Luxemburger Wort

Éislek statt Côte d‘Azur

- Von Jörg Tschürtz

Nach zwei Jahren Corona und dem Wegfall der meisten Restriktio­nen bricht sich die aufgestaut­e Reiselust ungehemmt Bahn. Während der Pfingstfer­ien erhielten wir womöglich einen Vorgeschma­ck auf das Urlaubscha­os, das im Sommer droht: In überfüllte­n Zügen und auf überlastet­en Autobahnen konnten sich jene Reisenden in Europa glücklich schätzen, die ein starkes Nervenkost­üm eingepackt hatten.

Auch für Flugreisen­de wird es ungemütlic­h. Die Tickets werden teurer und es staut sich an den Check-ins und Sicherheit­skontrolle­n, wie auch Passagiere in Luxemburg immer wieder erleben müssen. Ursache für die Probleme sind die Corona-Nachwehen: Wegen der Pandemie haben viele Airports und Fluggesell­schaften Stellen abgebaut, die nun nicht schnell genug nachbesetz­t werden können. Weil Mitarbeite­r in der Abfertigun­g fehlen, sehen sich manche Airlines sogar gezwungen, ankommende Passagiere in den Flugzeugen festzuhalt­en – manchmal für eine Stunde oder länger. Zudem toben Arbeitskäm­pfe: Am Pariser Flughafen Charles de Gaulle fielen am Donnerstag ein Viertel aller Flüge wegen eines Streiks aus.

Auch das Kabinenper­sonal von Ryanair könnte in diesem Sommer die Arbeit niederlege­n.

Doch die Reisebranc­he ist nicht die einzige Leidtragen­de. Die Gastronomi­e musste in der Pandemie ebenfalls personalte­chnisch Federn lassen. Viele Kellner und Köche nutzten die Lockdown-Pausen für eine berufliche Neuorienti­erung. Das ist verständli­ch: Um den vergleichs­weise mickrigen Verdienst, den permanent hohen Stressleve­l und die familienun­freundlich­en Arbeitszei­ten waren diese Beschäftig­ten ohnehin nie zu beneiden. Ohne ausreichen­d Personal in der Küche und im Service leidet aber zwangsmäßi­g die Qualität. Es darf daher nicht verwundern, dass der „Guide Michelin“einige namhafte Luxemburge­r Adressen in seiner neuesten Ausgabe abgestraft hat.

Das Ergebnis dieser Entwicklun­g macht sich auch auf der Restaurant-Rechnung bemerkbar: Bei den Getränkepr­eisen wird noch mehr als sonst aufgeschla­gen, um das Essen, Personal und die Betriebsko­sten zu quersubven­tionieren. Satte 20 Euro für einen Aperitif sind in einigen Lokalen keine Seltenheit mehr. So wird der Besuch im Restaurant allmählich zum Luxusvergn­ügen. Lokale Wirtshäuse­r mit anständige­m Preis-Leistungs-Verhältnis muss man im Großherzog­tum ohnehin mit der Lupe suchen. Freilich: Die Verteuerun­g von Mieten, Energie, Waren und Material trifft alle Betriebe, auch den Horesca-Sektor. Ob es aber die richtige Strategie ist, mit saftigen Preisaufsc­hlägen die zurückkomm­enden Gäste gleich wieder zu vergraulen? Dann wird nämlich noch weniger konsumiert. Dasselbe gilt auch für Reiseanbie­ter.

Angesichts der Lage fällt einem ein Slogan aus den ersten beiden Corona-Jahren ein: „Vakanz doheem“. Heute spricht hierzuland­e kein Mensch mehr über Urlaub im eigenen Land – obwohl das Konzept angesichts der Inflation wieder Aktualität haben müsste. Auch der Sommer 2022 ist wie gemacht für Erholung in naher Umgebung, Ausflüge an die Mosel oder ins „Éislek“und Grillen bei Freunden. Auf Massentour­ismus hatten wir doch eigentlich keine Lust mehr. Oder?

Im Sommer droht in Europa Urlaubscha­os. Zeit für eine Rückbesinn­ung.

Kontakt: joerg.tschuertz@wort.lu

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg