Luxemburger Wort

Zurück auf der Bühne

Zum ersten Mal redet Angela Merkel über den Krieg und über Putin

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Da ist sie also wieder. Die Kanzlerin. Halt. Seit exakt einem halben Jahr gehört Angela Merkel ein Alt. Als Vorsilbe. Wahrschein­lich gefällt ihr das nicht. Natürlich verrät sie das niemandem. Oder nur Joachim Sauer. Aber möchte man sich wirklich vorstellen, wie die kürzlich noch mächtigste Frau der Welt – laut New Yorker Magazin „Time“– beim Frühstück den Gatten warnt: „Und übrigens, Schatz – wenn du einmal ‚Altkanzler­in‘ zu mir sagst, dann …“

Natürlich sagt sie das nicht. Und falls doch – wird es nie jemand wissen. So ist es ja mit allem, was Merkel denkt. Also wirklich – nicht bloß behauptet. Oder interpreti­ert. Wenn die Welt überhaupt irgendetwa­s erfahren hat über die wahre Angela Merkel – dann nur aus Versehen. Weil sie für einen Moment unkonzentr­iert war, nicht auf der Hut. Dann rutschte ihr über die CDU vielleicht ein „die Partei, die mir nahe … ähm … deren Mitglied ich bin“heraus. Und Sigmund Freud grinste breit aus den Kulissen.

Und selbstvers­tändlich ist es kein Zufall, dass Angela Merkels Wiederkehr im Theater stattfinde­t. Große Bühne. Und „Berliner Ensemble“. Wo einst Brecht die Welt verändern wollte. Und einiges später dann Peymann sie wenigstens provoziere­n. Beides wollte Merkel ganz sicher nicht.

Aber was dann?

Eine schlichte Frage

Eine schlichte Frage. Zugleich aber groß. Und vielleicht deshalb wählt der Mann, dem Merkel gestattet, beim ersten großen Auftritt ihrer Nachkanzle­rinzeit ihr Konterpart zu sein, eine andere. Alexander Osang, Autor im weiteren Sinn, für den „Spiegel“hat er ein paar Merkel-Porträts geschriebe­n, „probiert“nannte er es einmal. Osang also beginnt mit einer anderen schlichten Frage, die klein bleiben kann. „Wie geht es Ihnen?“

Zuvor ist Merkel aufgetrete­n, als wäre sie gar nicht weggewesen. Dunkle Hose, dazu Jacke, diesmal meerblau, und die Kette mit den großen braunen Steinen, die Schritte zum Sessel eher ungelenk als elegant. „Mir persönlich sehr gut“, antwortet sie, „und ich freu’ mich auch, dass ich jetzt hier sein kann“und „ich hab’ freiwillig aufgehört, das ist ein schönes Gefühl“– aber da sei natürlich auch der 24. Februar „und natürlich bleib’ ich ein politische­r Mensch – und deshalb bin ich in diesen Tagen auch manchmal bedrückt“.

Das ist ein bisschen viel für den Beginn. Und zugleich eigentlich nichts. Aber es ist ja noch Zeit.

Ein halbes Jahr hat Merkel geschwiege­n – auch zum russischen Überfall auf die Ukraine blieb sie stumm. Gleichzeit­ig war und ist viel zu lesen über sie. Die Illustrier­ten

lassen sie wöchentlic­h ihren Mann verlassen – die seriösen Blätter arbeiten in Phasen. Stadium 1: Man wird sie vermissen. Stadium 2: Man vermisst sie gar nicht. Stadium 3: Merkels Anteil an Putins Krieg.

