Chaos in Sichtweite
Ferienreisen mit dem Flugzeug drohen in diesem Sommer zur Nervenprobe zu werden
Zahlreiche Flughäfen in Europa hatten in der Pandemie Stellen abgebaut – und leiden nun unter Personalmangel. Für die Reisenden – zuletzt sah man es am Pfingstwochenende – bedeutet das lange Warteschlangen. „Nach über zwei Jahren Pandemie und Einschränkungen ist die Reiselust und damit der Nachholbedarf an Flugreisen größer denn je“, teilt der Luxemburger Flughafen mit.
Die Passagierzahlen in Europa, wie auch am Findel, nehmen wieder stark zu. „Zu Spitzenzeiten liegt das Verkehrsaufkommen in Luxemburg derzeit um mehr als 30 Prozent höher als noch im Vorpandemiejahr 2019“, teilt der LuxAirport mit. Auch in Luxemburg kann es dadurch laut Flughafen zu kurzfristigen Spitzen kommen, die die Kapazitäten in verschiedenen Bereichen auslasten.
Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Flughäfen, wo das weniger gewordene Personal den Andrang kaum bewältigen kann, wurde am Findel während der Pandemie kein Personal abgebaut. Allerdings seien die Personalverfügbarkeit bei Partnerunternehmen und krankheitsbedingte Ausfälle noch immer ein Thema, so der Flughafen. Mit kleinen Beeinträchtigungen ist auch in Luxemburg zu rechnen: Passagiere werden bei hohem Verkehrsaufkommen mit Wartezeiten in allen Bereichen der Abfertigung am Flughafen Luxemburg rechnen müssen.
„Auch vorgelagerte Prozesse wie Anreise und Parkplatzfindung benötigen Planung und ausreichend Zeit. Bereits in der Vergangenheit war es ratsam, mindestens zwei Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein. Dies wird noch einmal konkretisiert, indem wir Passagieren raten, zwei Stunden vor
Abflug am Check-in-Schalter bereitzustehen, zusätzlich Zeit für die Anreise und das Parken einzuplanen und den Parkplatz vorab zu reservieren.“
In der letzten Maiwoche gab es laut Eurocontrol an Europas Himmel wieder mehr als 28 100 Flüge am Tag, was knapp 86 Prozent des Vorkrisen-Niveaus entspricht.
Chaotische Zustände an Pfingsten
Flughäfen wie der in Amsterdam ächzen seit Wochen unter einer stark steigenden Zahl an Reisenden. Es fehlt an Personal. Mitarbeiter, die man in der Pandemie nach Hause schickte, kommen offenbar nicht mehr zurück. Die niederländische Fluggesellschaft KLM hatte Ende Mai sogar den Ticket-Verkauf zeitweise drastisch reduzieren müssen und Flüge gestrichen. Am Pfingstsonntag brachte die Airline dann zahlreiche ihrer am Vortag in europäischen Ländern gestrandeten Passagiere nach Amsterdam.
Zugleich werde hart daran gearbeitet, Fluggäste umzubuchen, die eigentlich zuvor vom Airport Schiphol weiterfliegen wollten und ihre Anschlüsse verpasst hätten, sagte ein KLM-Sprecher der Nachrichtenagentur ANP. Wegen erheblicher Verzögerungen bei der Passagierabfertigung auf dem Amsterdamer Drehkreuz hatte sich KLM den Angaben zufolge entschieden, etliche Linienflüge von europäischen Städten ausfallen zu lassen. Laut ANP flogen insgesamt 42 Maschinen leer nach Amsterdam zurück. Betroffene Passagiere wurden nach Hause geschickt oder in Hotels untergebracht.
Um den Personalmangel bei der Gepäckabfertigung und Sicherheit zu beheben, will Schiphol mehr Personal anwerben und höhere Löhne bezahlen. Unterdessen herrschen auch auf Flughäfen in Großbritannien
chaotische Zustände. Am Londoner Flughafen Gatwick wurden am Sonntag 52 Abflüge und 30 Ankünfte gestrichen, viele davon von EasyJet, die insgesamt 80 Flüge in ganz Europa ausfallen ließ. Die Billigfluggesellschaft Wizz Air Holdings warnte gestern, dass die Branche von weiteren Störungen bedroht sei.
Der britische Verkehrsminister Grant Shapps macht die Fluggesellschaften für Hunderte von gestrichenen Flügen verantwortlich. Willie Walsh, Generaldirektor des internationalen Luftverkehrsverbands IATA, wirft hingegen Shapps vor, er habe „seit Beginn der Pandemie als Verkehrsminister nichts für die Branche getan“. Walsh, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der British-AirwaysMuttergesellschaft IAG, sagte zuvor in einer Podiumsdiskussion, Shapps wisse nicht, wovon er rede, wenn es um die Luftfahrt gehe. Die britische Regierung lehnt es ab, spezielle Visa für Jobs in der Reisebranche auszustellen. Seit dem Brexit können aus diesem Grund dringend benötigte Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland nicht mehr einfach nach Großbritannien kommen und arbeiten.
Drehkreuz Frankfurt fehlt Personal
Auch in Frankfurt am Main gab es lange Schlangen von Wartenden an den Check-in-Schaltern: Der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport hat in der Krise rund 4 000 Stellen abgebaut und darüber hinaus ungeplant Bodenpersonal verloren, das anderswo bessere Jobs gefunden hat. Und in den kommenden Wochen wird der Personalbestand das Vorkrisen-Niveau jedenfalls nicht erreichen.
„Über alle Standorte hinweg fehlen den Dienstleistern, die an der Abfertigung der Passagiere beteiligt sind, rund 20 Prozent Bodenpersonal im Vergleich zur VorCorona-Zeit“, so der Flughafenverband ADV. Allein in Deutschland wäre das ein Bedarf von 5 500 zusätzlichen Mitarbeitern. EasyJet geht wegen Personalmangel ungewöhnliche Schritte und wird bei Flugzeugen vom Typ Airbus A319 die hintere Sitzreihe ausbauen. Sechs Sitzplätze weniger bedeuten, dass die Airline nach geltenden Sicherheitsschlüsseln für die verbliebenen 150 Passagiere nur noch drei statt bislang vier Flugbegleiter in der Kabine einsetzen muss.
Der Luxemburger Flughafen teilt mir, dass sich Fluggäste vor Abreise auf der Webseite informieren sollen. Und wenn möglich soll das Handgepäck „am besten auf ein Handgepäckstück“reduziert werden sowie der WebCheck-in oder Vorabend-Check-in genutzt werden. Der Lux-Airport setzt inzwischen vermehrt Helfer ein, die die Orientierung im Gebäude und die Vorbereitung der Sicherheitskontrollen unterstützen: „Gut informiert sein, rechtzeitig anreisen und genügend Zeit am Flughafen einzuplanen sind entscheidende Faktoren – nicht nur diesen Sommer.“
Der Airline-Verband IATA scheint momentan keine kurzfristige Lösung des Problems zu sehen und schlägt global einheitliche Ausbildungsinhalte vor, damit Bodenpersonal wie Piloten überall auf der Welt eingesetzt werden könnten. Die Nachfrage nach Reisen kommt für viele Flughäfen und Fluggesellschaften schneller als erwartet.
Zu Spitzenzeiten um mehr als 30 Prozent höher als 2019. Lux-Airport zum Verkehrsaufkommen