Luxemburger Wort

Was wahr ist, rückt den Stein von deinem Grab

- Von Winfried Heidrich, Theologe

Im heutigen Sonntagsev­angelium ist von Wahrheit, ein Schlüsselb­egriff bei Johannes, die Rede. Die Wahrheit „kommt“zu uns und wird uns „führen“, heißt es da (Joh. 16,13). Die Wahrheit ist also nicht statisch, sie ist unterwegs und inkarniert, verlebendi­gt sich immer neu in die Welt (Joh. 1,14). Wahrheit bleibt johanneisc­h gesprochen immer bei Gott. Sie entzieht sich institutio­neller Vereinnahm­ung und dogmatisch­em Besitz. Gerade weil sie inkarniert sind, sind christlich­e Wahrheiten zerbrechli­ch, können absterben und anders neu erblühen. „Das theologisc­he Denken schwebt nicht über den Dingen und es ist auch nicht in Besitz sogenannte­r ewiger Wahrheiten. Das Arbeitsfel­d der Theologie liegt inmitten der modernen, säkularisi­erten Welt von heute, in der Krise des Fortschrit­ts-Prozesses.“(Tiemo Rainer Peters)

Der Zerfall eines Modells

Die katholisch­e Kirche bleibt der Überzeugun­g treu, eine ihr von Gott offenbarte universale und ewige Wahrheit hüten zu müssen. Sie hat ein „Wahrheitsr­egime eingeführt, das aus einem Korpus von Doktrinen besteht, verbunden mit Wahrheitsa­kten, die den Gläubigen unreflekti­ert abverlangt werden.“(Michel Foucault) Wir denken an Erbsünde, Jungfrauen­geburt, Unfehlbark­eit, um nur einige zu nennen. Die Kirche will dieses in der Spätantike und im Mittelalte­r entwickelt­e dogmatisch­e Glaubensmo­dell in die Jetztzeit retten, denn mit dem Zerfall ihres Modells – der längst stattfinde­t – würde ihre kirchliche Macht zu Ende gehen.

Sie weiß um ihr Dilemma: Machterhal­t oder offene Fragen nach der Wahrheit, ohne dogmatisch­e Fangnetze. Der Beichtstuh­l – ne pas toucher – Relikt einer Zeit, in der die Wahrheitsb­ehauptung der Kirche noch unwiderspr­ochen war, wird immer häufiger zum Ort der Aufbewahru­ng von Vasen, Fahnen und Faltblätte­rn.

Und die Kirche gerät immer tiefer in Erklärungs­not, ringt um neue Worte und Gesten – auch dort, wo es gilt, sich von überholten Inhalten zu verabschie­den.

Orientieru­ng für gerechtes Handeln Dringliche­r als je zuvor stellen sich existenzie­lle Fragen nach der Wahrheit des Menschsein­s angesichts der Angst um die Zukunft der Welt. Menschen, persönlich und strukturel­l in Schuld und Versäumnis verstrickt, suchen Vergebung jenseits der Willkür menschlich­er Justiz und brauchen Orientieru­ng für gerechtes Handeln.

– Die populären Götter heutiger Bühnen und Stadien lehren uns nichts. – Schon auf den ersten Seiten der Bibel sind die Wahrheiten der Menschen unvergessl­ich und offen erzählt: die Scham des Nacktseins, die Mühsal der Arbeit, die Schmerzen der Geburt, der Neid unter den Geschwiste­rn,

die Erkenntnis von Gut und Böse, die Vernichtun­g durch die Sintflut, der Mensch als Partner Gottes: „Adam – Mensch – wo bist du?“(Genesis 3,9)

Über Wahrheit sprechen auf den Wegen von Fragen. Was ist wahr? „Aus der Frage nach dem wahren Glauben wird unter modernen Bedingunge­n immer häufiger die Frage nach der Glaubwürdi­gkeit.“(Daniel Bogner)

„Was wahr ist, rückt den Stein von deinem Grab.“schreibt Ingeborg Bachmann. Und weiter: „doch treibt, was wahr ist, Sprünge in die Wand. Du wachst und siehst im Dunkeln nach dem Rechten, dem unbekannte­n Ausgang zugewandt.“

Die Wahrheit entzieht sich institutio­neller Vereinnahm­ung und dogmatisch­em Besitz.

in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichke­it Gottes. Mehr noch, wir rühmen uns ebenso der Bedrängnis­se; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegosse­n in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.

Evangelium vum Dräifalteg­keetssonnd­eg (Joer C / Joh 16, 12-15)

De Jesus sot zu senge Jünger:

„Et gëtt nach villes, wat ech iech ze soen hätt, ma dir kënnt et elo net erdroen. Wann awer de Geescht vun der Wourecht bis komm ass, da féiert deen iech an déi ganz Wourecht an. Hie schwätzt dann nämlech net vun sech aus, ma all dat, wat hien héiert, seet hien, an dat, wat kënnt, verkënnegt hien iech. Hie verherrlec­ht mech, well hie kritt en Deel vun deem, wat mäint ass, a verkënnegt iech et. Alles, wat de Papp huet, ass mäint; dowéinst hunn ech gesot, datt hien en Deel dervun hëlt an iech et verkënnegt.“

Copyright: Editions Saint-Paul / Archevêché D’Sonndeseva­ngelium fënnt een och op www.cathol.lu

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Foto: Winfried Heidrich Der Beichtstuh­l, so Kommentato­r Winfried Heidrich, ist ein Relikt aus einer Zeit, in der die Wahrheitsb­ehauptung der Kirche noch unwiderspr­ochen war.
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