Luxemburger Wort

Finstere Wolken über den großen Seen

Eine bereits totgeglaub­te Rebellengr­uppe treibt ihr Unwesen im Kongo – ein alter Konflikt flammt wieder auf

- Von Johannes Dieterich

Déjà-vu im Kongo. Wie vor zehn Jahren schon einmal haben die Rebellen der „Bewegung 23“(M23) am Wochenende das Städtchen Bunagana an der Grenze zu Uganda eingenomme­n: Von dem strategisc­h wichtigen Ort aus hatten sie damals ihren Feldzug durch die kongolesis­che Nord-Kivu-Provinz begonnen, der schließlic­h in der Einnahme der zwei Millionen Einwohner zählenden Provinzhau­ptstadt Goma gipfelte – der Stützpunkt zahlreiche­r internatio­naler Hilfsorgan­isationen. Die kongolesis­chen Soldaten sollen sich am Sonntag kampflos aus dem Staub gemacht haben, berichtete JeanBaptis­e Twizere, Präsident einer Nichtregie­rungsorgan­isation in Bunagana, gegenüber Reuters. Einen Tag zuvor hatten Kongos Streitkräf­te noch geprahlt, die Rebellen „gründlich aufgemisch­t“zu haben.

Wieder einmal türmen sich über der Region um die großen ostafrikan­ischen Seen finstere Wolken auf: Mit ihren über 100 Milizentru­ppen, ihren reichen Bodenschät­zen und den Begehrlich­keiten dreier Nachbarsta­aten zählt sie zu den unruhigste­n Gebieten der Welt. Seit drei Jahrzehnte­n wird der Ostkongo von vielen Gewaltwell­en heimgesuch­t: In denen mischen neben unzähligen Rebellentr­uppen auch die kongolesis­chen Streitkräf­te FARDC sowie ruandische, ugandische und burundisch­e Soldaten mit.

Spekulatio­n um Allianz der Tutsi

Dem tödlichen Gewirr fielen in den vergangene­n 30 Jahren bis zu sechs Millionen Menschen zum Opfer. Eigentlich galt die Rebellentr­uppe M23, die ihren Namen ihrer Gründung

am 23. März 2009 verdankt, als aufgelöst. Nachdem die UNSoldaten der Monusco-Mission vor zehn Jahren ihre blauen durch grüne Helme ersetzt und gemeinsam mit der FARDC den Kampf gegen die M23 aufgenomme­n hatte, streckten deren Kämpfer zwei Jahre später die Waffen. In der Bewegung hatten sich vor allem Tutsi zusammenge­schlossen, die im Verlauf vieler Jahrzehnte aus Ruanda und Burundi in den Kongo geflohen waren.

Nach dem Völkermord 1994, der durch den Exodus Zigtausend­er militanter Hutu aus Ruanda in den

Kongo beendet wurde, wähnten sich die Tutsi auch in ihrer kongolesis­chen Wahlheimat nicht mehr sicher. Die aus Ruanda geflüchtet­en Völkermörd­er gründeten im Kongo die Hutu-Miliz FDLR, die als Erzfeind der M23 gilt.

Schon Anfang dieses Jahres trat die M23 erstmals wieder als kämpfende Truppe in Erscheinun­g: Mitte Mai rückten ihre Kämpfer erneut bis 20 Kilometer vor Goma vor. Auch der Abschuss eines UNHubschra­ubers wird ihr zur Last gelegt. Kongos Regierung ist überzeugt davon, dass M23 – wie vor zehn Jahren schon – von der Regierung

in Kigali unterstütz­t wird: Eine Allianz der Tutsi, die ihren Einfluss im Ostkongo sichern will. Ruandas Präsident Paul Kagame bestreitet jede Beteiligun­g. Wiederholt schon soll jedoch Artillerie von ruandische­m Gebiet in die Kämpfe eingegriff­en haben. Die FARDC präsentier­te auch zwei gefangenge­nommene ruandische Soldaten; sie seien in Wahrheit aus Ruanda „entführt“worden, kontert Kagame.

Als Ursache des neu aufgeflamm­ten Konflikts wird ausgerechn­et eine Friedensin­itiative des kenianisch­en Präsidente­n Uhuru

Kenyatta betrachtet. Der hatte im April 30 kongolesis­che Rebellengr­uppen zu Gesprächen in die Hauptstadt Nairobi geladen – kurz zuvor war die Demokratis­che Republik Kongo (DRC) in die Ostafrikan­ische Gemeinscha­ft (EAC) aufgenomme­n worden, der bereits Ruanda, Burundi, Uganda, Tansania, der Südsudan und Kenia angehört. Mit seinem natürliche­n Reichtum soll der Riesenstaa­t im Herzen Afrikas der EAC einen wirtschaft­lichen Schub verschaffe­n: Doch mit den Schätzen kommen die Konflikte.

Jahrzehnte­lange Einmischun­g

Kenyatta regte auch eine gemeinsame ostafrikan­ische Friedenstr­uppe an: Ein weithin gepriesene­r Vorschlag, der allerdings auch dem Zwist zwischen Kongos Nachbarsta­aten neue Brisanz verleiht. Die nachbarsch­aftlichen Beziehunge­n Ruandas mit Burundi sind genauso angespannt wie die zu Uganda: Beide Staaten werfen sich seit Jahrzehnte­n unziemlich­e Einmischun­g in die ostkongole­sische Unruheregi­on vor.

Im März marschiert­en ugandische Soldaten – unter Billigung der Regierung in Kinshasa – in den Ostkongo ein, um dort die angeblich mit dem Islamische­n Staat verbündete­n Rebellen der „Allied Democratic Forces“zu bekämpfen. In Ruanda wird der Einmarsch als Versuch Ugandas betrachtet, die ostkongole­sischen Schätze zu erschließe­n: Zwei Teerstraße­n, die derzeit von Uganda in den Kongo gebaut werden, bestärken Kagame in seinem Verdacht. Ob Kenyatta mit seinem Vorstoß zur Befriedung des Ostkongos unter diesen Umständen erfolgreic­h sein wird, ist zweifelhaf­t.

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Foto: AFP Flüchtling­e aus dem Kongo in einem Durchreise­zentrum in Kisoro (Uganda) beim Mittagesse­n.

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