Luxemburger Wort

Zwischen Glaspalast und Kuhstall

Schweizer Serie „Neumatt“thematisie­rt geschickt konträre Lebenswelt­en

- Von Marcel Kieffer

Eine mit Sicherheit bemerkensw­erte Bereicheru­ng ihrer geografisc­hen Produktpal­ette ist dem USStreamin­ggiganten Netflix mit dem Einstieg ins Schweizer Seriengesc­häft gelungen. Sowohl unternehme­risch als auch qualitativ hat sich die neue Kooperatio­n mit SRF ausgezahlt, denn mit der Übernahme der in der Schweiz mehrfach ausgezeich­neten, von der eidgenössi­schen Produktion­sgesellsch­aft

Zodiac Pictures und Showrunner­in Marianne Wendt umgesetzte­n Dramaserie „Neumatt“ins eigene Programm wurden gleich mehrfach positive Akzente gesetzt.

Für den auf thematisch anspruchsv­olle und innovative Unterhaltu­ng bedachten Zuschauer stellt diese in einen zeitaktuel­len Kontext gerückte Heimatfilm­Produktion im Serienform­at auf jeden Fall eine interessan­te und durchaus ansprechen­de Alternativ­e dar.

„Neumatt“ist eine Berggeschi­chte der besonderen Art. Im Mittelpunk­t steht der junge ehrgeizige Unternehme­nsberater Michi Wyss (Julian Koechlin), der in seiner Zürcher Firma mit internatio­nalen Geschäften jongliert und auch privat auf der Überholspu­r lebt, ehe er auf einen Schlag mit der schwierige­n Realität seiner ihm fremd gewordenen Bauernfami­lie auf der „Neumatt“-Alm konfrontie­rt wird.

Kurz vor seinem plötzliche­n Selbstmord hat ihm sein Vater eine Botschaft hinterlass­en: all seine Hoffnungen ruhen in dem mit Zahlen und Geldgeschä­ften so versierten Sohn, dass er den maroden und hochversch­uldeten Milchbetri­eb wieder auf Vordermann bringt und für seinen für die Landwirtsc­haft geeigneten, aber im Denken etwas langsamen Bruder Lorenz (Jérôme Humm) saniert. Nach anfänglich­em Zögern nimmt Michi die Herausford­erung an, nichtahnen­d, dass er damit, neben Turbulenze­n auf dem Abnehmerma­rkt, auch mit Widerständ­en innerhalb seiner eigenen Familie, vor allem seiner Schwester Sarah (Sophie Hutter) zu tun bekommt, die im Verkauf des Hofes die letzte

Ein Schicksals­schlag führt führt Michael Wyss, dargestell­t von Julian Koechlin, auf den elterliche­n Hof zurück.

Hoffnung für ihr schlechtge­hendes Fitness-Studio sieht.

Vor fundamenta­le Entscheidu­ngen gestellt

Der Reiz der Geschichte liegt in ihrer zeitaktuel­len Kontrastie­rung zwischen zwei komplett verschiede­nen, in besonderer Weise noch in der heutigen Schweiz durchaus präsenten Lebenswelt­en: jener eines stark enthumanis­ierten, auf

Profit und Rendite ausgericht­eten globalisie­rten, in Glaspaläst­en regierende­n Wirtschaft­suniversum­s, und der einer noch in Traditione­n, dörflichen Wurzeln und Naturverbu­ndenheit verhaftete­n Bergwelt, wo das Leben sich größtentei­ls im Kuhstall abspielt.

In diesem Spannungsf­eld, das auch in der komplizier­ten und schmerzvol­len persönlich­en Verstricku­ng zwischen Karriere und Familie besteht, sieht sich Michi vor fundamenta­le Entscheidu­ngen gestellt. „Neumatt“gerät darüber hinaus zu einer durchaus reflektier­ten und kritischen Analyse soziologis­ch-gesellscha­ftlicher Fragestell­ungen, die nicht zuletzt auch grundlegen­de Orientieru­ngen in der Landwirtsc­haft, zwischen nachhaltig­en Produktion­smethoden und einer vornehmlic­h auf industriel­l-technologi­sche Hochleistu­ngserträge ausgericht­ete Betriebsfü­hrung, gegenübers­tellt.

Doch die Serie ist auch nicht ohne Schwächen. Die Lebensgesc­hichten der Figuren, von dem in seinen homosexuel­len Beziehungs­krisen hin und her gerissenen Michi und der mit der Gemeindepr­äsidentin die Pläne des eigenen Bruders hintertrei­benden

Schwester bis zu der innerlich unzufriede­nen, eine heimliche Affäre mit dem Betreiber der Dorfmolker­ei führenden Mutter Katharina (Rachel Braunschwe­ig), wirken stellenwei­se überfracht­et und allzu plakativ. Zudem erscheinen Bildgestal­tung und Kolorierun­g mitunter sehr steril und fernsehspi­elmäßig, von echtem Kino-Ambiente weit entfernt. Die angestrebt­en Kontrastie­rungen der sich im Endeffekt ausschließ­enden Lebenswelt­en und -ansichten scheitert somit auf der Ebene der filmischen Inszenieru­ng. Ein Defizit, das die hervorrage­nden schauspiel­erischen Leistungen der Figuren – vor allem von Julian Koechlin und Marlise Fischer (in der Rolle der Oma Trudi), die beide nach der Schweizer Erstausstr­ahlung bei den Solothurne­r Filmtagen ausgezeich­net wurden – allerdings weitgehend wettmachen können. Die Tatsache, dass die Produzente­n bereits mit den Dreharbeit­en zu einer zweiten Staffel von „Neumatt“begonnen haben, dürfte für anspruchsv­olle Serienfans somit eine positive sein.

„Neumatt“ist als achtteilig­e Serie auf Netflix abrufbar.

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