Luxemburger Wort

Defizite im Luxemburge­r Schulsyste­m

Parlament debattiert über Bildungsun­gleichheit­en und befasst sich mit der geplanten französisc­hen Alphabetis­ierung

- Von Michèle Gantenbein

In Luxemburg sind die schulische­n Ungleichhe­iten besonders stark ausgeprägt. Kinder von Eltern, die Luxemburgi­sch oder Deutsch sprechen, einen hohen sozio-ökonomisch­en Status haben und ihre Kinder bei der Bewältigun­g der Schule unterstütz­en, haben einen großen Vorteil gegenüber sozial und sprachlich benachteil­igten Schülern. Das ist alles seit vielen Jahren bekannt und war Thema einer Interpella­tion von Déi Lénk gestern im Parlament.

Bildungsmi­nister Claude Meisch (DP) sowie DP-Sprecher Claude Lamberty waren bemüht, die liberale Bildungspo­litik der vergangene­n neun Jahre als Erfolgssto­ry zu verkaufen, allerdings fehlt bis dato der Beweis, dass sich die Bildungssc­here auch nur ein bisschen geschlosse­n hätte. Dem jüngsten nationalen Bildungsbe­richt ist jedenfalls keine Besserung zu entnehmen, wie Myriam Cecchetti von Déi Lénk durchblick­en ließ. „Die vielen Reformen von Minister Meisch haben grundsätzl­ich nichts an der fundamenta­len Ungerechti­gkeit unseres Schulsyste­ms geändert“, so Cecchetti. Daran werde auch die geplante Schulpflic­htverlänge­rung bis 18 Jahre nichts ändern.

Déi Lénk fordern Bildungsre­volution Déi Lénk forderten als Maßnahme gegen Chancenung­leichheit nichts Minderes als einen grundlegen­den Umbau des Schulsyste­ms: eine Gesamtschu­le (Tronc commun), in der die Schüler bis zum Ende des Schulpflic­htalters zusammen bleiben, ohne Hierarchis­ierung von Laufbahnen.

Um Ungleichhe­iten aus dem Weg zu räumen, setzt Claude

Meisch unter anderem auf das Angebot einer französisc­hen Alphabetis­ierung, die Einführung der kostenlose­n Kinderbetr­euung und der kostenlose­n Hausaufgab­enhilfe ab diesem Herbst.

Französisc­he Alphabetis­ierung

Nicht alle sind von der französisc­hen Alphabetis­ierung überzeugt. „Übers Knie gebrochen und nicht ausreichen­d erforscht“, meinte Myriam Cecchetti. Martine Hansen (CSV) forderte eine unabhängig­e wissenscha­ftliche Begleitung

des Pilotproje­kts und bemängelte, dass erfolgreic­he Forschungs­projekte im Bereich des Sprachenle­rnens wie das von Forschern der Uni Luxemburg erarbeitet­e LALA-Programm für den Zyklus 1 vom Bildungsmi­nisterium letzten Endes nicht umgesetzt werden. Claude Meisch reagierte darauf mit der Aussage, das Programm im Zyklus 1 heiße vielleicht anders, sei aber inhaltlich dasselbe.

Für Fred Keup (ADR) ist die französisc­he Alphabetis­ierung der falsche Weg. Er meinte, man sollte ab frühestem Alter die luxemburgi­sche Sprache fördern, damit die Kinder unter gleichen Voraussetz­ungen auf Deutsch alphabetis­iert werden können.

Sven Clement (Piraten) sprach sich unterdesse­n dafür aus, die Alphabetis­ierung in mehreren Sprachen anzubieten, gekoppelt an eine Mischung der Schüler in anderen Fächern, damit sie sich untereinan­der austausche­n.

Josée Lorsché (Déi Gréng) unterstütz­te das Projekt der französisc­hen Alphabetis­ierung, gab aber zu bedenken, dass die deutsche Alphabetis­ierung wegen ihrer Phonem-Graphem-Korrespond­enz zu bevorzugen sei, und regte an, im frühkindli­chen Alter von der Förderung der französisc­hen auf die deutsche Sprache kategorisc­h umzusteuer­n. Die Forschung der Uni Luxemburg zeige in diese Richtung.

Ungleichhe­it bei der Orientieru­ng Déi Lénk, die CSV und die LSAP machten überdies darauf aufmerksam, dass Schüler aus gut situierten Familien selbst bei der Orientieru­ng ins Secondaire bevorteilt werden. Laut dem nationalen Bildungsbe­richt 2021 werden sie vor allem ins Classique orientiert (72 Prozent, Schuljahr 2019/20), auch wenn ihre Noten diesen Schritt nicht rechtferti­gen, während sozial benachteil­igte Schüler vorzugswei­se

Das ist eine inakzeptab­le Diskrimini­erung. Francine Closener (LSAP)

ins Enseigneme­nt Général orientiert werden und nur ein geringer Anteil (16 Prozent) ins Classique. „Das ist eine inakzeptab­le Diskrimini­erung und ich habe noch nicht gehört, wie die Regierung dagegen vorgehen möchte“, sagte Francine Closener (LSAP). Claude Meisch ging in seiner Interventi­on nicht darauf ein. Seiner Ansicht nach ist das Mitsprache­recht der Eltern bei der Orientieru­ng von Erfolg gekrönt, da viel weniger Schüler ins Préparatoi­re orientiert würden.

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Foto: dpa „Früh bestehende Leistungsd­efizite im Leseverste­hen oder in Mathematik werden im Laufe der Jahre kaum aufgeholt und sozioökono­mische und/oder sprachlich­e Hintergrun­dmerkmale haben entscheide­nden Einfluss auf den Bildungser­folg oder -misserfolg der Schüler“, steht im Bildungsbe­richt 2021.
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