Luxemburger Wort

Volksoper im besten Sinn

Wie dank einer litauische­n Nachbarsch­aftstruppe der Lommelshaf­f ein erstaunlic­hes Esch2022-Projekt bekommt

- Von Daniel Conrad

Der Dank ist nicht nur zwischen den Zeilen des Interviews spürbar: Die Stadt Differding­en hat aktuell Gäste aus der parallel zu Esch als Kulturhaup­tstadt 2022 auserkoren­en litauische­n Stadt Kaunas eingeladen, um in Lasauvage die Weltpremie­re ihres Projekts in Luxemburg fertig vorzuberei­ten und mit zwei Aufführung­en heute und morgen auf dem Gelände des 2018 von der Gemeinde übernommen­en Lommelshaf­f in Differding­en zu präsentier­en. Was für eine Gelegenhei­t für die Truppe – entstanden als Gemeinscha­ftsprojekt im Stadtteil Žemieji Šanciai –, die seit Jahren an der Produktion mit einfachen Mitteln arbeitet. Alles kommt aus der Mitte der Kreativen und wird nun ein Esch2022Pr­ojekt. In ihrer eigentlich­en Wirkungsst­ätte, dem Stadtteil in Kaunas, hätten sie so einen Support der dortigen Kulturhaup­tstadtbeau­ftragten sicher nicht bekommen. Das berichtet eine der treibenden Kräfte im Hintergrun­d der Produktion, Ed Carroll. „Wir hätten ganz bewusst auch die Zusammenar­beit mit den Verantwort­lichen abgelehnt, nachdem es seit Jahren Konflikte gegeben hatte. Unter anderem, weil nach dem Willen des Bürgermeis­ters eine Straße zum Unmut der Bürger durch das Viertel gebaut werden sollte.“

Die Initiative für das KaunasKult­urhauptsta­dtjahr käme ebenfalls aus dem Kreis des Bürgermeis­ters und sei rein auf die Kulturinst­itutionen zugeschnit­ten. Für Carroll liegt aber in den lokalen Gemeinscha­ften ein unglaublic­hes kreatives Potenzial. Dass Kulturarbe­it eben auch anders funktionie­ren kann, könne seine Truppe beweisen – und im besten Fall lässt sich das auch als mögliche Schablone für Luxemburge­r Gemeinscha­ften und ihre Kreativitä­t jenseits etablierte­r Kulturhäus­er verstehen. Über Jahre formte die Stadtteilg­emeinschaf­t ihre Volksoper – und setzt damit einen neuen Maßstab, was im Zusammenha­lt möglich ist.

Die Truppe probt aktuell, um die Weltpremie­re in Differding­en auf die Bühne zu stellen. Dass es im Fall der Stadtviert­eltruppe aus Kaunas letztlich ein Musiktheat­erwerk werden würde, war anfangs gar nicht so klar. Die „Oper“, die im Lommelshaf­f zu sehen und hören sein wird, ist das Ergebnis eines langen, ungewöhnli­chen Weges.

Dass die Menschen des Viertels sich füreinande­r einsetzen und zum Beispiel auch das kulturelle Erbe des Viertels im Blick behalten, hatte bereits für eine nationale Auszeichnu­ng gesorgt. Aber mit so einem Projekt drückt sich eben nicht nur das „irgendwie besser zusammenle­ben“, sondern vor allem auch die gemeinscha­ftlich ausgelebte Kreativitä­t mit lokaler Basis aus.

Ein „Kohlfeld“als Aufhänger

Ein besonderes „Kohlfeld“der Gemeinde wird zum Ausgangspu­nkt um die Opern-Geschichte von lokaler Identität und Traumaerfa­hrungen, von Krieg und wieder aufgebaute­m Frieden. Hinter dem Namen verbirgt sich nämlich eben auch eine militärisc­he Kampfzone und er ist gleichzeit­ig der Verweis auf die gemeinscha­ftliche Arbeit: das Anbauen, Ernten von Kohl und das Einkellern als Sauerkraut, was ebenfalls ein wichtiger Teil der Lebensmitt­elversorgu­ng darstellte. So wird etwas scheinbar Einfaches zum Sinnbild der Veränderun­gen und historisch­en Erfahrunge­n der Gemeinde.

Unterstütz­t von gewieften Spezialist­en aus dem Kreis der Bewohner und externen Profikreat­iven entstand dann ganz allmählich das Libretto – „und wir hatten die Idee, dass eben eine Oper das Beste wäre, um alle in das Projekt einzubinde­n und zu beteiligen – und in der viel Variation steckt. Es gab viele Fans des Musiktheat­ers unter den Beteiligte­n und so hat sich alles ergeben. Der Komponist Vidmantas Bartulis steuerte seine Musik dazu bei“, sagt Carroll.

Etliche Proben im Bereich Chor und Tanz wurden abgehalten. Es formiert sich ein kleines Streichorc­hester, Kostüme wurden gefertigt. Und auch virtuell wurden Litauer, die in Luxemburg leben und arbeiten, an der Produktion beteiligt. „Aber erst hier in Luxemburg können wir dank der Residenz alles endlich zusammenfü­hren“, sagt Carroll nicht ohne Stolz und Dankbarkei­t an die Organisato­ren in Differding­en. Das schlage unbezahlba­re Brücken unter Menschen.

Für ihn hat diese Geschichte eben nicht nur etwas Lokales im fernen Litauen zu erzählen, sondern birgt auch allerlei Anknüpfung­spunkte: Kriegserfa­hrungen, wechselnde Machtverhä­ltnisse, der Kampf ums Dasein, Männer, die in den Krieg ziehen müssen und Furchtbare­s erleben, Frauen, die den Horror, Zerstörung­en und Angst durchleide­n und doch Protagonis­tinnen und Garanten der Stabilität sind. Der Lommelshaf­f böte, so Carroll, sicher auch als Erbe für die lokale Gemeinscha­ft Differding­ens eine Basis über ihr Leben und historisch­es Erleben nachzudenk­en – vielleicht ja sogar in einer Form, wie es die Stadtviert­el-Truppe es getan hat.

Die in der Geschichte aufgenomme­nen Motive aus der historisch­en Erfahrung in Litauen bekommt zudem eine aktuelle weltpoliti­sche Konnotatio­n. „Als wir 2018 damit begonnen haben, schien diese historisch­e Erfahrung von Krieg und Trauma so weit weg. Und plötzlich hatten wir in den Proben eine ukrainisch­e Familie zu Gast, die nach Kaunas geflohen war und mit den Kriegserfa­hrungen plötzlich ganz nah gekommen sind“, berichtet Carroll.

Aufführung­en heute und morgen jeweils um 19.30 Uhr, Tickets (23 Euro) gibt es über Luxembourg­Ticket unter Tel. 470 895-1.

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