Ein Cliffhanger sondergleichen
Nach seinem Umbau präsentiert sich das Museum für Moderne Kunst in Arnheim schöner und größer als zuvor
Zweifelsohne ist der neue, zum Teil freischwebende Seitenflügel das auffälligste Kennzeichen des Arnheimer Museums für Moderne Kunst, wenn nicht gar sein „USP“(Unique Selling Point). Der Panorama-Blick aus dem Eckfenster auf den Rhein und seine Auen ist von hier aus einfach umwerfend! Schaut man angestrengt nach links, ist sogar die Innenstadt mir der Eusebius-Kirche sowie die legendäre Brücke von Arnheim zu erkennen. Ein risikoreiches, technisches Meisterwerk, wenn man bedenkt, dass sich der Ort an der Stelle aus einer Gletschermoräne der vorletzten Eiszeit vor circa. 150 000 Jahren entwickelt hat. Nur durch den Einsatz einer Spezialtechnik aus dem Brückenbau ist es gelungen, das „unwirtliche“Fundament zu umgehen. So wurde anhand einer Gleitbahn ein 750 Tonnen schwerer Teil des Neubaus Zentimeter für Zentimeter nach vorn geschoben, sodass es nun zum Rhein hin 15 Meter frei über der Moräne schwebt.
„Ein für die Niederlande einzigartiger, echter Cliffhanger“, kommentierte Saskia Bak, seit 2015 Direktorin des Hauses, mit einem Augenzwinkern das Gebäude anlässlich seiner (Wieder-)Eröffnung Mitte Mai. Bis dahin hatte der
Neu- und Umbau des Museums – inklusive Architektenwettbewerb – sechs Jahre beansprucht und 23 Millionen Euro verschlungen. Doch das Ergebnis zeigt, dass das Warten und die Kosten „de moeite waard was“, wie die Niederländer für „der Mühe wert war“sagen.
Schlichter Klippenhänger
Nötig wurde der Umbau, da das Gebäude nicht mehr den modernen Klima- und Sicherheitsvorkehrungen, aber auch zeitgenössischen Publikumsbelangen entsprach. Aus der Rekrutierungsphase potenzieller Architekten gingen schließlich Benthem Crouwel Architects hervor, die auch schon für das Stedelijk Museum in Amsterdam, das Anne Frank Huis sowie den Rotterdamer Hauptbahnhof verantwortlich zeichneten. Gegen vier Mitbewerber konnte sich das Amsterdamer Büro durchsetzen. Seine Vision von einem „schlichten“Klippenhänger – überzeugte, trotz der widrigen Umstände – am meisten. Zur Unterscheidung auf den ersten Blick – dort altes Gebäude hier Neubau -, wurde die Flügel-Fassade mit 82 000 handgebrannten zehn Mal zehn Zentimeter kleinen, eisblauen und erdfarbenen Fliesen verkleidet,
die an die eiszeitliche Geschichte der Lokalität erinnern sollen. Durch die Einwirkung des Lichts fügt sich das Gebäude harmonisch in die Natur ein.
Der Neubau hat eine weitere Besonderheit: ein öffentliches „Amphitheater“mit Tribüne, auf der die Besucher auch ohne Museumsticket die Aussicht und den Garten genießen können. Im Innern des Gebäudes wurde die Ausstellungsfläche um 550 Quadratmeter auf jetzt etwas mehr als 1 900 Quadratmeter erweitert. Von den großzügigen Sälen haben Besucher immer wieder einen weiten Blick auf den Rhein und die Betuwe, sprich die umliegende Landschaft. Der ursprüngliche Kuppelsaal aus dem 19. Jahrhundert bildet nun den zentralen Eingangsbereich des nahe dem Hauptbahnhof gelegenen Gebäudes. Er wurde umfassend saniert und beherbergt nun das nach Pierre Janssen, einem der (populären) ehemaligen Direktoren benannten „Café Pierre“und einen Museumsshop. Während der Renovierung des Saales wurden einige historische Elemente wiederhergestellt. Fenster gewähren aufs Neue den Blick nach draußen. Über die Türen hat man nun einen direkten Zugang zur Terrasse, auf der man seinen Kaffee umgeben von den ParkSkulpturen genießen kann.
Neorealistischer Schwerpunkt
Bekannt ist das Haus, das 1920 als Museum in Erscheinung trat (nachdem es im Ersten Weltkrieg als Flüchtlingslager und Garküche gedient hatte), vor allem für seine große Sammlung neorealistischer Kunst aus dem frühen 20. Jahrhundert, mit Werken von unter anderen Carel Willink, Pyke Koch oder Dick Ket. Aber auch Vertreter der zeitgenössischen Kunst sind hier versammelt, wie Iris Kensmil oder Zanele Muholi. In der Vergangenheit hatte das Museum immer wieder Ausstellungen zur Neuen Sachlichkeit im Programm, so zum Beispiel zu Otto Dix im Jahr 2009. Anders als früher jedoch, wo auch die Dauerausstellung ihren festen Platz hatte, soll die Sammlung, die rund 25 000 Objekte umfasst, künftig in wechselnden Ausstellungen präsentiert werden.
„Wir wollen die Werke in einem aktuellen, gesellschaftliche Fragen aufgreifenden Kontext zeigen“, so Saskia Bak. Die aktuelle Schau „Von links nach rechts“markiert hierbei den Anfang. Darin geht es um den Einfluss politischer Polarisation auf die die Kunst und Karrieren von Künstler aus dem Interbellum, der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Künstlern, die mehr rechts orientiert waren – wie Koch und Willink – werden solche gegenübergestellt, die wegen ihrer linkspolitischen Einstellung damals aus dem kunstgeschichtlichen Raster herausgefallen waren, darunter Harmen
Meurs, Nola Hatterman und die Jüdin Berthe Edersheim, die Mitglied des sozialistischen Künstlerkreises war. „Nun, da auch unsere Gesellschaft von Polarisierung geprägt ist, ist es an der Zeit, auf die Hauptzeit des Neorealismus, die Zwischenkriegszeit, zurückzublicken, die auch von einem erbitterten politischen Klima geprägt war“heißt es hierzu im Begleittext zur Ausstellung.
Flankiert wird die Haupt-Schau von zwei weiteren Ausstellungen. „Mindestens haltbar bis“befasst sich mit der Frage, ob und wie Kunst einen Beitrag dazu leisten kann, nachhaltiger mit dem Planteten umzugehen. Rund 200 Werke bezüglich der Ausbeutung des Planeten sind zu sehen, aus der eigenen Sammlung ebenso wie als Leihgaben. In „Open“experimentiert das Museum mit neuen Techniken, die Möglichkeiten aufzeigen, Kunstwerke anders zu erleben – etwa inklusiv oder mit Virtual RealityBrillen. Es ist angerichtet, könnte man sagen. Die erwarteten 70 000 bis 100 000 Besucher (im Vergleich zu früher 60 000) jährlich, dürfen gerne kommen – auch aus Luxemburg.
Ausstellungen: „Von links nach rechts“bis 23. November 22, „Mindestens haltbar bis“bis 9. Januar 23 und „Open“bis 1. Januar 24, Adresse: Museum Arnhem, Utrechtseweg 87, 6812 AA Arnhem, dienstags bis sonntags, 11-17 Uhr, Eintritt: 15 Euro. www.museumarnhem.nl