Volksoper im besten Sinn
Wie dank einer litauischen Nachbarschaftstruppe der Lommelshaff ein erstaunliches Esch2022-Projekt bekommt
Der Dank ist nicht nur zwischen den Zeilen des Interviews spürbar: Die Stadt Differdingen hat aktuell Gäste aus der parallel zu Esch als Kulturhauptstadt 2022 auserkorenen litauischen Stadt Kaunas eingeladen, um in Lasauvage die Weltpremiere ihres Projekts in Luxemburg fertig vorzubereiten und mit zwei Aufführungen heute und morgen auf dem Gelände des 2018 von der Gemeinde übernommenen Lommelshaff in Differdingen zu präsentieren. Was für eine Gelegenheit für die Truppe – entstanden als Gemeinschaftsprojekt im Stadtteil Žemieji Šanciai –, die seit Jahren an der Produktion mit einfachen Mitteln arbeitet. Alles kommt aus der Mitte der Kreativen und wird nun ein Esch2022Projekt. In ihrer eigentlichen Wirkungsstätte, dem Stadtteil in Kaunas, hätten sie so einen Support der dortigen Kulturhauptstadtbeauftragten sicher nicht bekommen. Das berichtet eine der treibenden Kräfte im Hintergrund der Produktion, Ed Carroll. „Wir hätten ganz bewusst auch die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen abgelehnt, nachdem es seit Jahren Konflikte gegeben hatte. Unter anderem, weil nach dem Willen des Bürgermeisters eine Straße zum Unmut der Bürger durch das Viertel gebaut werden sollte.“
Die Initiative für das KaunasKulturhauptstadtjahr käme ebenfalls aus dem Kreis des Bürgermeisters und sei rein auf die Kulturinstitutionen zugeschnitten. Für Carroll liegt aber in den lokalen Gemeinschaften ein unglaubliches kreatives Potenzial. Dass Kulturarbeit eben auch anders funktionieren kann, könne seine Truppe beweisen – und im besten Fall lässt sich das auch als mögliche Schablone für Luxemburger Gemeinschaften und ihre Kreativität jenseits etablierter Kulturhäuser verstehen. Über Jahre formte die Stadtteilgemeinschaft ihre Volksoper – und setzt damit einen neuen Maßstab, was im Zusammenhalt möglich ist.
Die Truppe probt aktuell, um die Weltpremiere in Differdingen auf die Bühne zu stellen. Dass es im Fall der Stadtvierteltruppe aus Kaunas letztlich ein Musiktheaterwerk werden würde, war anfangs gar nicht so klar. Die „Oper“, die im Lommelshaff zu sehen und hören sein wird, ist das Ergebnis eines langen, ungewöhnlichen Weges.
Dass die Menschen des Viertels sich füreinander einsetzen und zum Beispiel auch das kulturelle Erbe des Viertels im Blick behalten, hatte bereits für eine nationale Auszeichnung gesorgt. Aber mit so einem Projekt drückt sich eben nicht nur das „irgendwie besser zusammenleben“, sondern vor allem auch die gemeinschaftlich ausgelebte Kreativität mit lokaler Basis aus.
Ein „Kohlfeld“als Aufhänger
Ein besonderes „Kohlfeld“der Gemeinde wird zum Ausgangspunkt um die Opern-Geschichte von lokaler Identität und Traumaerfahrungen, von Krieg und wieder aufgebautem Frieden. Hinter dem Namen verbirgt sich nämlich eben auch eine militärische Kampfzone und er ist gleichzeitig der Verweis auf die gemeinschaftliche Arbeit: das Anbauen, Ernten von Kohl und das Einkellern als Sauerkraut, was ebenfalls ein wichtiger Teil der Lebensmittelversorgung darstellte. So wird etwas scheinbar Einfaches zum Sinnbild der Veränderungen und historischen Erfahrungen der Gemeinde.
Unterstützt von gewieften Spezialisten aus dem Kreis der Bewohner und externen Profikreativen entstand dann ganz allmählich das Libretto – „und wir hatten die Idee, dass eben eine Oper das Beste wäre, um alle in das Projekt einzubinden und zu beteiligen – und in der viel Variation steckt. Es gab viele Fans des Musiktheaters unter den Beteiligten und so hat sich alles ergeben. Der Komponist Vidmantas Bartulis steuerte seine Musik dazu bei“, sagt Carroll.
Etliche Proben im Bereich Chor und Tanz wurden abgehalten. Es formiert sich ein kleines Streichorchester, Kostüme wurden gefertigt. Und auch virtuell wurden Litauer, die in Luxemburg leben und arbeiten, an der Produktion beteiligt. „Aber erst hier in Luxemburg können wir dank der Residenz alles endlich zusammenführen“, sagt Carroll nicht ohne Stolz und Dankbarkeit an die Organisatoren in Differdingen. Das schlage unbezahlbare Brücken unter Menschen.
Für ihn hat diese Geschichte eben nicht nur etwas Lokales im fernen Litauen zu erzählen, sondern birgt auch allerlei Anknüpfungspunkte: Kriegserfahrungen, wechselnde Machtverhältnisse, der Kampf ums Dasein, Männer, die in den Krieg ziehen müssen und Furchtbares erleben, Frauen, die den Horror, Zerstörungen und Angst durchleiden und doch Protagonistinnen und Garanten der Stabilität sind. Der Lommelshaff böte, so Carroll, sicher auch als Erbe für die lokale Gemeinschaft Differdingens eine Basis über ihr Leben und historisches Erleben nachzudenken – vielleicht ja sogar in einer Form, wie es die Stadtviertel-Truppe es getan hat.
Die in der Geschichte aufgenommenen Motive aus der historischen Erfahrung in Litauen bekommt zudem eine aktuelle weltpolitische Konnotation. „Als wir 2018 damit begonnen haben, schien diese historische Erfahrung von Krieg und Trauma so weit weg. Und plötzlich hatten wir in den Proben eine ukrainische Familie zu Gast, die nach Kaunas geflohen war und mit den Kriegserfahrungen plötzlich ganz nah gekommen sind“, berichtet Carroll.
Aufführungen heute und morgen jeweils um 19.30 Uhr, Tickets (23 Euro) gibt es über LuxembourgTicket unter Tel. 470 895-1.
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