Erfolg für den Anti-Macron
Der Linksruck bei den französischen Wahlen ist vor allem das Verdienst von Jean-Luc Mélenchon
Wer Jean-Luc Mélenchon verstehen will, muss zum 16. Oktober 2018 zurückblättern. Wegen einer Affäre um illegale Wahlkampffinanzierung durchsuchten Ermittler an jenem Vormittag die Büros von Mélenchons La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich). Als der Parteichef mit ein paar Getreuen dazu kam, spielten sich Szenen ab wie in einem schlechten Theaterstück. Mit weit aufgerissenen Augen bedrohte der für seine cholerischen Anfälle bekannte Linkspopulist die Polizisten, die seine Parteizentrale bewachten, „Die Republik bin ich“, brüllte er und schlug heftig gegen die Tür, hinter der gerade die Durchsuchung stattfand.
Seinen Anhängerinnen und Anhängern dürfte der demonstrative Widerstand gefallen haben, der dem Abgeordneten drei Monate Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von 8 000 Euro einbrachte. Die Mehrheit der Französinnen und Franzosen wird sich dagegen in dem schlechten Bild bestärkt gefühlt haben, das sie von Mélenchon hat. 59 Prozent seiner Landsleute haben Angst vor dem 70-Jährigen, dessen links-grünes Bündnis Nupes in der ersten Runde der Parlamentswahlen überraschend gut abschnitt und fast genauso viele Stimmen holte wie das Lager von Präsident Emmanuel Macron.
Dabei ist Mélenchon der Politiker, der die Menschen in Frankreich am meisten beunruhigt – mehr noch als die Rechtspopulistin Marine Le Pen.
Legendäre Wutanfälle
Die Wutanfälle des Linkspolitikers sind legendär und machen vor niemandem halt. „Das ist mir scheißegal. Ich kenne deinen Mitbewohner nicht“, blaffte er vor einigen Tagen einen jungen Mann an, der bei einem Wahlkampfauftritt um eine Aufnahme für einen Freund gebeten hatte. „Zumindest am Anfang waren seine Verbalattacken auch der Versuch, sich von der etablierten politischen Kaste abzugrenzen, die solche Ausfälle mit Vulgärsprache vermeidet“, analysiert Stefan Seidendorf vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg.
Doch während Mélenchon nach außen heftig austeilt, lässt er in der eigenen Partei keine Kritik zu. Das frühere Mitglied Thomas Guénolé rechnete 2019 in einem Buch mit dem autoritären Stil des Parteichefs ab. „Sie plädieren für eine echte Demokratie in Frankreich, doch La France Insoumise ist wie eine Diktatur organisiert“, schrieb der Politologe.
Die Bewältigung einer schweren Krise trauen Mélenchon nur 31 Prozent der Französinnen und Franzosen zu und noch weniger finden, dass er ein positives Bild ihres Landes im Ausland vermittelt. Allerdings bemüht sich der Volkstribun auch gar nicht, außenpolitisch eine gute Figur zu machen. Sein offener Hass gilt dem Nachbarland Deutschland, dessen Sparpolitik er für sämtliche Probleme in Europa verantwortlich macht. „Schnauze zu, Frau Merkel“, twitterte er 2014, als die Bundeskanzlerin von Frankreich stärkere Reformanstrengungen
forderte. Ähnlich brutal äußert er sich gegenüber der EU, gegen die er den „Ungehorsam“ins NupesProgramm schreiben ließ.
Verständnis für Wladimir Putin
Viel Verständnis zeigte „Méluche“, wie er von seinen Anhängern genannt wird, dagegen für den russischen Präsidenten Wladimir Putin, als dieser 2014 die Krim annektierte und 2016 Syrien angriff. Seine blinde Putin-Treue endete erst, als Russland im Februar die Ukraine überfiel und klar war, dass der Krieg auch den französischen Präsidentschaftswahlkampf beeinflussen würde. Mélenchon ging daraufhin auf Distanz zu Moskau, lehnt aber Waffenlieferungen an die Ukraine ab und will Frankreich aus der NATO führen.
Trotz dieser radikalen Positionen könnte Mélenchons Linksallianz Nupes am nächsten Sonntag in der Stichwahl eine absolute Mehrheit des Macron-Lagers in der Nationalversammlung verhindern. Gründe für einen solchen Erfolg gibt es mehrere: Zum einen wirkt sich Mélenchons aggressives Image offensichtlich nicht auf das Bündnis mit Sozialisten, Kommunisten und Grünen aus, mit denen er eine lange für unmöglich gehaltene „neue Volksunion“schmiedete. Auch wenn er sie klar dominiert, ist die Nupes doch eine Art Hülle, unter der seine Ecken und Kanten verschwinden. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden sich eher für die Verpackung als für den Inhalt. Das Parteienbündnis scheint ihnen wichtiger als Mélenchons umstrittene Persönlichkeit.
Zum anderen halten ihn viele für den besten Anführer der Opposition gegen den Präsidenten. Seine Landsleute bescheinigen ihm die Fähigkeit, Dinge verändern zu wollen. Darin wird der begnadete Redner sogar noch stärker eingeschätzt als Marine Le Pen, die Dauergegnerin Macrons, die in der Stichwahl um das Präsidentenamt fast 42 Prozent der Stimmen holte.
Mélenchon sinnt auf Rache
Während sich die Rechtspopulistin nach ihrer Niederlage erst einmal von der politischen Bühne zurückzog, sann Mélenchon sofort auf Rache. Noch am Abend der ersten Wahlrunde rief er die Parlamentswahlen zur „dritten Runde“der „présidentielles“aus. „Wählt mich zum Premierminister“lautete seine Aufforderung, die allerdings in der Verfassung gar nicht vorgesehen ist. Der Regierungschef wird nämlich nicht direkt gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt. Dafür wäre eine absolute Mehrheit nötig, die Mélenchon mit maximal 190 Sitzen in der 577 Abgeordnete zählenden Nationalversammlung verfehlen dürfte.
Vielen Französinnen und Franzosen gefällt aber Mélenchons Vorhaben, die Allmacht des Präsidenten durch ein starkes Gegengewicht in der Nationalversammlung zu beschneiden. Für sein Bündnis stimmen vor allem Wählerinnen und Wähler, die politisch links stehen und im April nur zähneknirschend ihr Kreuz bei Macron machten. Sie überzeugt Mélenchons Eigenschaft, sich in die Probleme seiner Landsleute einfühlen zu können.
Die Frage der sozialen Gerechtigkeit, die bereits die Gelbwesten 2018 auf die Straße brachte, ist in Frankreich mehr denn je präsent. Und Mélenchon scheint mit seiner Forderung nach einem Mindestlohn von 1 500 Euro und der Rente mit 60 eine Antwort gefunden zu haben – auch wenn die Finanzierung seiner sozialen Wohltaten nicht gesichert ist.
Während Mélenchon nach außen heftig austeilt, lässt er in der eigenen Partei keine Kritik zu.