Profiteure der Krise
Die Fahrt zur Tankstelle wird angesichts steigender Preise für viele Luxemburger zunehmend zur Tortur. Daran hat auch die im April in Kraft getretene Senkung der Steuern auf Treibstoffe nichts geändert. Ebenso mussten die meisten Verbraucher in diesem Jahr fette Zusatzkosten bei ihrer Strom- und Heizrechnung hinnehmen – im kommenden Jahr wird wohl ein weiterer Aufschlag fällig. Gleichzeitig verkünden zahlreiche Energiekonzerne im ersten Quartal satte Gewinnsteigerungen. BP verdoppelte seinen Profit, und der von Shell verdreifachte sich fast. Daher haben einige Länder wie Großbritannien, Italien oder Ungarn angekündigt, eine sogenannte „Windfall-Tax“oder Übergewinnsteuer einzuführen. Selbst in den sonst sozialistischen Umtrieben unverdächtigen
USA wird laut über eine solche Sonderabgabe nachgedacht.
Die Idee klingt einleuchtend: Dass Konzerne sich aufgrund einer globalen Krise an der Verknappung des Angebots von Öl und Gas dumm und dusselig verdienen, während ihre Kunden im Winter im
Haus einen Anorak überwerfen müssen, um nicht zu frieren, und energieintensive Firmen plötzlich am Rande der Pleite stehen, widerspricht jedem Gerechtigkeitsempfinden. Die Unternehmen sollten also zumindest einen Teil der Gewinne wieder abführen, die sie durch die für sie günstige Marktentwicklung einstreichen.
In der Praxis werfen solche Ideen aber eine Menge Fragen auf: Zum einen ist es in der Realität sehr schwer zu bestimmen, welcher Teil des Profits nun einen Übergewinn darstellt und was einfach durch normale Marktentwicklungen zustande gekommen ist. Immerhin mussten die gleichen Firmen aufgrund der geringeren Nachfrage während der Lockdowns deutliche Umsatzrückgänge hinnehmen und müssen nun in Russland und der Ukraine frühere Investitionen abschreiben. Zum anderen ist eine Festlegung, auf wen eine solche Sondersteuer für Krisengewinner denn nun anwendbar wäre, zwangsläufig etwas willkürlich. So zählen auch Betreiber von Solarparks und Windkraftanlagen zu den Profiteuren der hohen Energiepreise. In Italien fordern Politiker, dass die Sondersteuer auch auf Gewinne von Banken ausgeweitet wird, die mit Energiederivaten handeln. In der Pandemie gehörten die Hersteller der Impfstoffe wie Moderna und Biontech ebenso zu den Krisengewinnern wie Technologieunternehmen, die Telearbeit ermöglichten oder Waren nach Hause lieferten. In Ungarn werden sogar die Fluggesellschaften zur Kasse gebeten, die in den letzten beiden Jahren eindeutig nicht zu den Krisengewinnern zählten. Unternehmen treffen Investitionsentscheidungen auch im Hinblick auf bestehende Steuerregeln; diese rückwirkend zu ändern, setzt nicht nur die falschen Anreize, es ist auch fraglich, ob sie im Streitfall gerichtsfest sind. Erdölkonzerne dürften wohl kaum hinnehmen, dass sie steuerlich anders behandelt werden als andere Firmen. Das Steuersystem kann helfen, grobe Ungerechtigkeiten auszugleichen, indem es von Gewinnern zu Verlierern umverteilt. Um aber zu beurteilen, welche Gewinne in Krisenzeiten akzeptabel sind und welche nicht, dafür fehlen ihm die Instrumente.
Eine Sondersteuer für Krisengewinner ist zwangsläufig willkürlich.