Die Essenz der Sonne
Von der Gouache zum Stil-Objekt – Experten erklären die Entstehung eines Hermès-Porzellandesigns
Ein sonniger Frühlingstag in Paris: Hermès stellt mit großem Tamtam die neue Porzellanserie „Soleil d'Hermès“vor. Passend zum Titel der Kreationen werden die Objekte unter anderem in einem Setting inszeniert, das nicht nur optisch, sondern auch hitzetechnisch an einen subtropischen Ort erinnert. Dazwischen, geschützt von einem sonnengelben Vorhang und akustisch umgeben von Vogelgezwitscher, die zwei Personen, deren kreative Ideen hier zum Leben erweckt wurden: Benoît-Pierre Emery (BPE), Creative Director für Hermès Tischkultur, und Illustratorin Arielle de Brichambaut (ADB). Ein Gespräch.
Benoît-Pierre Emery, Sie sind Designer und haben bereits für unterschiedliche Marken gearbeitet. Jetzt sind Sie verantwortlich für den Bereich Tischkultur der Maison Hermès. Wie unterscheidet sich Ihr jetziger Aufgabenbereich von den vorherigen?
BPE: Ich habe davor Tücher entworfen – und man kann beides nicht vergleichen. Wenn man ein Tuch entwirft, dann drückt man sich auf einem einzigen Objekt, auf einem Stück Stoff aus. Was ich dagegen am Bereich Tischkultur so schätze, ist, dass ich mich auf vielfältige Weise ausleben kann. Es ist ähnlich wie ein Puzzle – man erschafft Einzelstücke, die jeweils für sich wichtig sind, die aber auch zu dem Gesamtkunstwerk passen müssen. Dies muss man beim Designprozess immer vor Augen haben: Wie funktioniert dieses Objekt im Zusammenspiel mit anderen. Wichtig ist es, die perfekte Balance zu finden, eine Harmonie zu kreieren.
Bereitet Ihnen die Arbeit im Atelier nun noch mehr Freude?
BPE: Ja, denn ich liebe es, neue Formen zu schaffen, mir neue Designs auszudenken und dabei mit Künstlern wie Arielle de Brichambaut Geschichten zu erzählen. Dieser kreative, nicht enden wollende Austausch ist unglaublich spannend. Es ist eine Art Teamwork, das sich vom Atelier bis in die Werkstätten zieht. Bei meiner vorherigen Arbeit war ich eher auf mich alleine gestellt – dies hier ist eine ganz andere und neue Form von Abenteuer für mich.
Und wohl auch ein nicht ganz unproblematisches Abenteuer. Ein Design auf Porzellan statt auf
Stoff zu übertragen, ist sicherlich nicht einfach ...
BPE: Da gebe ich Ihnen recht, Porzellan ist ein schwieriges Material. Es fällt durchaus schwer, subtile Details, die vorher zu Papier gebracht wurden, darauf umzusetzen. In gewisser Weise ist daher jede neue Kollektion eine Herausforderung. Aber irgendwie findet man einen Weg und geht immer einen Schritt weiter als beim vorherigen Mal. Wir bei Hermès versuchen uns immer wieder aufs Neue zu erfinden und neue Prozesse zu entwickeln.
Arielle de Brichambaut, Sie sind die Illustratorin, die hinter „Soleil d’Hermès“steckt – und haben bereits zuvor für Hermès gearbeitet, etwa bei der Kollektion „Bleus d’Ailleurs“. Warum haben Sie für diese Kollektion erneut eine reduzierte Farbpalette – Gelb, Weiß und Grau – und diese Form der Darstellung gewählt?
ADB: Ich arbeite lediglich mit Stiften oder Gouache, was den Stil erklärt. Das Gelb war in diesem Fall unverzichtbar, um sich dem Thema „Sonne“zu nähern – und die Transparenz der Gouache erlaubte es mir, dieses Schimmern oder Flimmern einzufangen, das man in ihr erkennt. Die Schraffur in Grau spiegelt die Strahlen der Sonne wider. Benoît-Pierre Emery und ich haben das alles gemeinsam erarbeitet.