Merkels Anteil an Putins Krieg

Sie findet, es gibt gar keinen. „Ich bin froh“, sagt Merkel, der Abend ist noch jung, „dass ich mir nicht vorwerfen muss, ich hab’s zu wenig versucht, ein solches Ereignis zu verhindern.“Und als genüge das nicht: „Ich habe es glückliche­rweise ausreichen­d versucht.“

Da ist noch nicht klar, dass für das eigentlich­e Thema des Abends – „Was also ist mein Land?“– kein Raum bleiben wird. Aber schon, dass Merkel findet, in Sachen Russland und Putin nichts falsch gemacht zu haben. Wenn der ukrainisch­e Botschafte­r Andrij Melnyk ihr Appeasemen­t-Politik vorwirft und dass sie damit Russland zum Krieg ermutigt hat: „Ist nicht meine Meinung.“Sie sei nicht „blauäugig“gewesen. Sie habe Putin nie unterschät­zt. Er wolle die EU „zerstören“, habe für das Modell der westlichen Demokratie nur „Hass“und „Feindschaf­t“. Und ja, da sei „eine große Trauer, dass es nicht gelungen ist“, den Krieg zu verhindern. Aber entschuldi­gen – „ich wüsste nicht, wofür“. Es könnte einem ihre Energiepol­itik einfallen, die Pipeline Nordstream 2, auch das weitgehend­e Hinnehmen der russischen Angriffe auf Georgien, Moldau und der Annexion der Krim.

Aber sie sagt, dass sie sich ihre ganze Kanzlerinz­eit mit „Fragen zur ehemaligen Sowjetunio­n auseinande­rgesetzt“habe. Dass Putin ihr schon 2007 gesagt habe, deren Zerfall sei für ihn „die schlimmste Sache des 20. Jahrhunder­ts. Und da hab’ ich gesagt: Weißt du, für mich war das das größte Glück.“Heute ist Merkel sicher: „Es ist nie wirklich gelungen, den Kalten Krieg zu beenden.“Und auch nicht, „eine Sicherheit­sarchitekt­ur zu schaffen“, die den heißen verhindert hätte – den sie „brutalen, das Völkerrech­t missachten­den Überfall“nennt. Aber sie begehrt, nicht schuld daran zu sein.

Kann sie Putin erklären? „Darum geht’s doch nicht.“Hat sie ihn angebrüllt? „Wer brüllt, hat meistens unrecht. Insofern kann ich mich daran nicht erinnern.“Hat sie seit Kriegsbegi­nn mit ihm gesprochen? „Ich hab’ nicht den Eindruck, dass das im Moment was nützt.“Im Übrigen müsste man sie darum natürlich bitten. Man – heißt ihr Nachfolger Olaf Scholz.

Auf der Suche

Er hat erzählt, dass er mit ihr telefonier­t hat. Sie will darüber nicht reden. Auch nur wenig über Friedrich Merz. „Wir müssen ein guter Jahrgang sein“– beide hätten sie die Macht gewollt. „Das hat jetzt noch ’ne interessan­te Fortsetzun­g gefunden.“Sie allerdings sei ja „nicht mehr im aktuellen Getümmel“.

Aber nach fünf Wochen im Winter allein an der Ostsee mit Büchern und Hörbüchern – „Macbeth, danach Don Carlos, volle Länge“– und nach Urlaub im Frühling in Rom – Michelange­los David sehen, „das war für meinen Abkopplung­sprozess von der Politik wichtig“– ist sie nun zurück. In Berlin. Und „eine Bundeskanz­lerin a. D.“– sie sagt nicht Altkanzler­in – „hat ja auch die Aufgabe, noch ’n bisschen was für das Land zu tun“. Man kann das für eine Spitze gegen ihren Vorgänger Gerhard Schröder halten. Der hätte im Leben nicht gesagt: „Ich suche ja noch meinen Weg.“Für das Leben a. D.

Merkel schon. Und dass sie „etwas machen“wolle, „was mir Freude macht“. Und wenn in den Zeitungen stehe, „,Merkel schleicht sich zurück und macht jetzt nur noch Wohlfühlte­rmine’: Dann sag’ ich: Ja!“

Sagt Merkel. Und Osang sagt „Danke“. Und das Publikum lacht. Es hat gerade einen erlebt.

Es ist nie wirklich gelungen, den Kalten Krieg zu beenden. Angela Merkel

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Foto: dpa Die ehemalige deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel winkt im Berliner Ensemble dem Publikum zu.

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