Drei Monate in Luxemburg
Was aus der ukrainischen Familie der 21 in Contern geworden ist
Bridel. Seit dem 25. März ist Luxemburg um ein ukrainisches Baby reicher. Die 36-jährige Oksana Khyzhnyak bringt an diesem Freitag um 13 Uhr ihre gesunde Dariana im CHL zur Welt. Dabei war die Schwangerschaft gegen Ende eine turbulente Fahrt mit gänzlich unbekanntem Ziel. Würde Oksana mit ihrer achtköpfigen Familie rechtzeitig ein Dach über dem Kopf haben, ein Zuhause, in dem das Neugeborene liebevoll aufwachsen kann? Würde es ihr Ehemann Daud aus der Ukraine nach Luxemburg schaffen?
Oksana selbst fährt in ihrer 38. Schwangerschaftswoche mit dem Auto 40 Stunden lang durch sechs Länder. Wenn sie schlafen muss, legt sie ihren Kopf auf das Lenkrad. Anfang März erreicht sie Contern, wo Svitlana Keane von heute auf morgen mit 20 Menschen unter einem Dach leben wird. Unfreiwillig.
Rückblick: Svitlana Keane ist 45 Jahre alt und Tochter russischer Eltern. Aufgewachsen ist sie in der Ukraine. Seit September vergangenen Jahres lebt sie mit ihrem irischen Mann Eion (42 Jahre) und den gemeinsamen Kindern Sofie (15), Niels (12) und Anna (7) in einem Reihenhaus in Contern zur Miete. Als der Krieg in der Ukraine ausbricht, nimmt sie 16 Ukrainer, darunter ihre Eltern, Schwester und Freunde, in ihrem Haus auf (das LW berichtete am 12. März). Was ist heute, drei Monate später, aus der ukrainischen Familie der 21 geworden?
Von der Notunterkunft ins Herrenhaus
Spielten die zehn, größtenteils vaterlosen Kinder der Wohngemeinschaft in Contern Anfang März noch still in einer Ecke, ist das Freudengeschrei Versteck spielender kleiner Menschen an diesem sonnigen Tag im Mai schon von Weitem zu hören. Eine ruhige Wohngegend in Bridel, Einfamilienhäuser mit sorgsam gepflegten Vorgärten reihen sich neben Villen und großzügigen Garagen. Am Ende einer Straße liegt das neue Zuhause der achtköpfigen Familie um Oksana.
Noch am selben Tag, an dem das LW vom Schicksal der Familie berichtet, meldet sich ein Hauseigentümer. Drei Tage später ziehen Oksana, Schwester Alina (32 Jahre), Mutter Liubov (58) sowie die Kinder Max (10), Darii (6), Damir (10) und Polina (2 Jahre) in das herrschaftlich anmutende Anwesen. Eine riesige Wiese, die eher als kleinere Parkanlage bezeichnet werden müsste, umgibt das neue Heim. Der noch wasserlose Swimmingpool ist abgesperrt, damit niemand hineinfällt. An diesem Nachmittag haben sich alle hübsch gemacht. Alina trägt einen Blumenkranz auf ihrem schwarzen, schulterlangen Haar und ist, wie ihre Mitbewohner, in landestypisch rot-weiße Tracht geschlüpft.
Besuch hat sich angekündigt: Nach und nach tröpfeln Svitlana Keane und die anderen Ukrainer, die einst gemeinsam unter einem Dach wohnten, zu Kaffee und Kuchen ein. Bedrückte Gesichter, stumme Mienen und tränenverwischte Augen sind einem danksagenden Lächeln gewichen. „Wir dachten erst, er hätte ein anderes Haus gemeint“, sagt Oksana, immer noch ungläubig, über den Eigentümer, der ihrer Familie seine Türen aufschloss. „Wir standen in einem Palast.“Der „Palast“hat vier Schlafzimmer, einen ausladenden Balkon, im Erdgeschoss gibt es Küche, Wohnzimmer, Bibliothek und viel Platz – die antiken Möbel stammen aus Großelterns Zeiten.
Der Eigentümer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen und diskret bleiben möchte, habe „einen Beitrag zur Misere leisten“wollen, wie er im Gespräch mit dem LW erklärt. Das Haus sei seit den 1960er-Jahren im Familienbesitz und habe bisher als Wochenendhaus gedient. „Aber als unser Großvater letztes Jahr gestorben ist, wussten wir zunächst nicht, ob wir renovieren und vermieten sollten. Verkaufen wollten wir eigentlich nicht.“
Nach Kriegsbeginn habe sich die luxemburgische Familie in eine Wohnraum-Liste des Roten Kreuzes eingetragen. Als er dann Zeitung las, sei die Sache für ihn klar gewesen. Eine Deadline, wann Oksana und Co. wieder ausziehen müssten, gebe es nicht. „Das hängt davon ab, wie lange der Krieg noch andauert“, so der Eigentümer, der ein weiteres Haus in Strassen zur Verfügung gestellt hat. Hier leben Tania, Ehemann Dima – der schon vor Kriegsbeginn die Ukraine verlassen hatte und nur deshalb bei seiner Familie leben kann – und die Töchter Anna und Masha.
Das neue Leben in Luxemburg
Die Kinder leben nach drei Monaten einen fast normalen Alltag im Großherzogtum, die Jungs spielen Fußball beim FC Kopstal 33 und haben Freunde an der internationalen Schule Lycée Michel Lucius in der Hauptstadt, wo nun alle Kinder eingeschrieben sind. Nur die zweijährige Polina wartet noch auf einen Kindergartenplatz. Auf den ukrainischen Speiseplan aus Borschtsch und Wareniki (den halbmondförmigen Teigtaschen) haben es mittlerweile Gromperekichelcher geschafft.
Oksana und Tochter Dariana.