Steckt dahinter ein wenig Fernweh? Oder die Sehnsucht nach einem sorgenfreien Sommer?
ADB: Gute Laune, Urlaub, Optimismus – all dies findet sich im Design wider. Es soll das alles ausdrücken, selbst in den Momenten, wenn mal die Sonne nicht scheint, wenn es mal schlechte Stimmung gibt.
Das Design erinnert ein wenig an Motive aus den 1970er-Jahren. Waren diese eine der Inspirationsquellen?
Benoît-Pierre Emery und Arielle de Brichambaut.
BPE: Es gibt verschiedene Einflussfaktoren, keine besondere Ära, die sich darin widerspiegeln soll – auch wenn einige die 1950er-Jahre oder die 1970er-Jahre in dem Werk von Arielle erkennen. Solche Motive schaffen es natürlich, diese Art von Gedanken auszulösen. Uns lag aber mehr daran, die Sonne als ein grafisches Element aufzugreifen und starke geometrische Motive einzubinden, sie zu einer Art Kaleidoskop werden zu lassen, das ein warmes, intensives Gefühl hinterlässt. Für mich wirkt dieses Design zeitlos.
Wie läuft der Designprozess ab? Gibt es einen Prototyp, auf dem Sie etwa ein Stück Torte zu Testzwecken anrichten? Wie kann man sich das vorstellen?
BPE: Der Entwicklungsprozess ist langwierig. Am Anfang steht die Zusammenarbeit mit dem Künstler oder der Künstlerin, um die richtige Balance im Design zu finden. Dies geschieht bereits mit echtem Porzellan, die gestalteten Elemente sind aber aus Papier. Danach geht es um das sogenannte „tayloring“– jedes Objekt der Kollektion soll seinen eigenen Look bekommen, wird einzeln entworfen. Anschließend beginnt der technische Prozess, wir versuchen also die Entwürfe auf das Material zu übertragen, dazu gehört auch, die passenden Farben zu finden. Es entstehen dabei viele Prototypen, bis die perfekte Balance aus Farbe, Design und Material gefunden ist. Das alles kann sich über anderthalb bis zwei Jahre hinziehen.
Geht man bei Hermès in Sachen Design auch auf die verschiedenen Vorlieben der Kunden auf unterschiedlichen Märkten ein?
BPE: Wir sind uns zwar bewusst, dass etwa Farben in anderen Kulturen unterschiedliche Bedeutungen
haben. Aber uns ist es wichtig, kulturübergreifend zu arbeiten und keine Nischen zu bedienen. Wir glauben daran, dass es möglich ist, mit unseren Designs alle anzusprechen.
Und wie passt das Design von Arielle de Brichambaut in dieses Konzept?
BPE: Die Entwürfe von Arielle versprühen einen besonderen Vibe, eine Leichtigkeit, die perfekt zum Sommer passt. Ihnen gelingt es aber auch, sich an eine formellere, urbanere Umgebung anzupassen. Und das ist es, was wir wollen: verschiedene Identitäten und verschiedene Stile zusammenzubringen.
Zum Abschluss noch die alles entscheidende Frage: Welches Gericht sieht auf „Soleil d’Hermès“am schmackhaftesten aus?
ADB: Ich denke, dass darauf alles serviert werden kann, egal ob es jetzt ein Salat, ein Steak, ein Dessert oder auch nur eine Frucht ist. Das Design ist leicht, dazu passt einfach jede Speise.
Uns ist es wichtig, kulturübergreifend zu arbeiten und keine Nischen zu bedienen. Benoît-Pierre Emery
Aber irgendein Lieblingsgericht werden Sie in Zukunft doch sicher darauf anrichten?
ADB: Natürlich, ich liebe es zu essen. Na gut, dann sage ich: ein Häppchen Hummer mit Mayonnaise. (lacht)