Luxemburger Wort

Von der Stahlindus­trie zur Weltraumfi­rma

Mit „Confini“bringen Ian De Toffoli und die ErosAntEro­s-Komapgnie eine humoristis­che Doku-Fiktion auf die Bühne des TNL

- Von Anina Valle Thiele

„Confini“von Ian De Toffoli, eine Inszenieru­ng der Kompagnie ErosAntEro­s, beeindruck­t im TNL durch die Bühnenspra­che. Ein humorvolle­r Parcours durch die Geschichte der Luxemburge­r Stahlindus­trie.

Die Zuschauer blicken auf ein futuristis­ches Bühnenbild: eine Weltraumka­psel. Zwei Zukunftsfe­en betreten mit 3D-Brillen und Feenkleide­rn mit Satelliten­muster (Kostüme: Laura Dondoli) die Bühne und verkünden auf Metallwänd­e schlagend verheißung­svoll die Gründungst­exte der Europäisch­en Union – hehre Ideen und freiheitli­che Verspreche­n.

„Confini erzählt die Migratione­n der Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft“, so das Begleitbla­tt. Die italienisc­h-luxemburgi­sche Zusammenar­beit zwischen Ian De Toffoli und der Kompagnie ErosAntEro­s ist ein Werk über die politische und wirtschaft­liche Geschichte der Europäisch­en Union, eine Warnung vor dem Klimanotst­and und die Zukunft der Menschheit auf der Erde und bald im Weltraum.

Authentisc­her Stahlindus­trie-Sound innerhalb der Inszenieru­ng

Auf der Bühne durchleben Darsteller verschiede­ner Herkunft in unterschie­dlichen Sprachen ein Jahrhunder­t. Sie verkörpern die Geschichte­n einfacher Menschen, insbesonde­re Italiener, die ihre Heimat verlassen haben, um in den Bergbaugeb­ieten Nordeuropa­s zu arbeiten. Sie geben aber auch (ironisiert) politische­n Persönlich­keiten eine Stimme, die die Geschichte der EU geprägt haben.

„Confini“stehe damit in einer doppelten luxemburgi­schen Literaturt­radition, zum einen der der

Migrations­literatur, zum anderen der des Sozialdram­as der Stahlindus­trie der 60er-Jahre, so Autor De Toffoli. Mit seinem Stück greift er auf die Docu-Fiction von Patrice Pavis zurück, der die Genres Fiktion und Dokumentat­ion bewusst vermischt.

Doch der Abend will mehr sein: Es ist auch eine Reflexion, angeführt von einem Chor zweier Zukunftsfi­guren, die die Migrations­politik der letzten Jahre mit mythologis­chen und künftigen Migratione­n verbindet und Bezüge zu den Gründungsa­kten der Europäisch­en Union herstellt. Das Stück ironisiert den aktuellen Größenwahn des Großherzog­tums Luxemburg; symbolisie­rt durch das Programm Space Mining, die Erkundung und Ausbeutung der Weltraumre­ssourcen.

Im Hintergrun­d erklingt so zunächst apokalypti­sche Musik, dann ein Rauschen, Scheppern und blecherne Geräusche: Der authentisc­he Sound der Stahlindus­trie aus dem Süden Luxemburgs wird das Stück begleiten.

Marsmensch­en in silbernen Anzügen betreten die Bühne und entblößen sich: ein Überraschu­ngsmoment. Denn die drei italienisc­hen Stahlarbei­ter (Hervé Goffings, Sanders Lorena, Djibril Mbaye) sind dunkelhäut­ig. Sie erzählen, wie sie nach Esch/Alzette, Dudelange oder Hussigny kamen.

Dokumentar­aufnahmen werden in den Kreis eingeblend­et, während die drei humorvoll von den harten Arbeitsbed­ingungen im Bergwerk berichten, den Vorurteile­n der Einheimisc­hen gegenüber „Spaghetti-Fressern“. In Fenstern fand man Schilder mit „Hunde und Italiener nicht willkommen“. Es hieß, die Italiener hätten heißes Blut und seien ergo kriminell. Das Volkslied „Houre Italiener“kündet noch davon. Die drei erzählen, wie sie ihre Kleingärte­n beackerten, von Arbeitsunf­ällen, Atemwegser­krankungen und dem ersten ersehnten Motorrad. Dann schlagen die Zukunfts-Feen (wunderbar gespielt von Agata Tomšic und Emanuela Villagross­i) den Gong und verlesen Artikel der Gründungsv­erträge der EU.

Spagat zwischen Theorie und individuel­len Lebensgesc­hichten

Der Spagat, den das Stück wagt, die Entgegenst­ellung des theoretisc­hen Rahmens auf der einen Seite und anderersei­ts des Vortragens individuel­ler Lebensgesc­hichten italienisc­her Grubenarbe­iter, gelingt und trägt weite Teile der Inszenieru­ng – begleitet vom scheppernd­en Sound der Stahlindus­trie.

Arbeitskäm­pfe, kommunisti­scher Aktivismus oder politische­s Engagement spielen an diesem Abend kaum eine Rolle. Dies ist ein wenig schade, hätte doch gerade der dokumentar­isch-fiktionale Ansatz es erlaubt, Zeitzeugen aus der Arbeiterbe­wegung miteinzube­ziehen. Zudem wären die heute noch wirksamen Verbindung­en mit dem einstigen Bassin Minier – der Stahlarbei­ter-Region um Hussigny, Longwy – kenntliche­r geworden.

Thematisie­rt werden hingegen die Spannungen der aufstreben­den Generation­en mit ihren Eltern: Die Kinder wurden mit dem Vorwurf des Verrats an den proletaris­chen Wurzeln konfrontie­rt. „Willst Du ein Bourgeois werden? Nein, nur ein besseres Leben!“Ein letztlich recht nostalgisc­her Blick auf die italienisc­hen Stahlarbei­ter und ihre Vergangenh­eit, weniger analytisch als individual­isierend beschreibe­nd.

Marco Lorenzini gibt herrlich ironisch einen gestrigen Jean-Claude Juncker, der an der EU festhält. Er wirkt wie eine Figur aus Loriot, ein traurig-überdrehte­r Clown: „Europa wird immer meine große Liebe bleiben.“Auch als Ursula von der Leyen treibt Marco Lorenzini

einem die Lachtränen in die Augen.

Ein sehenswert­es, in sich stimmiges Stück

Den weichgewas­chenen Reden der EU-Politiker, die von Begrenzung der Klima-Emissionen und dem Eintreten für „menschlich­e Korridore“angesichts der Kriege schwadroni­eren, werden Bilder von Demonstrie­renden entgegenge­setzt. Eine nahende Apokalypse, während Luxemburg aufs Space Mining setzt: das Großherzog­tum als große Weltraumfi­rma. „Es gibt keine Grenzen – das Universum ist unendlich.“

Am Ende wird in einem Potpourri alles aufgerufen: Klimawande­l, schmelzend­e Eisberge, Gelbwesten, Impfgegner und die Festung Europa. Die Bühne taucht in gleißendes Licht und Lorenzini schlurft mit leerem Blick in die Zuschauerr­eihen. Das schrille Lachen ist ihm angesichts der Auswirkung­en des megalomane­n Projekts Space Mining eingefrore­n.

„Confini“ist ein sehenswert­es Stück. Trotz einiger Längen in über zwei Stunden haben Davide Sacco und Agata Tomšic von ErosAntEro­s eine ausgefalle­ne, gelungene Bühnenspra­che gefunden, um die Geschichte der Luxemburge­r Stahlarbei­ter(-industrie) bis zum Space Mining in Schlüssel-Etappen als amüsantes doku-fiktionale­s Theaterstü­ck zu präsentier­en. Die in sich stimmige Inszenieru­ng bringt den starken Bühnentext De Toffolis – eine Hommage an seine einst nach Luxemburg eingewande­rten Großeltern – hervorrage­nd zur Geltung.

Das Stück ist noch am 14. und 15. Juni um 20 Uhr im TNL zu sehen. Karten sind auf www.luxembourg-ticket.lu erhältlich.

www.tnl.lu

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Foto: Donato Aquaro Ian De Toffolis „Confini“überzeugt insbesonde­re mit einem starken Bühnentext.
 ?? Foto: Donato Aquaro ?? Statement und neue Normalität! Die drei italienisc­hen Stahlarbei­ter in „Confini“sind dunkelhäut­ig.
Foto: Donato Aquaro Statement und neue Normalität! Die drei italienisc­hen Stahlarbei­ter in „Confini“sind dunkelhäut­ig.

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