unter einem Kilometer und zwei Drittel aller Wege zwischen einem und fünf Kilometern werden mit dem Auto zurückgelegt“, sagt er.
Noch dominiert der Benziner
Für den ACL, zu dessen Hauptgeschäft nun mal der Pannendienst gehört, sind das zunächst beruhigende Zahlen. Solange genug Fahrzeuge auf der Straße sind, hat der Automobilclub genug zu tun. Vergangenes Jahr waren es mehr als 47 500 Pannendienst-Einsätze. Die prognostizierte Entwicklung bei der Mobilität könnte dem ACL allerdings langfristig das Pannendienst-Geschäft verhageln. Denn bis 2035 sollen 91,5 Prozent der neu angemeldeten Fahrzeuge rein elektrisch sein. Die besonders häufigen Pannen aufgrund von zu schwachen oder defekten Batterien, wie sie bei Autos mit Verbrennungsmotoren häufig vorkommen (gemeint sind nicht die Akkus der Elektrofahrzeuge), werden also zwangsläufig abnehmen. Und nicht nur das: Durch das autonome und vernetzte Fahren wird auch ein drastischer Rückgang bei den Unfallzahlen erwartet. Zwar wird es laut Brachat noch mindestens 15 Jahre dauern, bis autonomes Fahren die derzeitige Form der automobilen Fortbewegung abgelöst haben wird. Doch geht der Experte davon aus, dass damit auch die Zahl der Unfälle gegen null streben wird.
Aktuell ist das Land davon aber noch weit entfernt – vom autonomen Fahren sowieso, aber auch von der rein elektrischen Fortbewegung. Im vergangenen Jahr waren mit rund 5 000 Fahrzeugen lediglich 10,5 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge batteriebetrieben. Der Anteil der Benziner lag bei 37,9 Prozent und der von Dieselfahrzeugen bei 25,2 Prozent. Und letzteres trotz des schlechten Rufs, den die Dieselfahrzeuge genießen und dem sie, wie Brachat sagt, letztendlich nur Volkswagen und dessen Abgas-Skandal zu verdanken hätten. Das Wolfsburger Unternehmen habe den „Diesel kaputt gemacht“, kritisiert der Professor für Automobilwirtschaft und betont, dass es trotz aller Bestrebungen zur Umrüstung auf EFahrzeuge mittelfristig nicht ohne Verbrennungsmotoren funktionieren werde. In diesem Zusammenhang verweist er auf den japanischen Fahrzeughersteller Mazda, der für kommendes Jahr einen Diesel
angekündigt hat, dessen Verbrauch und Emissionen so niedrig sein sollen, dass er damit bereits die künftige Schadstoffnorm Euro7 erreichen wird. Gleichzeitig gebe es aber auch andere Hersteller, die konsequent auf Elektrofahrzeuge setzten.
Bei dieser Entwicklung aber nicht unbedingt zielführend ist nach Auffassung des Experten die Dimensionierung der Fahrzeuge. „Das klassische Elektroauto ist eigentlich ein Kleinwagen“, sagt er. Oder sollte es zumindest sein. In der Realität sehe das allerdings anders aus, so Brachat. Er verweist auf den deutschen Autobauer Mercedes-Benz, um den Gerüchte kursieren, dass er sich aus der Kleinwagensparte mit A- und B-Klasse komplett verabschieden möchte. Während gleichzeitig China mit extrem günstigen Elektro-Kleinwagen auf den Markt presche.
Doch zurück nach Luxemburg, wo es – wie anderswo auch – mit einem Anstieg der Quote bei Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen allein nicht getan ist. Denn entscheidend für den Übergang zur Elektromobilität sei vor allem auch die Entwicklung der Ladeinfrastruktur, sagt Brachat. Und dort sieht der Experte durchaus Probleme – vor allem auch bei den privaten Ladestationen. „Elektrofahrzeuge werden zu 80 Prozent Zuhause oder am Arbeitsplatz geladen“, sagt er. Noch funktioniere das ganz gut, weil der Anteil an EAutos am Gesamtaufkommen noch recht gering sei. Wenn einer in der Straße eine Ladestation installiere, sei das kein Problem. „Wenn aber auf einmal zehn aus der Nachbarschaft das ebenfalls vorhaben, dann werden wohl nicht alle eine Genehmigung bekommen“, sagt er. Denn darauf seien die meisten Stromnetze einfach nicht ausgelegt.
Die Alternative dazu wäre selbst erzeugte Solarstrom vom Dach. Der aber kommt in der überwiegenden Zahl der Fälle aus der Steckdose. Und nicht nur das. Ein Großteil der E-Fahrzeug-Besitzer würde zudem auch noch konventionell erzeugten Strom tanken und eben keinen Ökostrom, sagt Brachat.
Vorerst weiter fossil unterwegs
Es gibt also noch viel zu tun – wie sich im übrigen auch am Beispiel des Automobilclubs zeigt. Dessen Fuhrpark umfasst laut ACL-Direktor Jean-Claude Juchem inklusive der Mitarbeiter-Autos rund 400 Fahrzeuge, jedoch finden sich darunter so gut wie keine Elektroautos.
„Wenn wir nur unsere Infrastruktur auf E-Autos umstellen würden, wären dafür allein am Standort Bartringen 450 000 Euro an Investitionen fällig“, sagt Juchem. Und auch eine elektrische Pannenfahrzeugflotte kommt für den ACL allein schon aus technischen Gründen vorerst nicht in Betracht. Dafür aber verfügt der Club immerhin über Pannenfahrzeuge für Einsätze mit stehengebliebenen Elektrofahrzeugen. Wie Juchem erklärt, sind das in erster Linie Fälle, in denen der Akku leer ist. Weil die Reichweite dann doch nicht so hoch war wie erwartet.
Elektrofahrzeuge werden zu 80 Prozent Zuhause oder am Arbeitsplatz geladen. Hannes Brachat, Automobilexperte