Éislek statt Côte d‘Azur
Nach zwei Jahren Corona und dem Wegfall der meisten Restriktionen bricht sich die aufgestaute Reiselust ungehemmt Bahn. Während der Pfingstferien erhielten wir womöglich einen Vorgeschmack auf das Urlaubschaos, das im Sommer droht: In überfüllten Zügen und auf überlasteten Autobahnen konnten sich jene Reisenden in Europa glücklich schätzen, die ein starkes Nervenkostüm eingepackt hatten.
Auch für Flugreisende wird es ungemütlich. Die Tickets werden teurer und es staut sich an den Check-ins und Sicherheitskontrollen, wie auch Passagiere in Luxemburg immer wieder erleben müssen. Ursache für die Probleme sind die Corona-Nachwehen: Wegen der Pandemie haben viele Airports und Fluggesellschaften Stellen abgebaut, die nun nicht schnell genug nachbesetzt werden können. Weil Mitarbeiter in der Abfertigung fehlen, sehen sich manche Airlines sogar gezwungen, ankommende Passagiere in den Flugzeugen festzuhalten – manchmal für eine Stunde oder länger. Zudem toben Arbeitskämpfe: Am Pariser Flughafen Charles de Gaulle fielen am Donnerstag ein Viertel aller Flüge wegen eines Streiks aus.
Auch das Kabinenpersonal von Ryanair könnte in diesem Sommer die Arbeit niederlegen.
Doch die Reisebranche ist nicht die einzige Leidtragende. Die Gastronomie musste in der Pandemie ebenfalls personaltechnisch Federn lassen. Viele Kellner und Köche nutzten die Lockdown-Pausen für eine berufliche Neuorientierung. Das ist verständlich: Um den vergleichsweise mickrigen Verdienst, den permanent hohen Stresslevel und die familienunfreundlichen Arbeitszeiten waren diese Beschäftigten ohnehin nie zu beneiden. Ohne ausreichend Personal in der Küche und im Service leidet aber zwangsmäßig die Qualität. Es darf daher nicht verwundern, dass der „Guide Michelin“einige namhafte Luxemburger Adressen in seiner neuesten Ausgabe abgestraft hat.
Das Ergebnis dieser Entwicklung macht sich auch auf der Restaurant-Rechnung bemerkbar: Bei den Getränkepreisen wird noch mehr als sonst aufgeschlagen, um das Essen, Personal und die Betriebskosten zu quersubventionieren. Satte 20 Euro für einen Aperitif sind in einigen Lokalen keine Seltenheit mehr. So wird der Besuch im Restaurant allmählich zum Luxusvergnügen. Lokale Wirtshäuser mit anständigem Preis-Leistungs-Verhältnis muss man im Großherzogtum ohnehin mit der Lupe suchen. Freilich: Die Verteuerung von Mieten, Energie, Waren und Material trifft alle Betriebe, auch den Horesca-Sektor. Ob es aber die richtige Strategie ist, mit saftigen Preisaufschlägen die zurückkommenden Gäste gleich wieder zu vergraulen? Dann wird nämlich noch weniger konsumiert. Dasselbe gilt auch für Reiseanbieter.
Angesichts der Lage fällt einem ein Slogan aus den ersten beiden Corona-Jahren ein: „Vakanz doheem“. Heute spricht hierzulande kein Mensch mehr über Urlaub im eigenen Land – obwohl das Konzept angesichts der Inflation wieder Aktualität haben müsste. Auch der Sommer 2022 ist wie gemacht für Erholung in naher Umgebung, Ausflüge an die Mosel oder ins „Éislek“und Grillen bei Freunden. Auf Massentourismus hatten wir doch eigentlich keine Lust mehr. Oder?
Im Sommer droht in Europa Urlaubschaos. Zeit für eine Rückbesinnung.
Kontakt: joerg.tschuertz@wort.lu