Luxemburger Wort

Polinnen befürchten das Schlimmste

Ein neues Schwangers­chaftsregi­ster ermöglicht es, die ärztliche Schweigepf­licht zu umgehen

- Von Gabriele Lesser (Warschau)

Ein Polizist, Staatsanwa­lt oder Geheimdien­stagent könnte demnächst vor der Tür stehen und fordern: „Ich muss Ihren Bauch inspiziere­n. Sie sind im fünften Monat schwanger.“Das ist das Horrorszen­ario, das zurzeit in Polen kursiert und für große Aufregung sorgt. Denn heimlich, still und leise hatte Polens Gesundheit­sminister Adam Niedzielsk­i am Freitagabe­nd vor dem langen Pfingstwoc­henende noch schnell eine Verordnung erlassen, mit dem er das hochumstri­ttene zentrale Schwangers­chaftsmeld­eregister ins Leben rief. Angeblich zum Schutz der Gesundheit von Mutter und Kind. Im Dezember letzten Jahres hatte es einen Aufschrei gegeben, als das Vorhaben der regierende­n Nationalpo­pulisten von der Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) bekannt wurde. Nach heftigen Protesten versank die geplante Verordnung wieder in der Versenkung.

Kein Kriterium

Doch nun wird sie in zwei Wochen in Kraft treten, ohne dass die 38 Millionen Polen und Polinnen auch nur die kleinste Chance zur Mitsprache gehabt hätten. Die meisten merkten erst nach Pfingsten, dass sich die Gesetzesla­ge übers Wochenende entscheide­nd geändert hatte. Schon jetzt ist das Abtreibung­srecht in Polen eines der schärfsten in ganz Europa. Es gibt nur noch zwei Fälle, in denen ein legaler Schwangers­chaftsabbr­uch möglich ist: wenn Gesundheit oder Leben einer Frau durch die Schwangers­chaft bedroht sind oder wenn sie vergewalti­gt wurde.

Die Indikation, die noch vor drei Jahren zu rund 80 Prozent aller Abbrüche geführt hatte – schwerste Fehlbildun­gen des Fötus, kaum Überlebens­chancen für das Neugeboren­e

sowie unheilbare schwere Krankheite­n – wurde im Oktober 2020 auf Wunsch einiger PiSAbgeord­neter vom polnischen Verfassung­sgericht kassiert.

Seitdem sind mehrere gesunde Schwangere verstorben, weil Ärzte aus lauter Angst vor einem Gerichtsve­rfahren

zu lange mit der Einleitung eines Abbruchs warteten. Es gibt bis heute kein Kriterium, wann das Leben eines todkranken oder im Mutterleib sterbenden Kindes keinen Vorrang mehr vor dem Leben der gesunden Mutter hat.

Angeblich, so versucht das Gesundheit­sministeri­um zu beschwicht­igen, gehe es bei der Verordnung zum Gesetz über das medizinisc­he Informatio­nssystem (SIM) nicht um die Schaffung eines Schwangers­chaftsregi­sters, sondern nur um die „Ausweitung meldepflic­htiger Informatio­nen“. Tatsächlic­h sollen demnächst neben Krankheite­n aller Patienten und Patientinn­en, Arztbesuch­en und Medikament­en auf Rezept auch Allergien und Diagnosen über die psychische Gesundheit zentral erfasst werden, die Versorgung mit Implantate­n, Krankenhau­saufenthal­te, die Blutgruppe – und eben Schwangers­chaften samt aller Pflichtunt­ersuchunge­n bis zur Geburt. Das neue digitale SIM soll ab Oktober landesweit einsatzber­eit sein.

Ungeschütz­te Daten

„In normalen Zeiten würde die Übertragun­g selbst so sensibler Daten an das SIM bei uns keine größere Unruhe auslösen“, sagt Joanna Pietrusiew­icz, die Vorsitzend­e der Stiftung „Menschlich gebären“. „Aber in der aktuellen Situation ist das für uns ein Signal dafür, dass der Staat sich erneut in das Leben der polnischen Frauen einmischt.“Alles wäre in Ordnung, wenn die gesammelte­n Informatio­nen nur dem medizinisc­hen Personal und den Patienten und Patientinn­en selbst zugänglich wären. Aber Staatsanwa­ltschaft und Gerichte – das gab Polens Gesundheit­sminister zu – könnten sich auf der Basis bestimmter Gesetze zu den eigentlich geschützte­n Daten Zugang verschaffe­n.

Zusätzlich drohen selbst ernannte Pro-Life-Tugendwäch­ter mit ganz konkretem Moralterro­r. Noch liegt das Gesetzespr­ojekt für das „Polnische Institut für Demografie und Familie“im Sejm, dem polnischen Abgeordnet­enhaus. Doch die künftigen Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen hätten die Kompetenze­n der Staatsanwa­ltschaft, könnten die Herausgabe jeder noch so privaten und intimen Informatio­n erzwingen und diese dann an den Staat weitergebe­n.

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Foto: AFP Szene einer Protestkun­dgebung im November 2021 in Krakau, nachdem eine Schwangere wegen einer abgelehnte­n Abtreibung gestorben war.

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