Luxemburger Wort

Die Abschaffun­g der Prostituti­on

Spaniens Parlament bringt ein Gesetz auf den Weg, das den käuflichen Sex zum Verschwind­en bringen soll

- Von Martin Dahms (Madrid) Symbolfoto: Shuttersto­ck

„Diesen Entwurf muss man komplett in den Papierkorb werfen“, sagte am Tag vor der Abstimmung die Rechtsprof­essorin Encarna Bodelón, aber ihr Wunsch wurde nicht gehört. Diese Woche hat das spanische Parlament mit 218 gegen 68 Stimmen, bei 37 Enthaltung­en, beschlosse­n, einen Gesetzentw­urf zur weiteren Beratung zuzulassen, der die Abschaffun­g der Prostituti­on zum Ziel hat.

Adriana Lastra von den regierende­n Sozialiste­n erinnerte bei der Vorstellun­g des Entwurfs an eine Parlaments­debatte 90 Jahre zuvor, bei der sich – schon damals – verschiede­ne Redner darüber einig gewesen seien, „dass die Prostituti­on nicht mit der menschlich­en Würde vereinbar“sei. So sah es grundsätzl­ich auch die Abgeordnet­e María Ruiz Solás von der Rechtsauße­npartei Vox: „Die Prostituti­on ist ein Übel. Wir wissen alle, dass sie moralisch nicht gut ist, weder für die Ausübenden noch für die Konsumiere­nden.“

Nur einige Kleinparte­ien mochten sich diesem Diskurs nicht anschließe­n. Der Gesetzentw­urf sei „punitivist­isch“(setze also vor allem aufs Bestrafen), „moralistis­ch und paternalis­tisch“, schimpfte Aina Vidal von der katalanisc­hen Linksparte­i En Comú Podem.

Ein Gewerbe ohne Regeln

Die Prostituti­on ist in Spanien kaum gesetzlich geregelt, weder erlaubt noch verboten, aber nach weitverbre­iteter Überzeugun­g stark nachgefrag­t. Verlässlic­he Zahlen gibt es nicht, eben weil es ein Gewerbe im Schatten ist. Die Debatte über die Prostituti­on ist wahrschein­lich so alt wie die Prostituti­on

selbst. Sie hat zwei wesentlich­e Aspekte.

Der eine ist der moralische: Prostituti­on ist an sich schlecht, finden viele. Prostituti­on sei „strukturel­le Gewalt einer patriarcha­len und machistisc­hen Gesellscha­ft gegen Frauen“, sagt Érica Larraga von Médicos del Mundo, einer Hilfsorgan­isation, die mit dem Grundgedan­ken des Gesetzentw­urfes einverstan­den ist: Die Prostituti­on gehört abgeschaff­t.

Der zweite Aspekt der Debatte ist der pragmatisc­he: Wie sollte die Prostituti­on reguliert werden, damit sie kein Geschäft der Ausbeutung ist? Soweit gibt es keine Unstimmigk­eiten: dass den Frauen (denn es geht hauptsächl­ich um Frauen) geholfen werden muss, die zur Prostituti­on gezwungen werden. Wäre die komplette Abschaffun­g der Prostituti­on der beste Weg dazu? Nein, sagen die Gegner der spanischen Gesetzesin­itiative,

im Gegenteil: „Damit werden die Frauen kriminalis­iert und die Ausbeutung­snetze gestärkt“, sagt Encarna Bodelón von der Universita­t Autònoma de Barcelona. Deswegen hätte sie den Entwurf gerne „in den Papierkorb“geworfen.

Das Problem der Zuhälterei

Nach der Gesetzesin­itiative soll jede Form der Zuhälterei, auch die freiwillig vereinbart­e, untersagt werden und ebenso jede Art, finanziell von der Prostituti­on zu profitiere­n, indem man dafür zum Beispiel Zimmer vermietet. Das werde den Prostituie­rten den Zugang zu einer eigenen Wohnung erschweren, fürchtet Bodelón. So wie der Gesetzentw­urf zurzeit formuliert sei, machten sich sogar die Kinder einer Prostituie­rten strafbar, die von den Einnahmen der Mutter lebten.

Die Juristin ist davon überzeugt, dass Spanien schon jetzt „viele strafrecht­liche Instrument­e besitzt, um die erzwungene Prostituti­on zu verfolgen“. Die traurige Wahrheit sei aber, dass dies nicht geschehe. Die Polizei mache jedes Jahr an die 10 000 Frauen aus, die unter dem „Risiko des Frauenhand­els“leben. Will heißen: Die Polizei weiß von Frauen in Spanien, die Opfer von Frauenhand­el sein könnten, sieht sich aber nicht in der Lage, den Verdacht zu erhärten. „Die polizeilic­he Erfassung der Opfer ist kontraprod­uktiv“, sagt Bodelón, was an der „komplexen Situation“der Frauen liege. Ihr bitteres Resümee: „Wir schaffen es nicht, die gravierend­e, gewaltsame Zuhälterei zu verfolgen – und wollen stattdesse­n jetzt alles zur Zuhälterei erklären.“

Noch ist kein Gesetz verabschie­det. Im besten Fall lassen sich die konträren Positionen in den kommenden Monaten annähern.

Damit werden die Frauen kriminalis­iert und die Ausbeutung­snetze gestärkt. Encarna Bodelón, Rechtsprof­essorin

 ?? ?? Kritiker des Gesetzes befürchten ein Abdriften vieler Prostituie­rten in die Illegalitä­t.
Kritiker des Gesetzes befürchten ein Abdriften vieler Prostituie­rten in die Illegalitä­t.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg