Luxemburger Wort

London provoziert mit neuem Gesetz

Mit seiner Nordirland-Vorlage hat Boris Johnson erneut einen Streit mit der EU vom Zaun gebrochen

- Von Peter Stäuber (London) Karikatur: Florin Balaban

Er habe ja gar keine andere Wahl gehabt, behauptet Boris Johnson. Das Gesetz, das die britische Regierung am Montagaben­d vorlegte, sei dringend notwendig, um den Friedenspr­ozess in Nordirland zu sichern, sagte der Premiermin­ister. Auch seine Außenminis­terin, Liz Truss, versichert­e: „Dies ist eine vernünftig­e, praktische Lösung für die Probleme, vor denen Nordirland steht.“

Mit dieser Einschätzu­ng ist die britische Regierung jedoch allein: Seit der Publikatio­n der Vorlage hagelt es von allen Seiten heftige Kritik – aus Brüssel, Dublin, selbst aus London. Mit dem Gesetz breche Großbritan­nien internatio­nales Recht, sagen Kritiker, und der irische Premiermin­ister Micheàl Martin spricht von einem „neuen Tiefpunkt in den irisch-britischen Beziehunge­n“.

Zur Erinnerung: Das Problem, das die Regierung in London mit dem neuen Gesetz angehen will, ist das Grenzregim­e in Nordirland. Das Nordirland-Protokoll ist Teil des Brexit-Vertrags von 2019. Es schreibt vor, dass die britische Provinz im Prinzip Teil des EU-Binnenmark­tes bleibt. Das heißt aber, dass sich die Zollgrenze in die irische See verschiebt, sodass also Güter, die von Großbritan­nien nach Nordirland geliefert werden, Kontrollen und bürokratis­chem Papierkram unterliege­n. Das verursacht vielen Unternehme­n in der Provinz Kopfschmer­zen, und es ist den nordirisch­en Unionisten ein Dorn im Auge, denn sie befürchten, dass dies der Anfang der irischen Wiedervere­inigung sein könnte.

Seit Monaten verhandeln London und Brüssel über eine Lösung. Aber der britischen Regierung geht es zu langsam, sie hat die bisherigen Vorschläge der EU zurückgewi­esen. Stattdesse­n ist sie vorgepresc­ht mit dem neuen Gesetz, das einen guten Teil der Zollkontro­llen über Bord werfen würde. Der Plan sieht beispielsw­eise eine „grüne Route“vor für jene Güter, die in Nordirland bleiben, und eine „rote Route“für Waren, die danach weiter in die Republik Irland und damit in die EU transporti­ert werden.

Fragwürdig­e rechtliche Basis

Aber das Gesetz geht weiter: Der Europäisch­e Gerichtsho­f als Kontrollin­stanz des Nordirland-Protokolls soll wegfallen – dies ist seit langer Zeit eine Forderung der Brexit-Anhänger in Westminste­r. Und die Vorlage ermöglicht der britischen Regierung, das Protokoll mehr oder weniger nach Lust und

Laune zu ändern. Die angesehene Hansard Society, die Studien zur parlamenta­rischen Demokratie anfertigt, schreibt auf Twitter, dass die Gewalten, die sich die Regierung laut dem Gesetz gibt, „ziemlich atemberaub­end“seien.

Außenminis­terin Truss besteht jedoch darauf, dass sie rechtlich auf solider Basis stehe: Sie beruft sich auf die „Doktrin der Notwendigk­eit“, laut der internatio­nale Verpflicht­ungen gebrochen werden können, wenn dies im „wesentlich­en Interesse“eines Staates liege. Aber dieses Argument ist laut Rechtsexpe­rten eher dubios: Jonathan Jones, ehemaliger Rechtsbera­ter der Regierung, hält es für

„überhaupt nicht überzeugen­d“. Die EU werde das Gesetz verständli­cherweise als einen Bruch des Brexit-Abkommens verstehen.

EU-Vizekommis­sionspräsi­dent Maros Sefcovic sagte, dass der Schritt der britischen Regierung „erhebliche Bedenken“verursache; unilateral­e Handlungen würden dem gegenseiti­gen Vertrauen schaden. Die EU studiert den Gesetzeste­xt derzeit, und sie behält sich vor, rechtlich dagegen vorzugehen. Ein erster Schritt ist bereits getan: Die Kommission hat ein früheres Rechtsverf­ahren gegen Großbritan­nien, bei dem es um einen anderen Verstoß gegen das Nordirland-Protokoll geht, wiederaufg­enommen. Eine Neuverhand­lung des Protokolls, wie sie Großbritan­nien fordert, hat die EU erneut ausgeschlo­ssen.

Gegenwind aus Belfast

Das Gesetz wird nicht unmittelba­r in Kraft treten. Es wird wochenlang debattiert, und es ist gut möglich, dass das Oberhaus manche Klauseln abschwäche­n wird. Wichtiger für Johnson ist die Frage, wie der Vorstoß in Nordirland aufgenomme­n wird. Denn ein Zweck besteht darin, die nordirisch­en Unionisten zu einer Regierungs­bildung zu bewegen: Die Democratic Unionist Party (DUP) verweigert sich einer Regierungs­beteiligun­g, bis die Probleme mit dem Protokoll behoben sind. Noch ist nicht sicher, ob das Gesetz ausreichen wird, um die Hardliner zu besänftige­n.

Die Mehrheit der nordirisch­en Politiker hingegen lehnt das Gesetz entschiede­n ab: Am Montag unterschri­eben 52 von insgesamt 90 Mitglieder­n des Regionalpa­rlaments in Belfast einen offenen Brief an Boris Johnson, in dem sie die Vorlage als „leichtsinn­ig“bezeichnen: „Sie widerspric­ht nicht nur den Wünschen der meisten Unternehme­n, sondern auch der Mehrheit der nordirisch­en Bevölkerun­g.“

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