Polinnen befürchten das Schlimmste
Ein neues Schwangerschaftsregister ermöglicht es, die ärztliche Schweigepflicht zu umgehen
Ein Polizist, Staatsanwalt oder Geheimdienstagent könnte demnächst vor der Tür stehen und fordern: „Ich muss Ihren Bauch inspizieren. Sie sind im fünften Monat schwanger.“Das ist das Horrorszenario, das zurzeit in Polen kursiert und für große Aufregung sorgt. Denn heimlich, still und leise hatte Polens Gesundheitsminister Adam Niedzielski am Freitagabend vor dem langen Pfingstwochenende noch schnell eine Verordnung erlassen, mit dem er das hochumstrittene zentrale Schwangerschaftsmelderegister ins Leben rief. Angeblich zum Schutz der Gesundheit von Mutter und Kind. Im Dezember letzten Jahres hatte es einen Aufschrei gegeben, als das Vorhaben der regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bekannt wurde. Nach heftigen Protesten versank die geplante Verordnung wieder in der Versenkung.
Kein Kriterium
Doch nun wird sie in zwei Wochen in Kraft treten, ohne dass die 38 Millionen Polen und Polinnen auch nur die kleinste Chance zur Mitsprache gehabt hätten. Die meisten merkten erst nach Pfingsten, dass sich die Gesetzeslage übers Wochenende entscheidend geändert hatte. Schon jetzt ist das Abtreibungsrecht in Polen eines der schärfsten in ganz Europa. Es gibt nur noch zwei Fälle, in denen ein legaler Schwangerschaftsabbruch möglich ist: wenn Gesundheit oder Leben einer Frau durch die Schwangerschaft bedroht sind oder wenn sie vergewaltigt wurde.
Die Indikation, die noch vor drei Jahren zu rund 80 Prozent aller Abbrüche geführt hatte – schwerste Fehlbildungen des Fötus, kaum Überlebenschancen für das Neugeborene
sowie unheilbare schwere Krankheiten – wurde im Oktober 2020 auf Wunsch einiger PiSAbgeordneter vom polnischen Verfassungsgericht kassiert.
Seitdem sind mehrere gesunde Schwangere verstorben, weil Ärzte aus lauter Angst vor einem Gerichtsverfahren
zu lange mit der Einleitung eines Abbruchs warteten. Es gibt bis heute kein Kriterium, wann das Leben eines todkranken oder im Mutterleib sterbenden Kindes keinen Vorrang mehr vor dem Leben der gesunden Mutter hat.
Angeblich, so versucht das Gesundheitsministerium zu beschwichtigen, gehe es bei der Verordnung zum Gesetz über das medizinische Informationssystem (SIM) nicht um die Schaffung eines Schwangerschaftsregisters, sondern nur um die „Ausweitung meldepflichtiger Informationen“. Tatsächlich sollen demnächst neben Krankheiten aller Patienten und Patientinnen, Arztbesuchen und Medikamenten auf Rezept auch Allergien und Diagnosen über die psychische Gesundheit zentral erfasst werden, die Versorgung mit Implantaten, Krankenhausaufenthalte, die Blutgruppe – und eben Schwangerschaften samt aller Pflichtuntersuchungen bis zur Geburt. Das neue digitale SIM soll ab Oktober landesweit einsatzbereit sein.
Ungeschützte Daten
„In normalen Zeiten würde die Übertragung selbst so sensibler Daten an das SIM bei uns keine größere Unruhe auslösen“, sagt Joanna Pietrusiewicz, die Vorsitzende der Stiftung „Menschlich gebären“. „Aber in der aktuellen Situation ist das für uns ein Signal dafür, dass der Staat sich erneut in das Leben der polnischen Frauen einmischt.“Alles wäre in Ordnung, wenn die gesammelten Informationen nur dem medizinischen Personal und den Patienten und Patientinnen selbst zugänglich wären. Aber Staatsanwaltschaft und Gerichte – das gab Polens Gesundheitsminister zu – könnten sich auf der Basis bestimmter Gesetze zu den eigentlich geschützten Daten Zugang verschaffen.
Zusätzlich drohen selbst ernannte Pro-Life-Tugendwächter mit ganz konkretem Moralterror. Noch liegt das Gesetzesprojekt für das „Polnische Institut für Demografie und Familie“im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus. Doch die künftigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hätten die Kompetenzen der Staatsanwaltschaft, könnten die Herausgabe jeder noch so privaten und intimen Information erzwingen und diese dann an den Staat weitergeben.